Das nachhaltige Magazin für Graz und die Steiermark
Die Zeitung zieht weiter
Mittwoch, 10. Juni 2009

Kopfzeile - von Marting Novak

Es könnte so einfach sein. Der dritte Präsident des Nationalrats äußert sich in einer wenig verbreiteten Parteizeitung beleidigend über den Präsidenten der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG). Gelesen wird das Elaborat von einigen wenigen, denen der Verfasser seine Meinung kostengünstiger persönlich hätte erläutern können. Und das war es dann.

Stattdessen fordern Chefredakteurinnen und Chefredakteure der reichweitenstärksten und einflussreichsten Medien den dritten Präsidenten zum Rücktritt auf, bemühen sich die eloquentesten Kommentatorinnen und Kommentatoren darum, das Thema aus allen vorstellbaren Winkeln zu beleuchten. Der Kurier gestaltet das Kommentieren gar zu einem journalistischen Praxisseminar aus: Doris Knecht und Michael Hufnagl demonstrieren am gleichen Tag in zwei nebeneinander stehen Kolumnen, dass man dieselben Argumente in unterschiedlich viele Worte kleiden kann (Knecht schafft es mit weniger Worten.).
Der dritte Präsidenten und mehr noch seine Entourage werden sich über die endemische Verbreitung der Botschaft gefreut haben.
Nicht nur endemisch, sondern pandemisch verbreitete sich die Angst vor der Schweinegrippe-Pandemie. Erst als Ende Mai nur 99 Menschen (85 davon in Mexiko) verstorben waren, legte sich das Fieber. Und wieder war es die alarmistische Berichterstattung, die eine unangemessen große Aufregung verursacht hatte.
Ja, diesen Vorwurf kann man den Medien machen. Ja, natürlich hätten sie schweigen können. Aber sie hätten nicht nur einen Graf-Kommentar in einer freiheitlichen Postille verschwiegen, sondern eine Debatte im Nationalrat, eine hitzige Online-Debatte über diverse Websites und Foren einschließlich der Unterschriftenaktionen für den Rücktritt (www.ruecktritt-martin-graf.at) und Verbleib (über die FPÖ-Website) Grafs im Amt, die Dokumentations-Website www.kellernazisinderfpoe.at von Ariel Muzicant.
Die Medien hätten auch der Schweinegrippe weit weniger Aufmerksamkeit schenken können. Aber die Weltgesundheitsorganisation hätte dennoch zum ersten Mal ihr Pandemiealarmsystem in Gang gesetzt und die zweithöchste Warnstufe ausgerufen. Die Medien hätten tägliche WHO-Updates ignorieren müssen. Sie hätten sich durch bis zu einem Dutzend Kurzmeldungen der Weltgesundheitsbehörde über Social-Media-Plattformen nicht betroffen fühlen dürfen. Sie hätten es gelassen hinnehmen müssen, dass ein ganzer Staat, Mexiko, eine Zeit lang vorsätzlich das öffentliche und wirtschaftliche Leben zum Erliegen bringt.
Das hätten die Medien alles tun können. Das „Neue Deutschland“ oder „Der Stürmer“ hätten es vermutlich genau so gemacht. Und China muss sich gemeinsam mit anderen asiatischen Staaten bis heute seine zögerliche Informationspolitik nach Ausbruch der Vogelgrippe vorwerfen lassen.
Vielleicht tun die Publikumsmedien ja sogar weniger, als sie hätten tun sollen: „Wenn die anfängliche Aufregung vorüber ist, werden die Gesundheitsexperten in höchster Alarmbereitschaft bleiben. Aber die Medien und die Öffentlichkeit werden sich etwas anderem zuwenden  –  und über die Verbreitung von Angst murmeln“, meinte der US-Krisenkommunikationsexperte Peter M. Sandman Mitte Mai.
Obwohl: Seinerzeit war man im Einvernehmen zwischen Gesundheitsbehörden und Medien zurückhaltender: „ Es ist unsere Aufgabe, die Menschen vor der Angst zu bewahren. Furcht ist tödlicher als die Krankheit“, erklärte ein amerikanischer Gesundheitsexperte. Das war 1918.

Martin Novak ist Journalist, Medienfachmann und Geschäftsführer der Agentur „Conclusio“ in Graz.
» Keine Kommentare
Es gibt bisher noch keine Kommentare.
» Kommentar schreiben
Nur registrierte Benutzer können Kommentare schreiben.
Bitte melden Sie sich an oder registrieren Sie sich.
 
< zurück   weiter >