Die 89-jährige österreichisch-amerikanische feministische Autorin und Historikerin Gerda Lerner präsentierte die deutsche Übersetzung ihres Buches „Fireweed“ („Feuerkraut“) an der Universität Graz.
Das Centrum für Jüdische Studien und die Abteilung Zeitgeschichte an der Uni Graz haben Lerner nach Graz eingeladen. Der Hörsaal ist voll. Am Ende werden die bereit gelegten Buchexemplare nicht ausreichen, um allen ein Autogramm zu sichern. Am Anfang steht eine Verortung des Buches durch die Autorin: „Wenn man alt wird, interessiert man sich sehr für die Bewertung seines eigenen Lebens. Den größten Teil meines Lebens war ich gar nicht erfolgreich. Die meisten Menschen kennen mich durch meine Bücher und Vorlesungen. Sie kennen nur die erfolgreiche Person. Das hat mich letzten Endes gestört. Ich war ja auch eine Linksradikale, eine Kommunistin, was in Amerika ja eine ganz schlimme Sache ist, und wurde deswegen verfolgt.“
Vom Versuch, authentisch zu leben. Als Gerda Kronstein 1920 in Wien geboren, wird sie sich vom jüdisch-bürgerlichen Elternhaus rasch emanzipieren. Leni, ihr Alter Ego im Roman, wird während des Austrofaschismus zwischen 1934–1938 für die Rote Hilfe tätig und beteiligt sich an Aktivitäten „einer geheimnisvollen illegalen Organisation“. Dieser kommunistische Widerstand ist ihre politische Initiation. Als Heranwachsende organisiert Gerda Kronstein die Flucht ihrer Familie vor den Nazis. Als Einzige der Familie flüchtet sie 1939 nach Amerika. Im Amerikaner Carl Lerner, der als Regisseur und Drehbuchautor arbeitet, findet sie den richtigen Weggefährten für eine 32-jährige Ehe und ein gemeinsames politisches Leben. Bis 1956 werden sie Mitglieder der CPUSA, der kommunistischen Partei Amerikas sein. „Wir hatten starke Wertvorstellungen und starke Überzeugungen, und wir hielten uns an sie. Wir hatten immer versucht, in dem Sinn, in dem Sartre das Wort benutzte, authentisch zu leben, und das versuchten wir auch in dieser Krise.“ So geschrieben in „A Death of One’s Own („Ein eigener Tod“ 1979), Gerda Lerners intellektueller Auseinandersetzung mit dem Sterben von Carl und zugleich Rückblende in ihre Wiener Vergangenheit. Hier findet sich der Schlüssel zum Schriftstellerpseudonym Rainer Margarete, unter dem sie ihr Erstlingswerk „No Farewell“ (deutsch: „Es gibt keinen Abschied“, erschienen zwischen 1953 und 1955 in mehreren Auflagen beim Globusverlag der KPÖ) veröffentlichte: Ihre Tante Margit (Margarete), wurde in Auschwitz umgebracht. „Es war eine primitive Geste, das Totem eines Namens mit der Toten zu teilen. Ich konnte meine Tante nicht betrauern, weil ich sie nicht wirklich gekannt hatte, aber ich verstand ganz genau, dass sie an meiner Stelle gestorben war.“ Traumatische Wiederholungen. „Meine Kindheit“, sagt Lerner, „lehrte mich die Weisheit und die Wirksamkeit des Widerstandes und die Notwendigkeit einer gesunden Skepsis gegenüber den Werten derjenigen, die die Regeln aufstellten.“ Nach ausführlichen Passagen über die Entwicklung vom Bürgerkrieg bis zum Einmarsch der Nazis zitiert Gerda Lerner bewegt die Radioansprache Schuschniggs – „und dann ertönte ein letztes Mal in voller Länge die süße Melodie der von Haydn komponierten Nationalhymne Sei gesegnet ohne Ende Heimaterde wunderbar.“ Fast wortgleich stehen diese Zeilen am Ende ihres autobiografischen Romans „Es gibt keinen Abschied“ für die Sehnsucht nach der verlorenen Heimat. Gerda Lerner ist eine willensstarke Kämpferin, das erweist sich auch in der Auseinandersetzung mit der McCarthy-Ära, die sie mit der Nazizeit in Beziehung setzt. Endlich dem „Irrsinn entkommen, davon hatten wir in Wien geträumt – Amerika! Nun war ich in Amerika und es gab kein Entrinnen.“ Sie schildert die Verhöre der Komitees und die dem „Stürmer“ ähnliche Hetzjagd der Medien als traumatische Wiederholung des in Wien Erlebten. „Aber die lange Tradition der Demokratie, die Absicherung durch die Bill of Rights, die Charta der Grundrechte, die Kontrollen und das Gegengewicht, dass von einer unabhängigen Rechtssprechung ausging, sorgten dafür, dass in den USA das Schlimmste verhindert wurde.“
Feministische Geschichtsschreibung. „Diese Autobiografie (Feuerkraut) endet 1958, in einem Jahr, in dem sich mein Leben in vieler Hinsicht entscheidend veränderte. Ich wurde von einer Außenseiterin zu einer Insiderin, von einer Schriftstellerin zur Historikerin, von einer Aktivistin zur Theoretikerin“ – und zur wohl einflussreichsten feministischen Historikerin weltweit. Ihr Anspruch: Die Unsichtbaren sichtbar zu machen. „Ich habe vierzig Jahre für die Rechte von Frauen und für den Status von Frauen als Historikerinnen gekämpft. Als ich Historikerin wurde, wurden Frauen so behandelt als würden sie in der professionellen Geschichtsschreibung nicht existieren“, erzählt sie in einem Radiointerview. Sie zeigt in ihrem Buch Die Entstehung des Feministischen Bewusstseins. Vom Mittelalter bis zur ersten Frauenbewegung (dt.1998), dass über Generationen hinweg immer wieder Frauen es verstanden, Kritik am Patriarchat zu üben und sich für die Rechte ihrer Geschlechtsgenossinnen einzusetzen. Sie organisierte schwarze Frauen in den USA und schrieb über sie das Buch Schwarze Frauen im Weißen Amerika, die erste historische Arbeit mit Primärquellen zu diesem Thema. Als sie als Außenseiterin Frauen als Frauen zu organisieren begann und im Congress of American Women tätig wurde, fand das wenig Verständnis in der Partei. Gerda Lerner schreibt sich heraus aus dem Marxismus, die Erfahrungen aus dem „grassroot activism“ motivieren ihr Denken: „Einer der großen Punkte, die ich gelernt habe, ist, dass soziale Veränderung durch langfristiges Engagement verbunden mit der Verpflichtung zur Transformation passiert und nicht durch gewaltsamen Umsturz. – Ich glaube sehr stark, dass Feminismus als Bewegung so angelegt ist, dass er nur auf friedliche Weise funktioniert. Der Feminismus hat enorme Veränderungen bewirkt, die oft übersehen werden. Wenn ich mich in die Perspektive einer Historikerin hundert Jahre nach unserer Zeit denke und auf das zwanzigste und einundzwanzigste Jahrhundert zurückblicke, so werden im Zentrum die Emanzipation der Frauen und die dadurch verursachten Veränderungen stehen. – Dieser Prozess ist irreversibel.“ Gerda Lerner schließt ihren Vortrag mit der Titel gebenden Metapher des Feuerkrauts: Aus der Brandwüste des Feuers „kommt das Feuerkraut – drängt seine beharrlichen Wurzeln unter die Asche – geduldig (macht) es neue Erde, dann kommen Hoffnung und neues Leben.“ Ende der Lesung, ein Moment der Stille, dann erhebt sich der ganze Saal. Standing Ovations für Gerda Kronstein, „Rainer Margarete“ und Gerda Lerner. | Manfred Handler
(„Feuerkraut“ ist 2009 im Czernin Verlag erschienen. Die komplette Lesung ist als Audiomitschnitt von Radio Helsinki unter http://cba.fro.at verfügbar.)
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