Das nachhaltige Magazin für Graz und die Steiermark
Rezensionen
Freitag, 16. Oktober 2009
Kathrin Röggla: Gespensterarbeit, Krisenmanagement und Weltmarktfiktion. / Camera Austria International. Nr. 107/2009. / Walter Kreuz: Karlas Lauf gegen die Raumzeit.  Extrakte. / Walter Titz, Peter O. Krückmann (Hrsg.): Franz Dampfhofer: Aquarell, Feder, Collage, Tempera. / Stefan Bollinger (Hg.): Imperialismustheorien. / Kornblumen. Projekt-Tagebuch von Sigi Faschingbauer.

Sach- und Fachbücher


Filmkritik in Zeiten der Wirtschaftskrise

Kathrin Röggla: Gespensterarbeit, Krisenmanagement und Weltmarktfiktion. Wien: Picus Verlag 2009, 62 Seiten, 8,90 Euro
2008 hat Kathrin Röggla den mit 10.000 Euro dotierten Anton Wildgans-Preis der österreichischen Industrie bekommen. Wie sie selber schreibt: „Kritik ist heute überhaupt schwierig geworden. Das am meisten Irritierende ist, dass sie so schnell in Affirmation umgemünzt wird.“ Als die Filmkritiken noch eine Spur länger waren, bestand einer ihrer Ansätze darin, die im Film versteckten Träume (oder Albträume) ideologiekritisch zu hinterfragen. Ihre gesellschaftliche Relevanz sollte freigelegt werden. Und diese Relevanz war am größten, weil am wenigsten beabsichtigt, gerade in den Genrefilmen. Kathrin Röggla dreht in ihrer letzten Veröffentlichung die Methode gewissermaßen um. Sie fragt, mit welchen Genres – bei ihr Katastrophenfilm, Gespensterfilm, Fernsehkrimi, Shakespeare-Remake – sich die gegenwärtige Wirtschaftslage am ehesten beschreiben ließe. Ihr Versuch ist nicht der erste, der Soziologe und Historiker Mike Davies hat schon 1998 unter dem Titel „Ecology of Fear. Los Angeles and the Imagination of Desaster“ die ökonomisch-ökologische Entwicklung im Großraum Los Angeles als Katastrophenfilm beschrieben. Bedauerlicherweise lässt sich Kathrin Röggla wenig auf das heuristische Potential ein. Zudem wechselt sie in ihrer Auswahl zwischen Plot, Genre und Einzelbeispielen. „Filmkritisch“ verspricht ihr Text also mehr, als er hält. Dafür bietet er eine kenntnisreiche, knappe Zusammenfassung der aus gegebenem Anlass laufenden Debatte über den Neoliberalismus. Brauchbares Vorwort von Hubert Christian Ehalt. \ W.H.


Radikale Demokratie und politisches Event

Camera Austria International. Nr. 107/2009. 94 Seiten, 15 Euro.
Die Ausgabe 107 der Camera Austria umkreist den Realismusbegriff in der künstlerischen Arbeit, zeigt Dokumentationen von Wirklichkeiten. So erarbeitet Peggy Buth für ein Künstlerbuch das akribische Portrait des Königlichen Museums für Zentralafrika in Belgien, ein Bild kolonialer Repräsentation und Projektionen auf das jeweils „Andere“.
Der zweite Teil widmet sich Artur Zmijewski und seiner neuen Videoarbeit „Democracies“, die auch in der gleichnamigen Ausstellung des Künstlers im Rahmen des steirischen herbsts in der Camera Austria zu sehen sein wird. In der Zeitschrift diskutiert er mit Kuratorin Maren Lübbke-Tidow. Politische Willensbekundung ist das Schlagwort, der Freiheitsbegriff als solcher, gepaart mit radikalem Realismus. Demonstrationen, Paraden, nachgestellte historische Schlachten, die Fußball-WM oder Jörg Haider werden einander ohne Wertung gegenübergestellt.
Das Fotoprojekt „Atlante Italiano“ untersucht schließlich im Bild Landstriche Italiens in Hinblick auf die Phänomene Industrialisierung, illegales Bauen, Agglomeration und Zersiedelung touristischer Natur. | ep


Laufend Raum-Zeit-Fenster öffnen

Walter Kreuz: Karlas Lauf gegen die Raumzeit.  Extrakte. Wien: Edition Roesner 2008, 179 Seiten, 19,80 Euro
Karla flieht aus einer Krankenanstalt in Wien-Erdberg. Karla läuft und läuft, sie begegnet Menschen, Menschen begegnen ihr. Karla boxt und kratzt, Karla schweigt und spricht. Auch andere Menschen, vor allem Thommy, Mammu, Beth, Achmed, sprechen. Sie sprechen über Karla, über sich, über andere und miteinander – zu unterschiedlichen Zeiten in unterschiedlichen Kontexten, an unterschiedlichen Plätzen in Wien.
Die Vielzahl der Erzählpositionen fordert und führt in jeweils neue Denkmuster, neue kulturelle Kontexte und neue Zeiten. Außergewöhnliche Sprachkreationen einerseits und ausführlich informative Erklärungen (Fußnoten!) regen an, das Gelesene zu überdenken und zu ordnen, sodass sich in dem ständigen Wechsel zwischen Vergangenem, Gegenwärtigen und Zukünftigen jeweils neue Raum-Zeit-Fenster öffnen, in denen zu verweilen es sich lohnt.\ dw
KORSO verlost in Kooperation mit der EDITION ROESNER  3 Exemplare des Buches beim Kulturquiz unter www.korso.at

Der harte Kern der Schönheit

Walter Titz, Peter O. Krückmann (Hrsg.): Franz Dampfhofer: Aquarell, Feder, Collage, Tempera. Graz:  Leykam Verlag 2009. 91 Seiten., 25 Euro
Dies ist eine schöne, sorgfältige Publikation über den österreichischen Maler Franz Dampfhofer, der jetzt 63 Jahre geworden ist und in der Weststeiermark und in Wien lebt.
„Während ich malte, vergaß ich die Anwesenden um mich“, so heisst ein großes Aquarell aus dem Jahr 1996. Menschen und Tiere umgeben einen nackten jungen Mann, der – kniend - in das Malen eines Bildes vertieft ist. Thema ist das unbedingte Herstellen von Kunst mittels der Kunst. Die Werke, die in hervorragenden Reproduktionen im vorliegenden Band abgebildet sind, sind zutiefst malerisch. Das „Erzählerische“ ist ein Nebeneffekt; aber selbst die öfters verwendeten handschriftlichen Botschaften überzeugen ebenso als bildnerische wie als semantische Elemente. 38 Arbeiten aus mehreren Jahrzehnten spielen gekonnt mit der sichtbaren und unsichtbaren Welt: Jeder gezeichnete Strich ist präzise und „sitzt“.
Walter Titz, im Vorwort mit dem Titel „Der harte Kern der Schönheit“ (nach W. C. Williams), bescheinigt dem Künstler, dass er mit grafischer Brillanz Momentaufnahmen fixiere, um einen Kosmos von Gegenständen zu arrangieren. Ob „abgebildet“ oder „abstrakt“, als Malerei heissen die Arbeiten „Steinernes Meer“ oder „Hahnenwiese“, Namen als Metaphern. Oft, so Titz, resultieren aus einem Bild mehr Fragen als Antworten, bei der Suche nach dem Verborgenen im Sichtbaren. Solche Beispiele sind etwa die Darstellungen des weststeirischen Bergbaugebietes wie auch die Tempera-Arbeit „Wien, ziemlich weit unten“ aus dem Jahr 2004. Verletzungen, die der Mensch seiner Erde zufügt, kann die „Natur“ – bzw. die Malerei! – wieder schön und gut machen.
In einem ausführlichen Essay interpretiert der in München tätige Kunstwissenschaftler Peter O. Krückmann die prägnante Arbeit „Zigöller“ von 1997, ein Aquarell über Zeichnung und Collage. Das ist der Kogel nördlich von Köflach, wo Dampfhofer wohnt. Den Zigöllerkogel umgeben wie im Comic Tiere, Maschinen, Geräte, Menschen. Diese Gestaltung ist zugleich assoziativ und mythisch, wie die Schaffung einer neuen Welt auf dem Boden der alten, jede mit ihren Widersprüchen. \ Hedwig Wingler

Belletristik


Etikette: Imperialismus

Stefan Bollinger (Hg.): Imperialismustheorien. Historische Grundlagen für eine aktuelle Kritik. Wien: Promedia Verlag 2004, 184 Seiten, 12,90 Euro
Seit dem Untergang der Sowjetunion und des kommunistischen Systems im „Ostblock“ war nicht mehr viel von Imperialismus zu hören. Der Krieg der USA gegen den Terror sowie der US-Angriff auf den Irak haben die kritischen Geister wieder hellhörig gemacht, der Ruf nach einer konsistent antiimperialistischen Kritik wurde neuerdings laut. Das vorliegende Buch fragt nach Fakten und Theorien, die im 20. Jahrhundert dem Kapitalismus in den Metropolen das Etikett „Imperialismus“ verpassten. Die Autoren rufen mit Hilfe dieser Analysen linke Theoretiker in Erinnerung, die zu Beginn des vorigen Jahrhunderts die imperialistische Expansion  gegeißelt haben. Textstellen klassischer Autoren werden vom Herausgeber kommentiert und in ihren historischen Kontext gestellt. / pm


Die blaue Blume des Nationalsozialismus

Kornblumen. Projekt-Tagebuch von Sigi Faschingbauer. Graz: Edition Keiper 2009, 202 Seiten, EUR 29,90
2006 traten die neu gewählten Abgeordneten der FPÖ mit Kornblumen im Knopfloch zur konstituierenden Sitzung des Nationalrates an. Drei Jahre zuvor hatte der Grazer Designer und Grafiker Sigi Faschingbauer in einer Kärntner Mostschank einen seltsamen Herrgottswinkel entdeckt, in dem ein mit einem Kornblumenkränzchen geschmücktes Hitlerbild hing; damals fasste er den Gedanken zu einem Projekt, das schließlich unter dem Titel „Kornblumen“ die Form eines künstlerisch-politisch-persönlichen Tagebuchs der Zeitspanne von März 2007 bis März 2009 annahm und nun in der edition keiper erschienen ist. Und weil gute Menschen Freunde haben, kommen die im Buch auch zu Wort – von Birgit Pölzl über Mathias Grilj bis Alfred Kolleritsch. Ein Genuss für Auge und Verstand und ein Schlag ins Gesicht aller Kornblumen-Missbraucher. \ cs
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