Die MitarbeiterInnen der Heilpädagogischen Station des Landes in Graz-Wetzelsdorf am Fuße des Ölbergs haben eine verantwortungsvolle Aufgabe: Sie sollen Kindern mit schweren, oft traumabedingten Verhaltensstörungen den Weg zurück ins Leben ebnen. Mit einem sensiblen Um- und Neubau hat sich auch die Architektur in den Dienst dieser sozialen Aufgabe gestellt.
„Lernen, wie schön das Leben sein kann.“ 24 Kinder zwischen sechs und fünfzehn Jahren leben jeweils vier bis acht Monate in der Heilpädagogischen Station in der Grazer Krottendorfer Straße und gehen auch hier zur Schule, 14 weitere nehmen teilstationär an Therapien teil und besuchen ebenfalls die Schule, eine Expositur der Allgemeinen Sonderschule Pestalozzi. „Wir positionieren uns klar für die Bedürfnisse und Rechte der Kinder, denen wir bei der Bewältigung einer extrem schwierigen Lebenssituation helfen“, sagt die Leiterin der Station, DSA Juliana Engel. Der scheidende Soziallandesrat Kurt Flecker betont bei der Eröffnung, dass gerade in Zeiten der Krise das Element der Solidarität sichtbar werden müsse – der Bau sei eine Kampfansage an den Zeitgeist, der gesellschaftliche Probleme gerne verleugne. Und die Leiterin des Psychologisch-therapeutischen Dienstes des Landes, Eva Kunze, wünscht sich, dass die jungen KlientInnen der Einrichtung Schutz und Geborgenheit empfinden, dass sie „lernen, wie schön das Leben sein kann.“
Die Therapie soll durch die räumliche Umsetzung gefördert werden. Das war auch die Leitlinie, an der sich Architekt Christian Andexer orientierte, der mit seinem Entwurf den von der Landesimmobiliengesellschaft ausgeschriebenen Architekturwettbewerb gewonnen hat. „Für Kinder und Jugendliche zu bauen, bedeutet auch immer Anwaltschaft für ihre Bedürfnisse zu ergreifen“, sagt Andexer. „Die Therapie soll durch die räumliche Umsetzung gefördert werden.“ So hat er sowohl den Umbau der alten Villa, in der jetzt nur mehr die Schule untergebracht ist, und den Neubau mit den Wohneinheiten und der Ambulanz so gestaltet, dass keine engen oder bedrohlichen Angsträume wie lange, schmale Gänge oder dunkle Stiegenhäuser den Therapieerfolg beeinträchtigen können. Der für die Betreuerinnen bestimmte Raum befindet sich nicht – wie in solchen Einrichtungen sonst üblich – zwischen dem Ausgang und den Zimmern der Kinder, sondern am Ende, als Rückzugsbereich – „der Arbeitsplatz der BetreuerInnen ist bei den Kindern und nicht im Schwesternzimmer“, sagt Andexer.
Rückzugsbereiche. Die Raumgestaltung soll emotionale Sicherheit und Geborgenheit vermitteln, das war das Leitthema für alle Grundrisse, betont Andexer, der ja bereits einige herausragende Sozialbauten in der Steiermark geplant hat – wie etwa die Renovierung und den Umbau des Geriatrischen Gesundheitszentrums in Graz, eine Kinderkrippe in Kapfenberg sowie ein Pflegeheim und mehrere Tageseinrichtungen für die Barmherzigen Brüder in Kainbach und das ebenfalls in der Böhlerstadt gelegene WIST-Studentenheim. So verfügen die Zweibettzimmer über Nischen, die klar den individuellen Rückzugsbereich der BewohnerInnen markieren, die Decken sind in warmen Farben gehalten, die je nach Funktionszone variieren. „Als Kind bin ich manchmal am Boden gelegen und hab nach oben geschaut, da war mir die Decke der eigentliche Fußboden, der von nichts als meinen Gedanken betreten werden konnte“, lächelt Andexer. Der Plafond wird zum Projektionsraum für Fantasien.
Durchdachte Funktionsaufteilung. Die Hanglage des Ensembles hat Andexer produktiv genutzt. Das Bestandsgebäude, eine Villa aus dem frühen 20. Jahrhundert, die nun die Schule beherbergt, und die beiden Neubauten, die der Krottendorfer Straße näher gelegene Tagesklinik sowie das dahinter geschützte Wohn- und Therapiegebäude, können über eine im Freien gelegene Verbindungsebene betreten werden; der Altbau und die Tagesklinik über den ersten Stock von ihrer Hang-, das höher gelegene Wohngebäude ebenerdig von seiner Talseite. Da im Parterre der Tagesklinik eine Ambulanz unterg ebracht ist, gibt es in diesem Gebäude kein Stiegenhaus; die BewohnerInnen sollen durch die Vorgänge im Ambulanzbereich keinesfalls gestört werden. Die Trennung der Schule vom Wohnbereich (vor dem Umbau waren die Stationen und die Klassenräume in einem Gebäude untergebracht) bewirkt, dass die Kinder einen – wenn auch nur sehr kurzen – Schulweg haben – das trägt zur Herstellung einer „normalen“ Situation bei. Der Therapiebereich liegt über den beiden Stations-Ebenen, „in der Therapie löst man sich von den Beschwernissen und steigt nicht nur bildlich gesprochen, sondern auch in der Realität auf eine höhere Ebene empor, von der aus man einen schönen, weiten Ausblick genießen kann.“ Das schönste Lob und gleichzeitig den Beweis dafür, dass sein Konzept aufgegangen ist, erhält der Architekt von den NutzerInnen selbst: Wenn Kinder nach erfolgreicher Therapie in ein Wohnheim umziehen, fallen schon mal Aussagen wie: „Hier ist es aber nicht so schön wie auf der Heilpädagogischen Station.“
l Christian Stenner / Yvonne Bormes
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