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Die Stunde, da wir nichts voneinander wussten; Cosi fan tutte; The Homefront. Eine irische Farce
Mittwoch, 10. Juni 2009

Fußfrei – Theatertrips und -tipps - von Willi Hengstler

Das Grazer Theaterpublikum kann Viktor Bodo gar nicht dankbar genug sein. Nachdem Frank Castorf deutsche Bühnen und die Wiener Festwochen jahrelang mit Lifevideos aus Containern versorgt hat, bringt der ungarische Regiestar diese experimentelle Videoästhetik endlich auch in die steirische Landeshauptstadt.

Außerdem erweitert er Peter Handkes auf die Passanten eines Platzes fokussiertes Stück „Die Stunde, da wir nichts voneinander wussten“ auf eine imaginäre Stadt. Walther Ruttmans „Sinfonie eine Großstadt“ lässt grüßen in einem überwältigendem Welttheater, dessen Motive und Schauplätze – ein Elektriker in einem Schacht, ein Verkehrsunfall, hauptsächlich unglückliche Frauen, ein Museum mit einem merkwürdigen Loch in der Wand, eine Notaufnahme – sich leitmotivisch wiederholen. Es ist Bodos Verdienst Handkes Minimalismus gegen die Mechanik des Blockbusters auszutauschen und das atemlose Publikum mit einem Strom an Einfällen und Effekten mitzureißen: manche gut, manche so bekömmlich wie gebratene Nägel in einer Pfanne. Dazu hängt noch diese Videoleinwand über der Bühne, auf der Großaufnahmen genau die verdrängen, denen man gerne beim Spiel in ihren Containern zusehen möchte: den sich aus Viktor Bodos Szputnyik Shipping Company und dem Grazer Ensemble zusammensetzenden, ganz ausgezeichneten Schauspielern. Das Publikum wird niemals gequält mit der Frage einer visuellen Grammatik – warum Life, warum Videobild – oder einer Art von Timing, das über reines Tempo hinausginge. Es entsteht eine sensationelle Redundanz: Dazu kommt viel, sehr viel gekonnte Musik von Klaus von Heydenaber (Komposition) und Gabor Keresztes. Wenn dann einmal Stille droht, dann übernehmen Düsenjäger, Verkehrsgeräusche, unterirdisches Grollen. Kein Zweifel, das ist unsere Welt, mit all ihrer unentrinnbaren Suggestivität und Komplexität, die jedes Timing überflüssig macht. Viktor Bodo ist anscheinend vom Kino beeinflusst, aber es sind die Filme von vorgestern: Mungius, die Brüder Dardenne,  Kiarostami oder Ceylan sind da nicht dabei. Einmal allerdings agiert eine rot gekleidete Sängerin allein minutenlang auf der Bühne – und da ahnt man dann, was da hätte entstehen können. Aber vermutlich wäre dann „Eine Stunde der wahren Empfindung“ daraus geworden. Immerhin ein dichter, niemals langweiliger Abend, noch am  10. und 20. 6. im Schauspielhaus Graz.

Was aus Deutschland kommt, hat Qualität!“, heißt es in „Cosi fan tutte“ im Grazer Opernhaus, und das gilt auch für dieses Gastspiel der Komischen Oper Berlin unter der Regie von Peter Konwitschny selbst. Selten ist Mozarts bzw. Da Pontes Geschichte über Untreue und erotischen Pragmatismus märchenhafter, heiterer und menschenfreundlicher realisiert worden. Der illusionslose Don Alfonso (Jochen Schmeckenbecher ein präsenter, sehr überzeugender Spielmacher) wettet mit den Freunden Ferrando und Gugliemo, dass ihre Verlobten, die Schwestern Fiordiligi und Dorabella, wenn es denn darauf ankäme, untreu wie alle anderen Frauen seien. Als „Fremde“ verkleidet provozieren die Freunde die Verlobte des jeweils anderen. Nach anfänglichen Rückschlägen gelingt mit Hilfe des Tandems Don Alfonso und der Magd Despina, was zu beweisen war.  
Ob die Plakatorgie während Ouvertüre – alle tun es: Frauen, Männer, Krokodilweibchen, Radiergummis, Zicken, Schweine, Festplatten; ob der zauberhafte Garten nach dem Zöllner Rousseau, dessen Architektur im Sturm der Gefühle aufbricht, ob die hinauf an die Decke gespiegelten Heizspiralen für die Glut der Leidenschaft – Konwitschny erzählt die aufklärerischen, erhellenden Aspekte dieser Oper mit ansteckender Intelligenz und Heiterkeit.
Unterstützt von Bühnenbildner Jörg Koßdorff, der mit dieser Produktion seine Grazer Intendanz beendet und den genialen Kostümen (Turban und Tigerfell für die „Fremden“) von Michaela Mayer-Michnay lässt Konwitschny in den scheinbar bloß heiteren visuellen Elementen archaische oder psychoanalytische Bezüge mitschwingen. Er verdoppelt, verdreifacht dieses Spiel im Spiel, indem er die Verlobten jeweils mit der Puppe (dem alter ego) des Abwesenden spielen, kosen, sie umgarnen oder gar in einer Schachtel wegsperren lässt. Dass bei soviel kluger, Umgangssprachliches nicht scheuenden Spielfreude gelegentlich die sängerische Performance der vier Verlobten zurückgenommen wirkt, kann da in Kauf genommen werden. Sehr stark dagegen Margareta Klobučar als Magd Despina. Wenn mittels der Puppen zuletzt die wahren Identitäten wieder hergestellt werden, gibt es noch eine ironische Meta-Diskussion über die Fiktion selbst und wer nun wen heiratet. Homo-Ehe, Lebensmensch. Großes Happy End auch für das Publikum. Noch am 10., 13. und am 18.Juni in der Grazer Oper

The Homefront. Eine irische Farce“ des irischen Autors Enda Walsh auf der Grazer Probebühne beginnt laut und grässlich. Wird eine Aufführung dadurch gerechtfertigt, dass sie so schlimm und laut wie ihr Thema ist, oder ist eben das ein Hinweis auf schlechtes Theater? Die Frage erübrigt sich, denn es stellt sich heraus, dass Bernadette Sonnenbichler aus unsauberen Spiel, dem Sozialklamauk und Versprechern eine der risikoreichsten aber auch eigenständigsten Aufführungen dieser Saison entwickelt hat.
Ein Raum mit grauen Lumpen tapeziert, hinter denen sich eine, bei Gelegenheit hervorgeholte Substandardeinrichtung verbirgt. Ansonsten nur ein Sarg aus Pappe und ein schäbiger Fernsehsessel. Dazu Franz Solar, der gestrandet in dieser unzugänglichen Londoner Sozialwohnung als verrückter Ire Dinny einen einzigen Tag im heimatlichen Cork von seinen beiden Söhnen wieder und wieder nachspielen lässt. Franz Josef Strohmeier im Fummel quetscht sich aus dem Wandschrank und gibt, indem er nur die Perücken in seinen beiden Händen wechselt, unterschiedliche Frauenspersonen aus der Vergangenheit seines Vaters. Claudius Körber ergänzt die dazugehörigen Männer, außerdem hat er  durch das Einkaufen von Bier und Käse als Einziger Kontakt mit der Außenwelt. Nur Dinny bleibt immer der Vater.
Aber dann, mit dem Eindringen von Mira Tscherne, die Sean als Kassiererin seine Tüte in das elende Soziototop nachbringt kippt das Spiel. Das Mädchen wird zum Katalysator, der den Kreislauf in einen tragischen und erlösenden Endspurt verwandelt. Der Besuch bekommt eine Rolle in Dinnys Phantasmagorie, er wird zu seiner in Cork zurückgelassen Frau Mareen. Ihre Chancen scheinen schlecht zu stehen, weil sie entweder Teil des verrückten Klans oder zum Schweigen gebracht wird. Sean will die Kassiererin retten, aber dann ist es der monströse Blake, der den Vater tötet und Sean, den Bruder ,dazu provoziert, ihn selber zu töten. Das Mädchen flieht, aber Sean, dessentwegen sie gekommen ist, kann ihr nicht mehr folgen. Traumatisiert schließt er sich mit den Toten ein. Von Enda Walsh stammt das Drehbuch des in Cannes prämierten Filmes „Hunger“ von Steve McQueen über den Widerstand irischer Häftlinge, den zu zeigen eine wesentliche Ergänzung der Arbeit von  Bernadette Sonnenbichler wäre. Auch in ihrer Familiengeschichte von Mord und Totschlag, die in Vater- und Brudermord endet, eine politische Parabel auf Irland. Vor allem ist „The Homefront“ aber ein Triumph für die Schauspieler: Franz Josef Strohmeier alias Blake in seinen Frauenkleidern, Franz Solar als gewalttätiger Vater-Spielmacher Dinny, der wieder sehr magnetische Claudius Körber als Sean und Mira Tscherne, die imponierende Entdeckung des Abends, die noch an der Grazer Kunstuniversität studiert. Für Theaterfreaks. Nicht versäumen, leider nur mehr am 16. Juni auf der Probebühne des Grazer Schauspielhauses.
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