Das nachhaltige Magazin für Graz und die Steiermark
„Die gefährlichste Firma der Welt“
Donnerstag, 17. September 2009

Wimmlers Demontagen - von Karl Wimmler

Jahrelang war ich ein zwar nicht ständiger, aber doch ziemlich regelmäßiger Leser von Nachrichtenmagazinen. Und ziemlich lange war da der deutsche „Spiegel“ allein auf weiter Flur, bis mir allmählich auch einmal „profil“ der Lektüre wert schien. Und manche Artikelsammlungen solcher Magazine werfe ich immer noch nicht weg, weil sie mir für diese oder jene Argumentation, Dokumentation oder Erinnerung brauchbar erscheinen.

Dazu gehört natürlich auch der Ärger, die falschen Dinge aufbewahrt und die richtigen entsorgt zu haben. Gerade über letztere ließe sich heute vermutlich mühelos ein heiterer Kabarettabend bestreiten. Lustig fand ich damals auch, immer wieder zu verfolgen, wie Geschichten, die am Montag im „Spiegel“ erschienen, im Lauf der Woche von diesem oder jenem Tageszeitungsjournalisten weiterverwertet wurden. Eine Titelgeschichte, die in Österreich im Allgemeinen und in der Steiermark im Besonderen komischerweise niemand breittreten wollte, war die des vermutlich außer Schwarzenegger einzigen Steirers, der es je auf die Titelseite und zur Titelgeschichte des „Spiegel“ geschafft hat. „Tod eines Supermannes“, lautete die Schlagzeile. Damals las ich das Magazin nur mehr sporadisch und es ist eine der letzten Titelgeschichten, die ich noch nicht entsorgt habe. Und das, obwohl sie von einem Menschen handelt, der ein mir völlig fremdes Metier betrieb, das mir darüber hinaus auch ziemlich gestohlen bleiben kann: Bodybuilding. „Das künstliche Leben und Sterben des Bodybuilders Andreas M.“, stand unter der Schlagzeile. Die „Spiegel“-Recherche über den damals in den einschlägigen Kreisen Deutschlands bekanntesten „Kraftsportler“ war aufwändig, gut und zutreffend. Heute liest es sich auf Wikipedia trocken und knapp, damals wurde dasselbe als „Verleumdung“, auch im engsten Bekannten- und Familienkreis dementiert: „Andreas Münzer (* 1964 oder 1965 in Pack (Steiermark), Österreich; † 14. März 1996 in München) war ein österreichischer Bodybuilder, der 1996 mit nur 31 Jahren an multiplem Organversagen infolge jahrelangem massivsten Dopings starb. Münzer soll folgende Substanzen verwendet haben: Clenbuterol, Halotestin, Testosteron, Valium, Stanozolol, die androgenen Steroide Masteron und Parabolan, das Wachstumshormon STH, Insulin, Aspirin, die Aufputschmittel Ephedrin, AN1 und Captagon.“ Wer Näheres wissen möchte, wird hiemit aufs Netz verwiesen. Soviel sei gesagt – es gibt natürlich eine Schwarzenegger-Connection, die über den Kranz des Kaliforniers bei Münzers Begräbnis hinausgeht. Aber all das war den hiesigen Berichterstattern und Meinungsmachern zu heikel. Wie die fließenden Grenzen zu sonstigen Wunderdingen im Spitzensport, sofern es der des eigenen Landes ist. Dopen war in der DDR.
Vielleicht bin ja nur ich mit den Jahren empfindlicher geworden, aber endgültig vermiest wurde mir der „Spiegel“ insbesondere seit den 90-er Jahren, als er nach dem Anschluss der DDR an die Bundesrepublik immer häufiger als Organ der vielleicht nicht unbedingt „wiedererwachten“, aber doch wieder viel zu selbstbewusst gewordenen Nation auftrat. Mit europäischer „Mission“. Inzwischen auch „Weltmission“ (Afghanistan ff.). Bis hin zu den fürstlich entlohnten Ergebenheitsadressen der Enzensberger und Biermann, die plötzlich überall „neue Hitlers“ oder „Wiedergänger Hitlers“ entdeckten, wo es grad gebraucht wurde. (Sorry, Freund Biermann, viele deiner auch neueren Lieder lieb ich wie eh und je, und ich lass mir diese Zuneigung durch keinerlei Schwachsinn vermiesen.) Nicht zuletzt dem „Spiegel“ war keine Geschichte zu blöd, um einmal die Islamisten, dann speziell Al Kaida zum allerbedrohlichsten Feindbildersatz nach dem diesbezüglichen Verlust der Sowjetunion aufzublasen, und die hiesigen nachplappernden Kommentatoren waren immer wieder zeitverzögert, allerdings durch das Internet verkürzt, bei der Stange.
Eine längere Bahnfahrt des heurigen Sommers hat mir nun „Der Spiegel“ vom 13. Juli dieses Jahres verkürzt. Titelseite: „Die gefährlichste Firma der Welt“. Abgebildet ist ein Sprengsatz mit dem Logo „AIG“ und dem Untertitel: „Wie ein Versicherungskonzern zum größten Risiko für die Weltwirtschaft wurde“. Zugegeben, manches ist gut recherchiert und in der üblichen Spannung erheischenden marktschreierischen Magazinsprache dem Thema nicht unangemessen. Am Ende bleibt dem Leser, der Leserin allerdings wenig anderes übrig als – Irritation und Angst. Was möglicherweise ein nicht unbeabsichtigter Nebenaspekt der ganzen Sache war. Quintessenz aber: Die durch die AIG drohende Gefahr muss abgewendet werden, koste es was es wolle. Der steirische Soziologe und Geld-Theoretiker Erich Kitzmüller schreibt in einem noch unveröffentlichten Text ebenfalls vom Juli dieses Jahres zutreffend: „Angesagt ist der ‚Kampf gegen die Wirtschaftskrise’. Eine Parallele zum ‚Kampf gegen den Terror’ – in beiden Strategien geht es nicht um das Ausräumen der Ursachen von Terror und Finanzkollaps, sondern um publikumswirksames Losschlagen auf Symptome. Also Rettungspakete zuerst für Banken, dann für die Autoindustrie, demnächst für alle, die starke Lobbys aufbieten können – und eben nicht für die vielen betroffenen ‚Kleinen’.“ Die fraglos die allergrößten Symptomschmerzen haben. Und nicht nur das, die inzwischen auch weiter erpresst werden mit Forderungen nach Lohnsenkungen, Ausdehnung der Arbeitszeit und anderem mehr.
„75-mal soviel“ als der Jahreshaushalt der UNO beträgt, habe AIG bis Juli 2009 aus dem US-Haushalt als Stütze erhalten, schrieb „Der Spiegel“. Das war zwar nicht ganz korrekt, es waren nur 40-mal soviel. Aber mir wäre schon das einfache UNO-Jahresbudget zuviel gewesen. Halte ich doch die UNO für wichtiger als AIG. Aber mit einigen BWL-Brettern vorm Kopf denkt man da anders. Weil offenbar ignoriert wird, was Kitzmüller so zusammenfasst: „Wirtschaft ist nichts Wirtschaftliches, ist nicht eine Sache von Gütern, Diensten, Preisen, optimaler Allokation usf. In erster Linie ist Wirtschaft Teil der Politik und Teil der Kultur.“ – Allerdings ist solches Denken keine brauchbare Umgebung für Konzerninserate. Die deshalb im „Spiegel“ landen.

Karl Wimmler ist Historiker und Kolumnist des KORSO.
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