Das nachhaltige Magazin für Graz und die Steiermark
Frühlingserwachen oder Cui bono?
Mittwoch, 10. Juni 2009

Kommentar der Frauenbeauftragten - von Maggie Jansenberger

Neulich im Briefkasten. Frau kann mit Enzym-, Huminat- und Meridianwickel, durch Vakuumbehandlung und Reizstromgeräte sowie durch diverse Slim-Pillen satte sechs (in Worten: eine Kleidergröße) Kilo in einer Woche abnehmen. „Aschenputtel“ würde heute wohl nicht mehr ihren Schuh, sondern die Visitenkarte ihres Fitness-Coach verlieren.

Neulich im Drogeriemarkt. Frau duftet zu dieser Jahreszeit dank Duschgels nach Mango, Kiwi oder Kokos. Wie tröstlich. Wenn schon das Essen der Früchte vom Baum der Erkenntnis figurtechnisch verboten ist, dann wenigstens danach riechen. Drogeriemärkte sehen mittlerweile aus wie Kathedralen und die Predigt lautet: peelen und schrubben, rubbeln und kneten, cremen und sprayen. Badezimmerschränke werden zu Altären und das Credo heißt: Anti–Cellulite, Anti-Aging und Anti-Falten. Die Inquisition übernehmen Casting-Shows, Lifestyle-Zeitschriften und peergroups.

Neulich im Bus. Geh bitte, niemand (in Worten: keine Frau, kein Mädchen) muss heute mehr so aussehen. Erlösung von Problemzonen versprechen Formingslips, Push–ups und Control Tights. Mädchen wissen bald mehr über ihren Body-Mass-Index zu sagen,  als über ihre Berufswahl.
Neulich im Schwimmbad. Alles gewachst, gezupft oder rasiert. Erwachsene Frauen, so haarlos wie vorpubertäre Mädchen. Dazu ein dentalkosmetisches oxy-white Lächeln, das die Strapazen der Zurichtungen des eigenen Körpers nicht erkennen lässt.
Mühelos. Der Körper als Warenoberfläche, die am Markt positioniert wird. Es ist von Bedeutung, „gut“ auszusehen, fit zu sein – oder zumindest so zu erscheinen, schließlich geht es um die Chancen, in der Gesellschaft anerkannt zu werden, und ums materielle Überleben. Die populären Konzepte, die auf die eine oder andere Weise „Machbarkeit“ suggerieren, passen sich nahtlos ein in die politischen Projekte der Entstaatlichung im Sinne von Abbau von Schutzrechten und sozialen Schutzsystemen und der damit einhergehenden Entsolidarisierung.  Selbstformung und Selbstdisziplinierung werden dabei mit gesteigerter Tauglichkeit und Unterwerfung verkettet. Die Anleitungen zur körperlichen Selbstverbesserung und unablässigen Arbeit an sich selbst verdeutlichen, dass das Fortschrittsmodell der Moderne auch für den Körper gilt: permanente Steigerung, unendliche Akkumulation. Die idealen Ziele – den Körper vollkommen, unbegrenzt fit, leistungsfähig und jung zu halten – sind nie vollständig zu verwirklichen. Die diesbezügliche Hoffnung aber wach zu halten und anzutreiben, dahinter steht die Maschinerie des neoliberalen Projektes, deren Litanei sagt: „Es ist machbar, wenn Du nur die richtigen Produkte kaufst.“ Und ihr partriarchales Paradies sind die Folgsamen, Konsumierenden.
Zeit, das „Ich mach das nur für mich!“ mal wieder zu hinterfragen. Zeit, unsere Zeit anders zu nutzen.  


Maggie Jansenberger, Unabhängige
Frauenbeauftragte der Stadt Graz,
maggie.jansenberger@stadt.graz.at
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