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Wie Peter Kubelka den Strettweger Kultwagen fuhr
Archiv - Kultur
Dienstag, 11. April 2006
Image Mit Werken wie Adebar (1957), Schwechater (1958), Arnulf Rainer (1960) und und Unsere Afrikareise (1966) setzte Peter Kubelka Marksteine des internationalen Avantgarde-Filmes. Nachdem er sein Filmschaffen „theoretisch verteidigen" musste, beschäftigte er sich mit anderen Kunstgattungen, „unter anderem auch mit Kochen".

„Mein Denken", erzählt er, „entsteht aus dem, was mich der Film gelehrt hat". Mit Peter Konlechner gründete er 1964 das Österreichische Filmmuseum in Wien. An der Städelschule in Frankfurt leitete er von 1980 bis 1999 die „Klasse für Film und Kochen als Kunstgattung".

Zur Ausstellung „Das Antlitz des Königs" in Schloss Eggenberg sprach Peter Kubelka im Eggenberger Planetensaal von den „Anfängen der Kunst". Seine Vorträge haben performativen Charakter, Kubelka bewegt sich erzählend und assoziierend durch den Raum, während er immer wieder Schaustücke aus der eigenen Sammlung heranzieht, viele prähistorische, wie Knochen, zoomorphe und anthropomorphe Werkzeuge, Trinkgefäße oder einen Schöpflöffel, der aus einem Kürbis gefertigt ist.

Der Gebrauchsgegenstand als Nachahmung des menschlichen Körpers. Ein Glas Mineralwasser steht zu nah am Strettweger Wagen – es ist das Original aus dem 7. Jh. v. Chr. – und Joanneum-Chef Peter Pakesch unterbricht Kubelka auch gleich, sichtlich nervös: „Peter, kannst du das Glas wegstellen. Mir ist nicht ganz wohl dabei." Flugs übernimmt Kubelka das Stichwort und kommt von „Glas" zu „Gefäß", indem er sich nun erst recht bedenklich nah, mit dem Zeigefinger darauf deutend, der Schale des Kultwagens nähert, die er offenbar gerne hochheben möchte, während zwei Herren eines Wachdienstes schon Anstalten machen, jetzt gleich einzugreifen. Doch Kubelka behält vorerst die Contenance: „Man hat mir zwei Herren zur Seite gestellt, damit ich hier nichts angreife." „Gefäß", fährt er fort, „kommt von fassen und ist eine Nachbildung der hohlen Hand." Dabei streift er den rechten Ärmel seines Sakkos hoch, „nicht nur reden, man muss auch zeigen", und öffnet die Manschette seines Hemdes, streckt den Unterarm aus und formt die Hand nach der Schale, die nach der Hand geformt ist. „Das war eine unglaubliche Leistung, das Herausformen eines Gefäßes aus – beim Auto würde man sagen ‘aus der Standardausführung’ – aus der Standardausführung des menschlichen Körpers." So entwickelte man Werkzeuge, „die uns helfen, durch’s Leben zu kommen, wir selbst sind das Modell für alle mechanischen Werkzeuge". Und Kubelka springt zu seinen eigenen Schaustücken und hebt mit der Linken jene Schöpfkelle hoch, die einmal Kürbis war, und legt sie an den immer noch blanken rechten Unterarm: „Beide erfüllen den gleichen Zweck. Das Eine entstand in Nachbildung des Anderen, jeder Löffel hat das (Hand und Unterarm) zum Modell."

Nicht der Reiter – das Reiten wurde dargestellt. „Die frühen Menschen waren Poeten, die, anders als heute, in einem poetischen Weltbild gelebt haben. Heute lebt man wochentags pragmatisch und geht sonntags zur Kirche. Damals war alles eine Einheit." Was Peter Kubelka mit dem Beispiel eines multifunktionalen Faustkeils, der vergrößerten Nachbildung eines Augenzahns, unterstreicht.
Er wendet sich wieder dem Kultwagen zu und zeigt auf eine darauf befindliche, wenige Zentimeter große Figur: „Das ist ein Mann, was man am erigierten Penis erkennt. Daraus ersieht man wieder, dass es sich hier um einen vorchristlichen Kult handelt, weil die Leut’ nackert san. In der Hand hält er ein Beil. Die Darstellung allerdings zeigt nicht die Hand und den Griff, mit dem er das Beil hält, sondern das Beil geht übergangslos aus dem verlängerten Arm hervor. Wir sind jetzt bei der begriffsbildenden Bildhauerei: Diese Figur zeigt den Beilmenschen, aus dem alle weiteren Begriffe hervorgehen wie arbeiten, hauen, töten. Das Bild führt über die Sprache hinaus." Figurenwechsel aus Kubelkas Fundus: Er zeigt eine kleine skythische Darstellung eines Reiters. Während Pferde- und Oberkörper des Reiters deutlich ausgearbeitet sind, fehlen menschliche Beine. So scheint der Reiter mit seinem Pferd verwachsen zu sein. Ebenso eine Figur aus Mykene. Diese Kleinplastiken, glaubt Kubelka, seien vorschriftliche Manifestationen, die nicht eine Person als reitend darstellen, sondern das Reiten als Kulturleistung, die in die Sprache eingegangen ist. „Die Entstehung der Skulptur ist zeitlich vor der Malerei anzusetzen. Die Malerei ist flach gewordene Skulptur." Noch einmal findet Kubelka sich bestätigt in den getriebenen Darstellungen auf einem Zistendeckel der Ausstellung des hallstadtzeitlichen Fürstengrabes: „Genau dieselben Darstellungen und der Reiter hot kane Fiaß, denn: er reitet."

Das Auto als rollende Höhle. „Jetzt kommt wieder der Wagen. - Dieser Wagen ist ein Glaubensbekenntnis. Mit ihm feiert man die Errungenschaften der Zeit." Der Wagen, diese Ebene auf vier Rädern, entsteht aus der Erkenntnis, „dass man die Erdoberfläche domestizieren und für sich nutzbar machen kann, unter anderem indem man nachbildet, wie man sich die Erde vorgestellt hat." Subjektiv erscheint uns die Erde auch heute noch flach, wie sie der Wagendarstellung entspricht. „Die flache Erde hat außerdem über sich die Schwerkraft, die uns permanent an sich und nach unten zieht. Unser ganzes Leben ist ein Kampf gegen die Schwerkraft, weshalb wir uns vorzugsweise mit aufrechtem Oberkörper bewegen. Wenn ich so steh’", er beugt sich nach vorne, „falle ich auf die Nase." Aus dieser pragmatischen Haltung im Kampf gegen die Schwerkraft und der subjektiv als waagerecht empfundenen Erdoberfläche „stammt die Erkenntnis des rechten Winkels. Wir befinden uns inmitten hunderter Beispiele der Domestizierung des rechten Winkels: Tische, Stühle, die Architektur des Schlosses als künstliche Erdoberflächen. Und so eine künstliche Erdoberfläche wird als Wagen beweglich." Nachdem der Mensch ein Wesen ist, das sich ein Leben lang bewegt, wird die Möglichkeit, sich auch auf einer künstlichen Erdoberfläche zu bewegen, in der Darstellung des Kultwagens gefeiert. „Der Wagen bewegt sich auf Rädern und Räder sind die Sonne." Und jetzt zieht Peter Kubelka ein ferngesteuertes Modell eines Geländewagens aus einem Sack und stellt es neben den Strettweger Wagen. „Ein weiterer Kultwagen, der ganz genau das Gleiche aussagt. Er ist nur unter der Maske des Spielzeugs aus dem Bereich des Religiösen und des Kults gefahren." Im Vergleich mit dem Strettweger beschreibt er nun beider Gemeinsamkeiten: „Sie sehen hier zunächst eine Höhle (Fahrerkabine), denken Sie an Peggau, eine rollende Höhle. Das Auto ist eine Rollhöhle. An den Rädern sehen Sie gleißende Sonnen, das ist der Kult der Felgen und Radkappen. Hier, um in die Höhle zu gelangen, haben Sie eine Stufe, die ihren Ursprung in der Leiter hat. Die wiederum war in vielen Kulturen ein Mittel der Erhöhung und spielt in Totenkulten maßgebende Rolle. Man entfernt sich über sie von der Erde. „Hier, bei diesem ferngesteuerten Ding, eine Antenne. Es gibt Schamanendarstellungen, die genau solche Antennen tragen, eben so in Byzanz und in der Bronzezeit. Das ist die Verbindung ins Überirdische. Dieser (der Strettweger) Wagen hat vorne und hinten ‘sehende’ Tierköpfe, die aus dem gezähmten Horizont herauskommen. Die sind hier (Spielzeug) als Scheinwerfer auf die Augen reduziert, abstrahiert. Im Auto sind Kultisches und Praktisches – es gibt praktischere Autos als das hier – verwirklicht." Während er nun fortfährt, fährt Kubelka los: Indem er mit einer Hand endlich auf die Plattform des echten Strettweger Kultwagens drückt und ihn so immer wieder über eine kleine Strecke auf dem Tisch hin- und herrollt. „Tragen, translozieren, ist eine der größten Kulturleistungen der Menschheit, die als Bild meta-phérein, übertragen, in die Sprache eingegangen ist, die Metapher." – Und Kultwagen dienen in erster Linie der Übertragung. Wenn auch prähistorisch Ort, Strecke und Direktion der Übertragung, im Glauben als Wissen, eindeutiger bestimmt gewesen sein mögen, so ist man in heutigen Kultwagen on the road to nowhere zumindest physisch schneller unterwegs.

Wenzel Mraček

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