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Organtransplantation: Kein Entkommen aus der Warenwelt? |
Freitag, 16. Oktober 2009 | |
Wimmlers Demontagen - von Karl Wimmler Manchmal frage ich mich, ob es das Gesetz der Serie auch in der Berichterstattung gibt. Oder was war es, was in den letzten Monaten Berichte über weltweiten Organhandel wieder einmal ausufern ließ? – Mir geht ja das periodisch aufflackernde Geschreibe und Geschrei zu diesem Thema ziemlich auf die Nerven. Verbreitet werden in der Regel einige Gruselstorys, die bald ohne konkretes Rechercheergebnis wieder der nächsten Aufreger-Story weichen. Zurück bleiben bei den Konsumentinnen und Konsumenten dieser Geschichten dumpfe Verdachtsmomente, ein bisserl Schauer – und Unwissen über die tatsächlichen Umstände. Spitzenreiter im Meldungsbogen war dabei in den letzten Jahren immer wieder China. Da konnte man das jahrzehntelang eingeübte Kalter-Kriegs-Geschreibe munter weiter kultivieren, ohne sich viel um Konkretes kümmern zu müssen. Meines Wissens erstmals wurde im September dieses Jahres nach jahrelangen allgemeinen Geschichten in der Tageszeitung „Der Standard“ festgehalten, dass Transplantationstourismus in China seit 2007 ausdrücklich verboten ist. Dass die Zahl der Organentnahmen von Hingerichteten beachtlich zurückgedrängt werden konnte, dass der Vizegesundheitsminister im Zusammenhang mit Organtransplantationen offiziell einen Kampf gegen Seilschaften aus korrupten Ärzten und Justizbeamten ausgerufen hat, da manche Zustände mit einer „zivilisierten, fortschrittlichen Gesellschaft nicht vereinbar“ seien. Zugleich war bekannt geworden, dass sich 17 Japaner unter falschem chinesischen Namen in chinesische Spezialkliniken begeben hatten, um dort um rund 60.000 Euro ein Organ implantiert zu bekommen, das Sechs- bis Achtfache, was die Operation für Chinesen kostet.Zum selben Thema ist im August dieses Jahres zwar über einen „Eklat zwischen Israel und Schweden“ berichtet worden, nachdem eine schwedische Zeitung über den angeblichen Diebstahl von Organen toter Palästinenser berichtet hatte. Aber damit hatte es sich schon wieder. Ungeklärt sind darüber hinaus immer noch die serbischen Vorwürfe wegen Fällen von kosovo-albanischem Organraub. Sonderbarerweise ungeklärt. Und neben fallweisen Kurzmeldungen über Vorkommnisse in der Republik Moldau ist schließlich ebenfalls im heurigen Jahr in den USA ein Organhändlerring aufgeflogen, der Organe für US-amerikanische Empfänger zur Implantation in den USA importierte. Das löste allgemeine Überraschung aus. „Denn wenn sich reiche Amerikaner bisher illegal ein Organ besorgten und einpflanzen ließen, dann fand das in Entwicklungsländern statt, wo die Gesetze solche Transaktionen leichter zulassen“. So beschrieb es die Wiener Zeitung am 29. Juli dieses Jahres. Versicherungs-Zuschüsse für den Organhandel. Damit bin ich nun endlich wieder in unserer ehrenwerten westlichen Wertegemeinschaftsgesellschaft angekommen. Denn parallel mit der Entwicklung wirksamer und nebenwirkungsarmer Immunsuppressiva, auf die jeder Transplantierte lebenslang angewiesen ist, schossen in den letzten beiden Jahrzehnten hauptsächlich in Asien, aber auch in Südamerika, in durchwegs neokolonial abhängigen Staaten des sogenannten Westens bzw. Nordens, jede Menge Spezialkliniken aus dem Boden, die sich auf zahlungskräftige Empfänger aus den reichen Ländern eingerichtet haben. U. a. auch mit deutschsprachigen Web-Seiten. Und die „verbrannte Erde“ in neuer Form hinterlassen, wie jene „Nierendörfer“ in asiatischen Ländern, voller gesundheitlich schwer angeschlagener junger Männer, die ihre materielle Not durch den Verkauf einer Niere zu lindern hofften und nun erst recht in der Hölle gelandet sind. Das aber ist für den hiesigen Medienbetrieb nicht sonderlich interessant: Sobald der Vorgang auf Kauf und Verkauf reduziert ist, auf den Tausch Ware gegen Geld, da verstummen unsere Wertegemeinschaftler in der Regel. Während sie einen moralischen Rappel vor sich hertragen, wenn die Warenbeziehung quasi verunreinigt wird durch Beziehungen der staatlichen Gewalt und der Korruption. So wie sie zwar in der Lage sind, einen Kurzbericht über ein schwedisch-israelisches Geschrei zu verfassen. Aber nichts darüber, dass Israel seit langem den Handel mit Nieren offen toleriert. Es ist normal geworden, dass israelische Patienten, von einem israelischen Ärzteteam begleitet, in Länder wie Estland, Bulgarien, Georgien und Rumänien fliegen, wo ihnen ein Organ transplantiert wird. Die heimischen israelischen Behörden bzw. Krankenversicherer bezuschussen den Vorgang mit einem erheblichen Teil der Kosten. Im Falle von Nierentransplantationen, die die überwiegende Mehrzahl derartiger Fälle darstellen, ist das „ökonomisch“ leicht begründbar, wird doch durch die Transplantation die kostenintensive Dialysebehandlung hinfällig. Das ist für Patienten, die auf ein lebensrettendes Organ warten, natürlich nicht unangenehm. Aber letztlich nichts anderes, als die Ausdehnung des ungleichen Welthandels auf die Ware Mensch selbst. Weshalb zwischen Menschenhandel, der hauptsächlich Frauenhandel ist, und Organhandel nicht zufällig Verbindungen gegeben sind. Ganz im Sinne des Verses von Bertolt Brecht aus seinem bis heute am meisten angegriffenen Stück „Die Maßnahme“: Weiß ich, was ein Mensch ist? Weiß ich, wer das weiß! Ich weiß nicht, was ein Mensch ist Ich kenne nur seinen Preis Hier dürfen wir mal stolz sein. Jetzt kommt aber etwas, was es in dieser Kolumne selten gibt – das Positive! Ja, das gibt es! Die Anreize für Österreicherinnen und Österreicher, sich am Transplantationstourismus und Organhandel zu beteiligen, sind minimal: Das liegt erstens daran, dass die gesetzliche Krankenversicherung Organtransplantationen im eigenen Land ohne Altersbegrenzung zur Gänze übernimmt. Und keine „wählbaren“ Varianten kennt, die in fast allen Ländern mit privaten Krankenversicherungen gang und gäbe sind. Zweitens ist die Möglichkeit der Einflussnahme auf den Zeitpunkt des Erhalts eines Organs für niemanden gegeben. Zumindest konnten bisher diesbezüglich keinerlei „Unregelmäßigkeiten“ beobachtet werden. Drittens sorgt die sogenannte „Widerspruchslösung“ dafür, dass erheblich mehr Organe von Toten transplantiert werden können als in Ländern mit „Zustimmungslösung“. Und viertens gibt es einen unschätzbaren Werbewert für die Lebendspende von Nieren: Wenn ein ehemaliger Bundeskanzler wie Vranitzky seiner nierenkranken Frau eine Niere spendet, und eine Person wie Niki Lauda zuerst von seinem Bruder und dann von seiner Lebensgefährtin und nunmehrigen Frau eine Niere bekommt, dann ist das neben vielem anderem auch ein hervorragendes Argument dafür, wenigstens in diesem Punkt nicht das eigene Heil mit dem Elend von anderen zu erkaufen. Und übrigens: Ein Fall von Organhandel in Österreich oder mit Beteiligung von Österreichern ist bis dato nicht bekannt geworden. Und schließlich: Am 27. Juni dieses Jahres wurde in Graz die tausendste Nierentransplantation durchgeführt. Karl Wimmler ist Historiker und Kolumnist des KORSO.
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