Das Grazer Stadtmuseum geht in den kommenden Monaten wieder seiner Kernaufgabe als historisches Museum nach und beschäftigt sich mit Stadtgeschichte. In der Reihe „Graz Portraits“, „Unsichtbar“ und der Postkartenausstellung „Hier ist es schön“ wird nun eine weitere Facette des Grazer Lebens „beleuchtet“ – über ein recht ungewöhnliches Medium.
Es ist eine Ausstellung, die von Bildern ausgeht, Bilder, die stumm und beredt gleichzeitig sein können. Lichtbilder, die Graz in den Jahren von 1880 bis 1920 erhellen. Der Leiter des Grazer Stadtarchivs Dr. Werner Walter Strahalm, wusste um das Vorhandensein Bescheid: es handelt sich um die ersten Dias für den Schulgebrauch, die ab 1905 Verwendung fanden und die das Kulturamt/ Grazer Stadtarchiv nunmehr aufbewahrt. Aus den natürlich großteils auf Unterrichtsthemen bezogenen Bildern wurden die Graz-Bilder herausgefiltert. Die Autoren der 120 ausgewählten Bilder sind kaum bekannt – es waren vermutlich meist gewerbliche Fotografen, die Auftragswerke erstellten. Ausstellung und Buch zeichnen mit ihnen ein Epochenbild von Graz um 1900, das im Vergleich zu Wien um die Jahrhundertwende kaum schillert. Wenn der allgemeine Zugang zu dieser Zeit meist ein nostalgischer ist, so will die Ausstellung gerade das vermeiden. Wenn Bilder beredt werden. Und eben darum wird das Bild ins Zentrum gerückt. Es wird nicht als schmückendes Beiwerk betrachtet, das den historischen Text illustriert, sondern als konkretes Bruchstück der Wirklichkeit. „Das Bild kann erzählen und wo es stumm ist, wird es auch so belassen“ – erklärt Direktor Otto Hochreiter seinen Zugang zu den transparenten Bildern, die er gemeinsam mit Dr. Gerhard Schwarz ausgewählt und, wo es ging, „beredt gemacht hat“. Der atmosphärische Eindruck, den die Ausstellung vermitteln möchte, will über mehrere Ebenen wirken: So werden die Originaldias in einer Größe von neun mal zwölf Zentimetern auf Leuchtkästen präsentiert, aber auch die alte Rezeptionsform kann der Besucher über eine Diaprojektion nacherleben. Als weitere Ebene finden die historischen Bilder wieder in den Stadtraum zurück – an ihre „Originalschauplätze“, wo sie das gegenwärtige Leben mit einem Blick auf das Vergangene bereichern sollen. Der Katalog bietet schließlich die handliche Sammlung für zu Hause. Erzählstruktur erfahren die Bildwelten über vier Themenkreise, die das alte Graz und das neue Graz, also den Wandel ab 1885 in Richtung Deutsch-Nationalismus umreißen und unter dem Stichwort „Lebenswelten“ Handel, Industrie, Schul- und Sozialwesen zusammenfassen. Den Abschluss bildet der große Krieg, der in den Bildern eine schwer getroffene Stadt heraufbeschwört.
Unbeachtete Lebenswelten um 1900. Während das historische Stadtbild weit eher geläufig ist, sind es gerade die Innenraumabbildungen, die unser Interesse auf sich ziehen, der Blick in Klassenzimmer, Turnsäle und Waisenheime. Inszenierte Anordnungen, die den Wert der Institutionen unterstreichen sollen. Spannend sind die unbeachteten Regungen der Epoche, die den durchlässigen Bildern zu entlocken sind: Die Lebensmittelknappheit, die hinter der Universität die Anlage von Gemüsegärten erfordert, oder holländische Milchkühe in der Bahnhofskaserne – eine Hilfslieferung für die vom chronischen Milchmangel des Krieges gebeutelte Stadt und ihre Kinder, die neu eingeführten Turnstunden in den Schulen, die viel von Turnvater Jahns militärischem Drill erahnen lassen, der schulische Umgang mit behinderten Kindern oder die privat organisierten Sammlungen der Jugendfürsorge. Hier soll und kann keine vollständige Geschichte der Stadt zelebriert werden. Vielmehr werden viele kleine Wirklichkeiten zugänglich, die uns über diese Bilder erhalten geblieben sind und die nun zu uns „sprechen“ können.
„Wirklichkeiten Graz um 1900“ und außerdem auch „Noch mal leben. Eine Ausstellung über das Sterben“, mit einfühlsamen Portraits von Walter Schels und Beate Lakotta, sind bis 28.02.2010 im Stadtmuseum zu sehen.
| Eva Pichler
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