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Der Krampf mit den Nuller-Jahren
Freitag, 16. Oktober 2009

Aufwärtshaken – Das Sportfeuilleton - von Gregor I. Stuhlpfarrer

Vor knapp einem Jahr stellte die hoch geschätzte Berliner Redaktion des Magazins 11Freunde (Magazin für Fußball-Kultur) die eigene Leserschar vor die Qual der Wahl: Aus einer Palette von 100 ziemlich schrillen, mitunter aus der Spur geratenen Fußballern sollten die „11 größten Querköpfen des deutschen Fußballs“ gekürt werden.

Beachtlich, einerseits die elf „echten“, teils jenseitigen, Typen, andererseits die breite Beteiligung des interessierten Lesers und der erinnerungswilligen Leserin; immerhin 3700 11Freunde-FreundInnen stimmten ab. Aber auch ein Jahr nach dieser Wahl ist der Hunger nach Ecken und Kanten groß, das Lechzen nach Abwechslung ist noch lauter und der steirische herbst fragt: „All the same – Was gilt, wenn alles gleich und gültig ist?“ Was dabei auffällt: Das aktuelle Jahrzehnt exponiert sich farb- und ideenlos, bahnbrechende Neu-Perspektiven sind nicht in Sicht. Die „11 größten Querköpfe des deutschen Fußballs“ sind da ein erfrischender Gegenpol, ihre Andersartigkeit ist die Antithese zu all den aalglatten Exponaten angepasster Gleichgeschaltetheit, die auf diversen Bühnen und Nebenbühnen des Landes nach Aufmerksamkeit heischen. Vom „Teflon-Kanzler“ Werner Faymann abwärts wird genickt und gelacht und nur ja nicht diskutiert oder gar angeeckt, die Popkultur besinnt sich entweder auf alte Tugenden oder glänzt durch Inhaltsleere. Ebenfalls kaum verwunderlich, dass just ein Journalist aus dem Bereich Society den siechenden staatlichen ORF retten soll. (Zugegeben, lustig ist er manchmal schon, der Dominic Heinzl.)
Diese Angepasstheit der Nuller-Jahre wird auch durch den Blick in den Rückspiegel der Sportgeschichte deutlich. In den 1980er Jahren beispielweise erfand sich der Tennissport wahrscheinlich endgültig neu: Tennis wurde bunt, Trikots, Hosen und Socken verabschiedeten sich vom Einheits-Weiß und die Schickeria-Etikette war passé. Dafür sorgten nicht zuletzt kantige SpielerInnen wie John McEnroe oder Martina Navrátilová, später dann vor allem Andre Agassi. Die genannten Damen und Herren hatten auch abseits des Tennisplatzes was zu melden, unter der Oberfläche verbarg sich tatsächlich noch etwas, was ihn oder sie unverwechselbar machte. Heute hat der Tennissport an Aufmerksamkeit eingebüßt, mitunter auch deshalb, weil sich die Filzkugelakrobaten dieses Erdballs kaum voneinander unterscheiden, Tennis-Damen wie Tennis-Herren sind demnach in die Gleichförmigkeit zurückgefallen. Neben ausgefeilten Fertigkeiten mit Ball und Schläger dominieren in den Nuller-Jahren in erster Linie äußerliche Bestmarken. Anders ist es kaum zu erklären, dass das Gros der erfolgreichen Damentenniswelt wohl ohne weiteres bei America’s Next Top Model und Tyra Banks antanzen könnte und zumindest ein Gutteil der Tennisherren als Rettungsschwimmer von Malibu nicht negativ auffallen würde. Gut und schön, ja, ohne Zweifel, allein, immer weniger Menschen nehmen wirklich Notiz vom Einheits-Tennis im Jahr 2009.
Ein ähnliches Bild offeriert die Formel-1. Der amtierende, jüngste Weltmeister der Formel-1-Geschichte, Lewis Hamilton, macht den Eindruck, als hätte er bereits im Kindergarten verbissen an seiner Karriere gebastelt, kaum vorstellbar, dass zwischen ihm und den extrovertierten Piloten wie Jochen Rindt (siehe Bild), Mario Andretti, Gilles Villeneuve oder Keke Rosberg der Schmäh gelaufen wäre.
Unangepasste Widerständigkeit hat noch am ehesten König-Fußball zu bieten, wenngleich auch nur noch in homöopathischen Dosen. Trotzdem könnte sich der pathetische Mensch dazu bemüßigt fühlen, den Fußball als letztes Reservat fernab der Beliebigkeit der Nuller-Jahre zu adeln. Klar, Spieler vergangener Epochen, beispielweise ein Günter Netzer, der fußballerische Charakterkopf der Revolte, bleiben nicht nur unvergesslich, sondern auch unvergleichbar. Gleichzeitig sorgen aber auch aktive Ballesterer am und abseits des heiligen Rasens für reichlich Abwechslung, trotzen dem faden Einheitsbrei und bieten somit jede Menge Identifikationspotenzial. Der Fußball macht allen Anschein, zeitlos zu sein, nicht einmal die perspektivenlosen Nuller-Jahre können dagegen wirklich etwas unternehmen. In diesem Punkt hat der deutsche Trainer-Fuchs Hans Meyer ganz Recht: „In schöner Regelmäßigkeit ist Fußball doch immer das Gleiche“.

Gregor Immanuel Stuhlpfarrer ist Historiker, Theologe und KORSO-Redakteur.
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