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Nabl-Preis an Alfred Kolleritsch: Einerseits doctus, andererseits poeta |
Montag, 13. Juli 2009 | |
Der Franz-Nabl-Preis der Stadt Graz wurde Alfred Kolleritsch verliehen
Welcher Aspekt des Preisträgers wurde ausgezeichnet? Ist der Lyriker gemeint, mit den vielen Gedichtbänden über Jahrzehnte? Oder der Erzähler, der authentische Erlebnisse in Geschichten von parabelhafter Gültigkeit verwandelt? Oder der Lehrer, der Generationen von Schülern zu dankbaren Lesern erzogen hat, indem er ihnen Literatur näherbrachte und Philosophie, weil beide Bereiche ihm unter die Haut gehen und er gar nicht anders kann als jemandem, der grade da ist, etwas vermitteln, in pädagogischem Eros. Oder ist der Herausgeber der Literaturzeitschrift „manuskripte“ gemeint, der seit bald 50 Jahren, seit 1960, unbeirrt junge und alte, bekannte und unbekannte Autoren aller literarischen Gattungen, aber sehr strikt nur mit unveröffentlichten Arbeiten vorstellt und jedes der Vierteljahreshefte mit „Marginalien“ einleitet, das sind „Randbemerkungen“ zu zentralen Personen oder Themen. Jedenfalls ist der heute weißlockige 78-Jährige gemeint, den man in der Sackstraße in Graz trifft, auch ohne mit ihm verabredet zu sein; er tritt eben aus seinem Redaktionsbüro im würdigen Palais Attems und spaziert über die Straße in sein Café; dabei wird er mindestens dreimal von zufällig Vorbeigehenden erkannt und ins Gespräch verwickelt. Er ist nun als „Gründervater der Literaturstadt Graz“ mit dem Franz-Nabl-Literaturpreis der Stadt Graz geehrt worden. Die Jury begründet ihre Wahl auch mit der Fähigkeit des Ausgezeichneten, seine literarischen Arbeiten als Mittel der „Entgrenzung“, der Öffnung und Ausweitung (steirischen Horizontes?) einzusetzen. Als Kolleritsch um 1960 zu schreiben und zu veröffentlichen begann, war es das Ziel der „Jungen“, die „Moderne“ wieder zu entdecken, und dazu gehörte Überwindung der „dunklen Zeit“ von Austrofaschismus und Nationalsozialismus, die diese Moderne abgewürgt hatten, deren Vertreter aber auch nach 1945 noch das gesellschaftliche Leben mitbestimmten, denn die kulturelle und politische Reaktion war nicht plötzlich verschwunden. Im Forum Stadtpark fand Kolleritsch – der übrigens immer seinem Brotberuf als Lehrer bis zur Altersgrenze nachging – nicht nur Unterstützung durch gleichgesinnte Künstler, sondern auch seine Bühne, vor allem für die Zeitschrift „manuskripte“. Als ihr Gründer und Herausgeber wurde er zur öffentlichen Person, die er heute noch ist. Der Mensch Alfred Kolleritsch vereint in sich zwei einander ergänzende Fähigkeiten, die gut mit den englischen Begriffen „sociable“ und „workaholic“ umschrieben werden. Er ist ein Gemeinschafts- und Familienmensch, eines seiner Talente besteht im Zusammenbringen von Leuten, und nicht nur von Literatur-Leuten. Er ist aber auch ein Arbeitstier, er vermag ein umfangreiches Pensum abzuarbeiten und dabei den Anschein zu erwecken, als spiele er. Neben anderen negativen Erfahrungen aus seiner Schulzeit hat er nie vergessen, dass ihm ein NS-Lehrer die Linkshändigkeit ausgetrieben hat und von ihm das „rechte“ Schreiben, dem damaligen Ordnungsbegriff entsprechend, erzwang. Vielleicht kommt daher das Talent, sozusagen mit beiden Händen gleichzeitig Verschiedenes zu erledigen. Nun zur Grenze, oder Entgrenzung, wie von der Grazer Jury angemerkt: Der Großvater Kolleritsch, von Beruf Lehrer, verlegte zur Zeit der Monarchie um 1900 seinen Lebensmittelpunkt vom rechten Murufer in der damaligen Untersteier auf die linke Seite der Mur in die Gegend von Klöch. Der Familienname bedeutet Wagner. Der Name des mütterlichen Großvaters Semlitsch, des Schlossgärtners von Brunnsee, geht auf das slowenische Wort für die Erde zurück, zemlja. 1918 war die Mur zur Staatsgrenze geworden und durch Umsiedlungen künstlich auch Sprachgrenze. Als empfindlicher und wahrnehmungsfreudiger Mensch, aufgewachsen in der Grenzgegend, wo der Ortsname Rakitsch 1938 als „undeutsch“ in Eichfeld geändert wurde, entscheidet sich Alfred Kolleritsch, vorwiegend anarchisch zu reagieren. Subversiv sein, die Grenzziehung als willkürlich entlarven, die gesetzten Normen als veränderlich darstellen, das möchte er als Autor, auch als Kommentator in seinen „Marginalien“. Aus lebenslanger Beschäftigung mit der Philosophie bleibt ihm nicht nur ein Amour fou zu Martin Heidegger, sondern eine Ablehnung des Platonismus und „unveränderlicher“ Ideen. Wahrheit versteht er als gestaltungsfähig. Aus diesem Impuls heraus ist die Lyrik von Kolleritsch absolut genuin. Als seine authentische Sprache ist sie auch absolut modern in dem Sinn, dass sie auf Suggestivität setzt statt auf Verstehbarkeit (nach Hugo Friedrich). Die Auszeichnung mit dem Franz-Nabl-Preis kommt spät. Bereits im Jahr 1981 verlieh die Stadt Graz ihre Ehrenmedaille und Ehrenurkunde an Kolleritsch zum 50. Geburtstag; beides gab er noch im selben Jahr zurück aus Protest gegen das Verhalten der Vertreter der Stadtgemeinde bei den Vorfällen, die die Hermann-Nitsch-Ausstellung in Graz begleiteten. Zu seinem Credo gehört, dass Kunst „Arbeit am Offenhalten der Welt“ ist – und sein soll. Alfred Kolleritsch hat in Jahrzehnten dazu beigetragen, dass sich in Graz und Umgebung einiges verändert hat; so muss er wohl den höchsten Literaturpreis, den die Stadt zu vergeben hat, hoffentlich nie zurückgeben. | H. W.-T.
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