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„Manchmal schäme ich mich, dass ich Schriftsteller bin“
Freitag, 16. Oktober 2009
Erstmals kommt ein Grazer Stadtschreiber vom afrikanischen Kontinent. Fiston Mwanza Mujila werde einen „völlig unverstellten“ Blick auf die Graz werfen, mutmaßte Kulturstadtrat Wolfgang Riedler bei der Vorstellung des jungen kongolesischen Autors – und der replizierte höflich: Er wolle nicht nur die Stadt bewohnen, sondern auch die deutsche Sprache, die er ja erst erlernen müsse; und „die Glocken von Graz werden mir dabei helfen, meinen ersten Roman zu vollenden.“ Ein literarisches Projekt mit Gefangenen gehört ebenso zu seinen Plänen für das kommende Jahr wie ein zweiter Gedichtband nach der eben erschienenen ersten selbstständigen Publikation „Poèmes et Rêvasseries“ sowie ein noch zu verwirklichendes Theaterstück. Darin wird es um Migration gehen: Gott rät einem jungen Afrikaner im Traum, nach Deutschland zu gehen, weil er eigentlich ein Deutscher sei; aber eine andere Stimme verbietet es ihm kategorisch, sodass der junge Mann in schwerste Gewissensnöte gerät.

Kolonialismus und Négritude: Historische Erscheinungen. Wo sieht Mwanza Mujila seine eigenen literarischen Wurzeln, frage ich ihn, als wir uns wenige Tage später zu einem Gespräch treffen. In der auch in Europa als Ausdruck eigenständiger afrikanischer Literatur rezipierten Négritude, die sich auf die Wurzeln afrikanischer Kultur besinnen wollte und doch hauptsächlich einen Reflex auf den Kolonialismus darstellte, liegen sie jedenfalls nicht, so viel ist mir nach der Lektüre einiger Gedichte aus den „Poèmes et Rêvasseries“ klar. Und Mwanza wehrt auch entschieden ab: Nein, diese Zeit sei vorbei, für ihn seien sowohl Kolonialismus als auch Négritude historische Erscheinungen, die in der Zeit vor seiner Geburt liegen.

Anfänge und literarische Traditionen. So machen wir uns dialogisch an die Erforschung der Einflüsse, die ihn geprägt haben: Fiston Mwanza ist in einer für kongolesische Verhältnisse wohlhabenden Familie in Lubumbashi, der zweitgrößten Stadt der demokratischen Republik Kongo, aufgewachsen und besuchte eine christliche konfessionelle Schule, dort begann er mit 15 zu schreiben – „hauptsächlich, weil ich schüchtern war und um den Mädchen zu imponieren“, lächelt er. Sein Vater – ein angesehener Kaufmann  – wollte, dass er Jus, seine Mutter, dass er Medizin studiere. Statt dessen entschied er sich für Geistes- und Humanwissenschaften, ein Studium, das er 2007 mit dem Master Degree abgeschlossen hat. So geriet er auch in engen Kontakt mit einer literarischen Tradition im Umfeld der Universität von Lubumbasha, aus der mir Mwanza eine Reihe von – im nicht frankophonen Europa wenig bekannten – Namen zitiert: Valentin-Yves Mudimbe (nun Professor in Stanford), Georges Ngal, Kadima Nzuzi und weitere, die nahezu alle im Exil leben. „Ich bin ein Teil  dieser elitistisch geprägten akademischen Strömung“, sagt Mwanza, „aber ich möchte sie öffnen.“ Bei gemeinsamen Ausstellungen mit Freunden, die Bildhauerei und Malerei studieren, kann er Kontakte knüpfen, die ihm Einladungen zum Literaturfestival „Kwani“ in Nairobi, zu Literaturworkshops nach Kinshasa und später auch nach Europa einbringen: Mwanza lebte von Juni 2008 bis Oktober 2009 als Stipendiat der Heinrich-Böll-Stiftung im nordrhein-westfälischen Düren.

Der Exotismus der Vorstadt. Der junge Schriftsteller beginnt sich für die einfachen Menschen in den Vorstädten zu interessieren und besucht die Kinos und Bars jener Stadtviertel, die er als Kind und Jugendlicher nicht betreten durfte. Er beschäftigt sich mit ihrer Art sich auszudrücken – im Gegensatz zur akademischen literarischen Tradition verwendet er in seinen Texten auch die Alltags- und Gossensprache – und mit ihrer (Über)lebensstrategie, die darauf beruhe, „dass sie die Bürde nicht fühlen, die auf ihren Schultern lastet, und nur für das Heute leben.“
„Ich suche den Exotismus der Armenviertel“, merkt er selbstironisch an. .Der äußert sich unter anderem in einer bizarr anmutenden Unterwerfung unter Autoritäten: „In einem der Vorstadtkinos, in dem ich öfter zu Gast war und wo man auch mal auf Kredit oder gegen eine Flasche Bier einen Film ansehen kann, verkehrte auch ein hoher Militär. Wenn ihm eine Szene besonders gefiel, pflegte er die Hand zu heben: Dann stoppte der Vorführer den Projektor und zeigte die Passage noch einmal – und die anderen Zuschauer applaudierten.“

Von Sozialromantik hält Fiston Mwanza nichts: „In meinen Texten gibt es keine Moral, es gibt Arme und Reiche, und am Ende siegen immer die Reichen. genau wie es in der Realität der Fall ist.“ Den Armen bleibt zumeist nichts anderes als sich umzubringen; „es ist besser, dass sich jemand aufhängt, als dass er weiter leidet.“ Victor Hugo nennt er sein Vorbild, was sein Interesse für die Lage der unteren Klassen betrifft; was die Schilderung der Unausweichlichkeit des Abstiegs bis hin zur physischen (Selbst)Vernichtung angeht, fiel dem Autor dieser Zeilen allerdings Guy de Maupassant noch vor dem Autor der „Misérables“ ein. Nicht als Akt des Aufbegehrens, sondern im heroischen Entschluss, ihrem Leiden ein Ende zu machen, erhängen sich in seinem gerade in Entstehung begriffenen Roman „Tram 83“ – benannt nach einer Nachtbar, die von all jenen besucht wird „die noch nicht nach Hause gehen wollen“ – Prostituierte am Gehsteig, Lehrer im Klassenzimmer, Lokomotivführer zwischen den Schienen; und ein ganzes Dorf stürzt sich kollektiv ins Meer. Realität und surreale Elemente mischen sich, Symbolisten wie Apollinaire und Rimbaud zählt Fiston Mwanza ebenso zu den Dichtern, die ihn inspiriert haben, wie den Surrealisten Breton und den magischen Realisten García Marquez. Den Rhythmus seiner Sprache sieht er aber auch vom Jazz beeinflusst: „Ich liebe John Coltrane und Louis Armstrong.“

Eine soziologische Arbeit. Er stütze sich bei der Erarbeitung seiner Stoffe gerne auf Gerüchte, sagt Fiston Mwanza, „sie sind Überbleibsel der oralen Literaturtradition.“ Es gebe „reale Vorkommnisse, die nur in den Gerüchten leben, weil sie in den offiziellen Medien zensuriert werden“ – wenn eine politische Autorität mehrere Maitressen habe, dann werde das im Fernsehen verschwiegen, das Gerücht verbreite sogar ihre Vor- und Nachnamen. Seine Arbeit habe auch eine soziologische Komponente, er beschäftige sich unter anderem damit, wie sich der Begriff „Arbeit“ in der kongolesischen Gesellschaft ändere: „Es gibt viele Männer, die noch nie in ihrem Leben gearbeitet haben; sie werden von ihren Frauen ernährt. Das ändert die Geschlechterbeziehungen, weil die Männer auf den Status von Kindern zurückfallen.“
Warum verfasst Fiston Mwanza seine Werke nicht in einer der autochthonen Sprachen, wenn das Thema seiner Werke doch das Los der kleinen Leute ist? Aus pragmatischen Gründen, antwortet er: Alle, die lesen können, beherrschen auch Französisch, da mache es keinen Sinn, auf Lingala oder Swahili zu schreiben und sich auf diese Weise von einem internationalen Publikum abzuschneiden.
Manchmal allerdings, gesteht er, empfinde er angesichts der gewaltigen sozialen Probleme des Kongo ein wenig Scham, dass er die Laufbahn des Schriftstellers eingeschlagen habe. „Dann denke ich mir allerdings, dass ich durch mein Vorbild vielleicht den Wert der Bildung vermitteln kann, die unsere Jugend dringend benötigt.“
| Christian Stenner
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