Das nachhaltige Magazin für Graz und die Steiermark
Texte aus dem Schreibraum
Mittwoch, 13. Mai 2009

von Bettina Halder

Jeden letzten Freitag im Monat um 19.30h öffnet der Schreibraum in der Bürgergasse 3 (Büro schreibfreu). Dann wird bis etwa 22.00h geschrieben, was sich zwischen Stift und Papier drängt.
Das Thema des Abends steht fest, der Freiraum für die SchreiberInnen ist so groß wie ihr Denken es erfordert. Thema verfehlen kann man nicht, Fehler machen und versagen auch nicht. Hier geht es nicht darum einen guten Text zu schreiben, sondern einen Text zu schreiben.

Es ist gestattet, mit dem Schreiben anzufangen, ohne zu wissen, wohin es führt, ohne den Anspruch eines gelungenen ersten Satzes. Der innere Zensor wird möglichst ausgeschaltet, der Schreibende ist nicht angehalten, eine bestimmte Leistung zu erbringen oder etwas zu schaffen, das vorzeigbar ist.

Bewertung, Überarbeitung ist ein nächster Schritt, dafür gibt es bei Bedarf ein Extra-Treffen.
Die vorgeschlagenen Schreibanleitungen geben dem Denken nicht nur einen äußeren Rahmen, sondern formen auch den Gedanken mit und führen an die literarische Form heran. Wir produzieren absichtsvoll Laientexte, die aber oft ganz schön gut sind. Und wo die Grenze genau ist?
Schreiben verdichtet und schärft die Wahrnehmung, präzisiert die Ansicht, hebt nicht Bemerktes ins Licht der Aufmerksamkeit. Durch das anregende Spiel mit Punkt und Strich erforschen wir die eigene innere Welt und sind oft erstaunt, welche (sprachlichen) Kräfte da verborgen sind. Schreiben in der Gemeinschaft setzt außerdem eine besondere Energie frei.
Es folgt Gedankenaustausch mit anderen: Wer mag, liest vor.
Am Ende hat jeder ein paar kleine Texte produziert, die können oft gelesen, überarbeitet und fortgeführt werden, auch verworfen, verbrannt oder verlegt …


Thema des Abends: Mein Revier

Die Grenze spricht
Die Grenze spricht
die Grenze spricht
was bin ich nicht
was bin ich alles nicht

bin kein Boden, kein Wasser
kein Acker, kein Haus
kein Blut, kein Brot
wurde besprochen
umkämpft
gerissen
gestoßen
gezogen

schließlich gezogen.
dann wieder verschoben
ich blicke zu beiden Seiten hin
da will was hin
da will was her

die eine schiebt, die andre drückt
und wenn ich ginge
-    einfach weg –
so fielen sie übereinander, und in sich
wenn da nichts mehr wär
was sie hält und quält.
da will was hin
da will was her
die Grenze spricht
die Grenze spricht
was bin ich alles.
Was bin ich für ein Anlass.

(B.H.)


Nach dem Gedicht von Robert Schindel mit dem Titel „Wolken“: wir haben das Stilmittel „darüber -darunter – da“ ausgeborgt

Ewigkeit

Darunter das Alter sich über die Liebe erhebt,
darüber sich busseln die Blumen.
Da ist die Energie zerflossen

Darunter liegt der Stolz im Eis,
darüber lächelt die Hoffart.
Da ging die Liebe zur Beichte.

Darüber denkt das Wasser laut.
Darunter niest eine Maus,
da hat die Zeit gelächelt.

Darunter pfeift ein Mauersegler,
darüber kränkeln die Sterne.
Da breitet sich die Stille aus.

Darüber sich regt ein alter Baum,
darunter bebt Energie.
Da hat die Elster heimlich geschmunzelt.

Darunter riechen die Rosen,
darüber wallen die Nebel.
Da ist der Stolz erstarrt.

(D.)


Ein anderes Beispiel nach dem Gedicht von Robert Schindel

Da hat das Feuer geseufzt

Da hat das Feuer geseufzt
Darüber die Qualle gelacht  
Darunter die Erde gedonnert  
Da hat sich der Horizont verewigt
Das Klavier in rohem Getön
Darauf der Pudding
Darunter das Kind
Das Kind, das nicht reden will
Nur sich wiegt
Ohne Ufer
Darüber das Klavier
Das Feuer prescht ins Haus herein
Der Garten hinterher
Darin die Furcht des Kindes neuen Schutz findet

Darüber der Baum
Darunter das Kind
Da ist die Furcht ins Feuer gelaufen

(B.R.)


Thema des Abends: Bär und Buckelwal: das Tier in mir

Der Rabe

der Rabe wohnt nicht
auf der ERDE er
verharrt in den Ästen
und lauscht.

Der Rabe wohnt nicht auf der ERDE er
wirft den Ballast aus
dem Nest und

Der Rabe wohnt nicht
auf der ERDE
er lacht wenn es Tag wird
im grauen Wald

Der Rabe wohnt nicht
auf der ERDE.

(H.M.)


Haiku:

Die Sargträger

die Sargträger
vorm Tor – dahinter
eine Reihe Gänseblümchen
im Moment
rennt die Zeit über
die Äcker dahin

(I. H)


Elfchen (erste Zeile: ein Wort, zweite Zeile: zwei Wörter, …
3 4 1 ):


Die Taube

die
Taube macht
des Abends einen
Spaziergang - und wird dann
überfahrn.


gatschig

gatschig
der Rest
hinter den Zähnen
am Teller verblieb ein
Erbeermond


Thema des Abends: Erntezeit und Erntezeit und Abschied vom Rest
Satzerweiterung: in jeder weiteren Zeile kommt ein weiteres Wort dazu


ich ernte

ich ernte
ich ernte kaum
ich ernte kaum je
ich ernte kaum je Dank
ich ernte kaum je Dank, schon
gar nicht Erfolg.
Ich mag kaum je Erfolg und Dank ernten
Ich kann kaum je Erfolg und Dank ernten, auch nicht Tomaten
Ich kann gar nicht ernten
Ich ernte nie.

(B.H.)


Satzerweiterung

ich lebe.

ich lebe gut meistens
ich lebe schon gut meistens
meistens lebe ich
manchmal lebe ich noch nicht
manches lebt noch nicht
mal lebt es, mal nicht
lebt es nicht, muss ich es wecken
wecke ich es nicht, überrascht es mich
dann kommt es über mich
ohhh!

so ist das leben
finde ich es nicht, ist es nicht
ohhh!


Thema des Abends: Schwachsinn
Gruppensätze wurden geschrieben, diese Sätze hat dann jeder gezeichnet, blind mit der linken Hand, die „schönste“ Zeichnung dem Nachbarn gegeben, der gab ihr einen Titel,
zu diesem Titel wurde dann eine Geschichte geschrieben. Diese hier z.B.:


Im Finsterwald

Der Finsterwald, der ist kalt. Der Wicht hat die schwarze Schuhpaste auf den Wald geschmiert. Und dann noch die Kiste draufgestellt. Und auf die Kiste den Milchtopf mit dem guten Stiel. Der Wald ist jetzt unter der Kiste unter dem Milchtopf unter der Schuhpaste.
Noch finsterer, noch mehr kalt.
Jetzt schimmelt er halt.
Dann fliegt die Mücke in die Milch und das Kind schreit Mama. Und die Mama rührt einmal um, dann ist er wieder weg, der Mück. Der Trick, der ist schlecht.
Der Trick im Zirkus, der jetzt in den Wald kommt, ist besser. Da wird`s wieder heller und die Leute klatschen und führen den Elefanten durch den Wald. Und der ganze Zirkus sitzt drauf, bis sich die Bäume ringeln und biegen und den Elefanten mit den Leuten und den ganzen Zirkus in die Stadt schnepfen. Dann eröffnet der Elefant eine neue Filiale und die Leute kriegen alle Angebote und ein Grillhendl und viele Plastiksackerln. Irgendwann bläst die der Wind wieder in den Wald. Und dann hängen die Plastikfetzen im Geäst. Das rauscht dann noch schöner.


Der Schreibabend hatte das Thema: „vom Suchen und Finden“. Jeder Teilnehmer suchte sich ein Inserat, die ich aus der Zeitung ausgeschnitten habe. Das Inserat für den folgenden Text lautete: „Bauleiter für Gewerk Fussböden zu sofortigen Eintritt gesucht.“

Bauleiter für Gewerk gesucht

zum sofortigen Eintritt gesucht
zum sofortigen Eintritt

auf den Fußboden Bauleiter
auf den Fußboden

ans Werk Bauleiter
ans Werk
den Fuß auf den Boden Bauleiter
den Fuß
tritt ein
tritt ein
Tritt an den Bauleiter
geh weg Bauleiter!

leite den Bau
suche den Boden
tritt mit dem Fuß
baue den Tritt
leite das Werk

geh fort
geh fort
geh einfach weg!


Ein kleiner Text wurde geschrieben, dann wurden ausgewählte Wörter durch Phantasieworte ersetzt beziehungsweise die Reihenfolge der Zusammensetzung verkehrt.


Mit meinem schönen otztatz ging ich in den Parktier. Dort standen viele viele Graugrums unter dem Dachholz. Ganz ganz dicht mit großem Schweißangst vor dem Domodron. Das Domodron jauzt durch die Luftnacht. Die Graugrums jaulen nach Jamijam und Brotweiß. Das beruhigt sie.
erbsensuppe: jamijam, gewitter: domodron, Hyäne: graugrum, schuhe: otztatz


Wir sind mit Block und Stift rausgegangen auf die Straße und haben Wörter abgeschrieben. Aus denen dann einen Text gemacht.

Willkommen Mensch

Willkommen Mensch im
Hofeingang
am Privatgrund
der Erdgasregelstation Kransteiner!!! Gebell macht Pedigree
Blitzschutz ruft Hemdendienst
Alpenschild fordert Fahrzeugrückgabe
Tanzcafé ruft Ende
Salon verliert Gäste
auch Sa. und So. und immer


Der Schreibabend hieß: „ein zeitphilosophischer Abend“
Ich habe das folgende Heidegger-Zitat vorgegeben/vorgelesen und die TeilnehmerInnen gebeten, den Text fortzusetzen, unmittelbar an das Gehörte anzuschließen.
Martin Heidegger: „Zeitlichkeit ist der Seinssinn der Sorge. Die Verfassung des Daseins und seine Weisen zu sein sind ontologisch nur möglich auf dem Grunde der Zeitlichkeit, abgesehen davon, ob dieses Seiende „in der Zeit“ vorkommt oder nicht.“


… wenn nicht, stell sich die Frage neu, wie sich Fragen ständig neu stellen sollten – will man nicht feststecken, sich festfahren in den immer gleichen Fragen, da ja auch die Zahl der Antworten ebenso mäßig zur Verfügung wären. Ein neues sich Ausrichten im Kontinuum der da seienden Fragen bewirkt ein ebensolches Aufwerfen neuer Antworten, die ihrerseits naturgemäß Fragen sind. Nun ist ein Menschenleben voll mit diesen und jenen, ein Fortkommen in der Lebenszeit, die dem Mensch durchschnittlich verbleibt, nur kaum gewährleistet. Selbst die, die im Augenblick – es scheint als würden sie emporstrahlen, abheben, über die Begrenztheit hinwegsteigen, auch über zeitliche Dimensionen erhaben - selbst jene verfallen dem Trügerischen des grellen Durchblickens. Am hellen Tage jedoch sind sie im Stundenplan festgefressen, am Lebensplan selbst von kurvigen Kurven verschindelt und durchgeschüttelt von Zeit. Es ist eine wahrhaft elendige Sache, das Seiende ist, es ist im Augenblick und war gewesen.
Und wer sind Sie?
(E.G.)

… Abgesehen davon bekommt mein Gehirn diesen Satz nicht auf die Reihe. Das ist voll mit Buchweizen, ein zeitloses Getreide. Herrn Heidegger schmeckt Buchweizen nicht. Seine Frau hat es auch schon mit Hafer und Hirse versucht, aber erfolglos. Der Mann hat andere Sorgen. Sorgen hat er, der Herr Heidegger. Auch die Frau Klempier, wenn sie zu spät zur Arbeit kommt. Dann erntet sie die vorwurfsvollen Blicke ihres Chefs. Ein Überpünktlicher. Er ist seiner Zeit voraus und hat deshalb immer einen Vorsprung. Die Frau Huber, die der Frau Klempier schräg gegenüber sitzt, findet seinen Anzug ziemlich altmodisch. Dabei hat er extra ein zeitloses Modell gewählt. Er wird ihn auch bei seinem Begräbnis tragen. Nur kurz, denn er lässt sich einäschern. Damit’s schneller geht. Wegen dem Vorsprung eben.
(S.F.)

 

Bettina Halder

geb. 1965, Studium: Germanistik/Psych.Phil.Päd., Studium der Bildnerischen Erziehung, Kunsttherapeutin, Texterin, wissenschaftliche und berufliche Schreibtrainerin, Gründung der Firma schreibfreu, Schreibseminare in Organisationen, für Studierende, Textwerkstätten, biografisches Schreiben, raum- und textgestalterische Arbeiten

Ich bin beständig interessiert an Ausdrucksmöglichkeiten, die Menschen für sich wählen. Und fasziniert, wenn künstlerische Aspekte mitwirken oder daraus resultieren.

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