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Willi Hengstler: Meine Biennale |
Montag, 13. Juli 2009 | |
„Intellektuell spannend, visuell überzeugend“ wollte Daniel Birnbaum der Frankfurter Städel-Direktor seine Biennale 09. Das ist dem umgänglichen Schweden mit deutscher, amerikanischer und etwas Wiener Vergangenheit auch gelungen – vermutlich weil er ohne jede Berührungsangst, ganz undogmatisch moderne Klassiker neben Unbekanntere, Aufwändiges neben ganz Reduziertes stellt.
Birnbaums Motto für die Biennale „Fare Mondi“, „Welten machen“, mag die spätestens seit dem Finanzcrash wieder aktuellen Gegensätze wie global – national vorweg genommen haben. Aber es steckt auch der bekannte Mythos des Künstlers als Demiurg hinter diesem Ansatz, der auf quälende Stringenz verzichtet. Damit gewinnt die diesjährige Biennale eine gewisse Entspanntheit – und das bei 77 über die ganze Lagunenstadt verteilten „partizipierenden Ländern“, zusätzlich zu „Giardini“ und „Arsenale“. Und dazu kommt noch das neu eröffnete Museum Punta Della Dogana des französischen Industriellen Pinault. Fliegen im Netz der Kunst. Das Arsenale ist diesmal weder verbaut mit Kojen, noch zugedröhnt mit Videos, und bietet ein Widersehen mit alten Bekannten: unter der Decke schwebt die Modellstadt des visionären Yona Friedman, nur Karton und Sperrmüll und trotzdem beeindruckend. Pistoletto zeigt monumentale, kunstvoll zerbrochene Spiegel in einem Raum, den man leider nur auf einem Steg passieren kann. Minimalistisch sind auch die Spazierstöcke von Richard Wentworth, die an den Mauern hängen. In den ersten Raum des Arsenales hat Lygia Pape ihre Schnüre gespannt, die im Licht zu Gold werden. Sie bilden ein Pendant zu Tomas Saracenos raffinierten Spinnwebennetz im großen Saal des italienischen Pavillons. Indem sich die Besucher in Saracenos Raum hineinbewegen dürfen, werden sie auch allesamt zu Fliegen im Netz der Kunst. Reduziert sind auch Yoko Onos Anweisungen, „Höre auf den Herzschlag“, und Cattelan irritiert mit bunt geringelten Stäben, die er in die Bereiche seiner Kollegen schmuggelt. Eine kleine Sensation ist der Raum der japanischen, 1951 gegründeten Künstlergruppe Gutai: Man geht über einen Steg aus losen Platten, hält sein Ohr an einen Holzwürfel…Vorwegnahme von Happenings oder Wurms „Skulpturen“. Die hintersinnigste aller dieser Denk-Kunst-Stücke bietet Roman Ondak, der die Büsche und Bäume des Parks einfach durch den entkernten tschechischen Pavillon fortpflanzt: Was ist Kunst, was Natur, was drinnen, was draußen? Zwar finden sich im US-Pavillon keine neuen Arbeiten von Bruce Nauman, aber „Topological Gardens“ ergibt zusammen mit zwei Ergänzungen in der Stadt eine schöne Gesamtschau über die kargen und gleichzeitig perfekten Arbeiten des philosophischen Amerikaners. Erdöl und Blut. Andere haben „Fare Mondi“ wörtlich genommen und lassen die Besucher sich in künstlichen Welten aufhalten. Natahlie Djurberg lässt einen schwülen, bunten Kunstdschungel im Keller des Hauptpavillons wuchern. Unter üppigen Kunstpflanzen stehend verfolgt man auf zwei Bildschirmen ein gewaltsames Getümmel aus geistlichen Würdenträgern und Kindfrauen. Die perfekt gefilmten Protagonisten aus Plastilin befingern, verschlingen und zerstören einander obszön. Im nordischen Pavillon variieren Elmgreen & Dragest Birnbaums Motto besucherfreundlich entspannt. Die Besucher streifen durch den bis ins Detail inszenierten, fashionablen Bungalow eines Kunstsammlers, der draußen tot im Swimming Pool treibt: ein Film-noir-Zitat aus Billy Wilders „Sunset Boulevard“, das einen narrativen Rahmen für eine Gruppenausstellung mit „echten“ Installationen, Videos, oder Bilder u.a. von Guillaume Bijl, Cattelan oder Wolfgang Tilmans bietet. Eine auf andere Weise geschlossene Kunstwelt bietet der russische Pavillon. Im Keller bewegt eine automatische Hand ein Bild, ein mechanischer Dichter kritzelt am Tisch, dazu Feldtelefon, Gulagpritsche, Modergeruch. Im Obergeschoß stehen zwei transparente Miniaturen der Nike von Samothrake, der Siegesgöttin. Durch eine wird Erdöl, durch die andere Blut (oder roter Farbstoff) durchgepumpt und der Vorgang simultan auf die Wand projiziert. Der Pavillon verstört mit seiner beunruhigenden Mischung aus sicherem Instinkt und scheinbarer Geschmacklosigkeit, wird zur Geisterbahn für (politische) Schreckenskunst. Tabu. Auf dem österreichischen Pavillon, steht außen „Tabu“ drauf; innen hat ihn Elke Krystufek mit Fresken nackter Männern geschmückt. Ein Video erklärt vermutlich das Tabu (oder seinen Bruch), aber wegen des auf den Monitor fallenden Sonnenlichts lässt es sich nicht betrachten. Dafür ist Dorit Margreiters S/W-Film „Aporia“, in dem der Pavillon mit klassischen Fahrten auf seine politische Charakteristik abgetastet wird, ausgezeichnet präsentiert. Das Konzept allerdings wird durch die anekdotisch einstreuten Bilder von den Installationsarbeiten der Kollegin Krystufek gestört. Das Ehepaar Weinberger lässt in seinem Verschlag nebenan Heu vermodern und zeigt im Pavillon kleinere Arbeiten – beklemmend direkt und doppelsinnig ein Kreuz aus Fliegenpapier, voll mit Fliegen. Mit Recht bewundert für seine verdichteten, dokumentarischen Videoarbeiten und in Cannes für den sehr beachtlichen Spielfilm „Hunger“ prämiert, zeigt Steve McQueen ein Video über die Giardini außer Betrieb. Wunder der Großaufnahme (Käfer, Rinde, Raupen) gelegentlich auftretende Hunde oder ein vorüberziehendes Hochseeschiff. Die feierliche Vorführung (streng kontrollierter Einlass, Licht aus, weihevolles Schweigen) macht den Film nicht besser. Gigantomanische Kunst für großes Geld. Baldessari, der gemeinsam mit Yoko Ono den Goldenen Löwen für das Lebenswerk bekam, hat die pseudoantike Front des italienischen Pavillons für „Fare Mondi“ mit einer Meerestapete, die wie selbstverständlich wirkt, kaschiert. Auch Tatao Ando hält in François Pinaults Museum Punta Della Dogana den Eingangsbereich und den sparsamen Raum für Cafeteria und Shop bescheiden. Der japanische Stararchitekt hat dem riesigen Tortenstück aus Ziegeln am Ende der Giudecca Holdecken und Betonwände eingezogen, um einen fabelhaften Parcour unter den alten Deckenbalken zu legen. Immer wieder können die Besucher von „Mapping the Studio“ mittels der Durchgänge, Balkone und gläsernen Balustraden sich des zurück gelegten Weges und der bereits gesehen Exponate versichern. Letztere sind allerdings im Gegensatz zu Tadao Andos zurückhaltender Adaption meist extrem spektakulär und monumental: Catellans mit dem Kopf hoch in der Wand steckendes Pferd, riesige Bilder von Sigmar Polke, Mike Kelleys „Kandors Full Set“, 21 beleuchtete Flaschen und Glaskörper im Dämmerlicht, „Fucking Hell“ Miniaturwelten der beiden Brüder Jake und Dinos Chapman, in denen unzählige winzige Figuren ein einziges, wenn auch beziehungsreiches Metzeln betreiben: Gigantomanische Kunst für großes Geld. Das Publikum schlendert durch die großartige Architektur, genießt die Ausblicke auf das flirrende Meer und erwärmt sich erst wieder im Freien an der Spitze der Giudecca unter dem überlebensgroßen „Boy with Frog“ von Charles Ray. | Wilhelm Hengstler
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