Mit Mitteln der zeitgenössischen Kunst nimmt das Stadtmuseum zu urbanen Problemen Stellung.
Wurden Fragen der städtischen Struktur schon bei vergangenen Ausstellungen immer wieder diskutiert, man denke nur an Linz/Texas, so wurde mit ISLANDS + GHETTOS nun eine Ausstellung zum äußerst brisanten Phänomen territorialer Ein- und Ausgrenzungen in den Städten des 21. Jahrhunderts für das Grazer Stadtmuseum übernommen. Graz ist nach Berlin bereits die dritte Station der Schau, die vom Heidelberger Kunstverein entwickelt wurde. Gezeigt werden rund 14 internationale und nationale Positionen von KünstlerInnen und ArchitektInnen, zum Teil speziell für die Ausstellung produziert.
Soziale Verinselung. Die „Stadt“ war seit jeher Anziehungspunkt – Verheißung von Wohlstand und neuen Chancen. Öffentliche Plätze als Begegnungsorte der Bewohner entstanden nach der zwangsläufig mit höherer Besiedelungsdichte einhergehenden Notwendigkeit der Integration unterschiedlichster Bevölkerungsgruppen. Heute lebt bereits mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung in städtischen Gefügen; dieser öffentliche Raum wird immer mehr privatisiert und videoüberwacht, Straßen werden zu reinen Konsumzonen reduziert und es wird versucht, gewisse Bewohner aus bestimmten Teilen der Stadt fernzuhalten. Gleichzeitig kommt es zur Aufwertung heruntergekommener Viertel – steigende Mietpreise drängen die sozial Schwachen an die Ränder des Stadtgefüges ab. Dies sind die Vorboten einer zunehmenden sozialen Verinselung, die mit einem Idealbild einer Stadt so gar nichts mehr gemein hat.
Caracas und Dubai. Wer eine Stadt kennt, kennt alle – behauptet zumindest Thomas Morus. Natürlich laufen auch abseits der Insel Utopia Entwicklungen parallel. Dementsprechend ist räumliche Fragmentierung in Ansätzen auch in den meisten europäischen Städten zu finden und ihre Auswirkungen sind bereits im konkreten Stadtraum, wie er uns alle betrifft, spürbar. Caracas und Dubai leiden an der Zuspitzung dieser urbanen Abgrenzungsphänomene, die sich mehr und mehr ausbreiten werden. Dort gehört die Krise des Städtischen bereits zum Alltag, Wohlstandszonen und Elendsgebiete – eine soziale Polarisierung, die mit einer Vielfalt an neuen Grenzziehungen aufwarten kann. Das macht sie zum prädestinierten Forschungsgebiet für die Ausstellung.
Grenzenlose Gigantomanie und gigantische Grenzziehungen. Im aufstrebenden Caracas beschwor die Architekturmoderne Werte wie Demokratie und Fortschritt, eine lebenswerte Stadt für alle Bewohner. Das Versprechen wurde nicht gebaut. Alexander Apostol enthüllt in seinen Fotografien das wahre Gesicht der Moderne, verbaut digital Fenster und Türen und gibt so das wahre, abweisende Bild der Stadt wieder: ein Sich-Versperren aus mentaler Angst. Und der gemeinschaftliche Raum, dessen Ideale an solchen Fassaden zerbrechen. Die Künstlerin Carey Young untersucht in der Serie „Body Techniques“ die Gebäudekulissen Dubais auf ihre Körpertauglichkeit. In präzisen Posen in Anknüpfung an die amerikanische Body Art versucht sie sich, zum Beispiel an den Randstein eines Kreisverkehrs geschmiegt, den Dimensionen der sterilen Architektur anzunähern, in der niemand Wurzeln schlagen soll. Sinnbilder für die Wirkungen der gigantischen, aber unpersönlichen Bauten auf den Menschen. Die Hochsicherheitszone „Staatsgrenze“ nimmt ein Zirkuszug aus Psychiatriepatienten unter der Führung des Künstlers Javier Téllez zum Anlass, um im mexikanischen Tijuana eine von lauter Musik begleitete Zirkusshow vor dem 20 m hohen Grenzzaun darzubieten. Als fulminantes Finale wird Amerikas berühmteste lebende Kanonenkugel, David Smith, unter tosendem Applaus über den Hochsicherheitszaun geschossen. Und einer sich abriegelnden Supermacht lachend der Spiegel vorgehalten.
Grenzen sind mehr als nur passive Elemente. Was wäre richtiges Handeln, wie kann auf räumliche Abgrenzungen reagiert werden? Urban Think Tank versteht sich als interdisziplinäres Design- und Architekturbüro in Caracas, das Architektur als soziale Maßnahme sieht – so soll das Projekt „Metro Cable Car“ eine Seilbahn in die Armenviertel implementieren und damit mit der eigentlichen Stadt verbinden. Sabine Bitter und Helmut Weber zeigen mit „Living Megastructures“, dass gebaute Architektur die Probleme aber oft nicht lösen kann, sondern vor allem auch die Gesetzeslage Lösungen vorantreiben kann. Bilder von Superblocks mitten in den Slums lösen sie daher in Schriftzeichen auf, in Zitate einer neuen Verfassung.
Am Ende dieser Auswahl aus den gezeigten Arbeiten soll ein sehr einfaches und damit umso stärkeres Bild stehen: Einmal gesetzte Grenzen wirken auf die sozialen Strukturen auf beiden Seiten ein, gebären neues Verhalten, meint Kristjan Gudmundsson. In einer Serie von sieben Zeichnungen zeigt er einen Mann, der nach und nach einen Zaun baut und anstreicht, auf dem Fuße folgt ihm ein Hund, der vor dem Zaun sein Geschäft verrichtet. Abgrenzungen sind mehr als nur passive Elemente. Sind sie einmal ausgesteckt oder auch nur gedacht, lösen sie etwas aus. Und genau darüber gilt es nachzudenken. Bis 05. Oktober 2009 | Eva Pichler
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