von Bettina Halder Jeden letzten Freitag im Monat um 19.30h öffnet der Schreibraum in der Bürgergasse 3 (Büro schreibfreu). Dann wird bis etwa 22.00h geschrieben, was sich zwischen Stift und Papier drängt. Das Thema des Abends steht fest, der Freiraum für die SchreiberInnen ist so groß wie ihr Denken es erfordert. Thema verfehlen kann man nicht, Fehler machen und versagen auch nicht. Hier geht es nicht darum einen guten Text zu schreiben, sondern einen Text zu schreiben.
Es ist gestattet, mit dem Schreiben anzufangen, ohne zu wissen, wohin es führt, ohne den Anspruch eines gelungenen ersten Satzes. Der innere Zensor wird möglichst ausgeschaltet, der Schreibende ist nicht angehalten, eine bestimmte Leistung zu erbringen oder etwas zu schaffen, das vorzeigbar ist.
Bewertung, Überarbeitung ist ein nächster Schritt, dafür gibt es bei Bedarf ein Extra-Treffen. Die vorgeschlagenen Schreibanleitungen geben dem Denken nicht nur einen äußeren Rahmen, sondern formen auch den Gedanken mit und führen an die literarische Form heran. Wir produzieren absichtsvoll Laientexte, die aber oft ganz schön gut sind. Und wo die Grenze genau ist? Schreiben verdichtet und schärft die Wahrnehmung, präzisiert die Ansicht, hebt nicht Bemerktes ins Licht der Aufmerksamkeit. Durch das anregende Spiel mit Punkt und Strich erforschen wir die eigene innere Welt und sind oft erstaunt, welche (sprachlichen) Kräfte da verborgen sind. Schreiben in der Gemeinschaft setzt außerdem eine besondere Energie frei. Es folgt Gedankenaustausch mit anderen: Wer mag, liest vor. Am Ende hat jeder ein paar kleine Texte produziert, die können oft gelesen, überarbeitet und fortgeführt werden, auch verworfen, verbrannt oder verlegt …
Thema des Abends: Mein Revier
Die Grenze spricht Die Grenze spricht die Grenze spricht was bin ich nicht was bin ich alles nicht
bin kein Boden, kein Wasser kein Acker, kein Haus kein Blut, kein Brot wurde besprochen umkämpft gerissen gestoßen gezogen
schließlich gezogen. dann wieder verschoben ich blicke zu beiden Seiten hin da will was hin da will was her
die eine schiebt, die andre drückt und wenn ich ginge - einfach weg – so fielen sie übereinander, und in sich wenn da nichts mehr wär was sie hält und quält. da will was hin da will was her die Grenze spricht die Grenze spricht was bin ich alles. Was bin ich für ein Anlass.
(B.H.) Nach dem Gedicht von Robert Schindel mit dem Titel „Wolken“: wir haben das Stilmittel „darüber -darunter – da“ ausgeborgt
Ewigkeit
Darunter das Alter sich über die Liebe erhebt, darüber sich busseln die Blumen. Da ist die Energie zerflossen
Darunter liegt der Stolz im Eis, darüber lächelt die Hoffart. Da ging die Liebe zur Beichte.
Darüber denkt das Wasser laut. Darunter niest eine Maus, da hat die Zeit gelächelt.
Darunter pfeift ein Mauersegler, darüber kränkeln die Sterne. Da breitet sich die Stille aus.
Darüber sich regt ein alter Baum, darunter bebt Energie. Da hat die Elster heimlich geschmunzelt.
Darunter riechen die Rosen, darüber wallen die Nebel. Da ist der Stolz erstarrt.
(D.)
Ein anderes Beispiel nach dem Gedicht von Robert Schindel
Da hat das Feuer geseufzt
Da hat das Feuer geseufzt Darüber die Qualle gelacht Darunter die Erde gedonnert Da hat sich der Horizont verewigt Das Klavier in rohem Getön Darauf der Pudding Darunter das Kind Das Kind, das nicht reden will Nur sich wiegt Ohne Ufer Darüber das Klavier Das Feuer prescht ins Haus herein Der Garten hinterher Darin die Furcht des Kindes neuen Schutz findet
Darüber der Baum Darunter das Kind Da ist die Furcht ins Feuer gelaufen
(B.R.)
Thema des Abends: Bär und Buckelwal: das Tier in mir
Der Rabe
der Rabe wohnt nicht auf der ERDE er verharrt in den Ästen und lauscht.
Der Rabe wohnt nicht auf der ERDE er wirft den Ballast aus dem Nest und
Der Rabe wohnt nicht auf der ERDE er lacht wenn es Tag wird im grauen Wald
Der Rabe wohnt nicht auf der ERDE.
(H.M.)
Haiku:
Die Sargträger
die Sargträger vorm Tor – dahinter eine Reihe Gänseblümchen im Moment rennt die Zeit über die Äcker dahin
(I. H)
Elfchen (erste Zeile: ein Wort, zweite Zeile: zwei Wörter, … 3 4 1 ):
Die Taube
die Taube macht des Abends einen Spaziergang - und wird dann überfahrn.
gatschig
gatschig der Rest hinter den Zähnen am Teller verblieb ein Erbeermond
Thema des Abends: Erntezeit und Erntezeit und Abschied vom Rest Satzerweiterung: in jeder weiteren Zeile kommt ein weiteres Wort dazu
ich ernte
ich ernte ich ernte kaum ich ernte kaum je ich ernte kaum je Dank ich ernte kaum je Dank, schon gar nicht Erfolg. Ich mag kaum je Erfolg und Dank ernten Ich kann kaum je Erfolg und Dank ernten, auch nicht Tomaten Ich kann gar nicht ernten Ich ernte nie.
(B.H.)
Satzerweiterung
ich lebe.
ich lebe gut meistens ich lebe schon gut meistens meistens lebe ich manchmal lebe ich noch nicht manches lebt noch nicht mal lebt es, mal nicht lebt es nicht, muss ich es wecken wecke ich es nicht, überrascht es mich dann kommt es über mich ohhh!
so ist das leben finde ich es nicht, ist es nicht ohhh!
Thema des Abends: Schwachsinn Gruppensätze wurden geschrieben, diese Sätze hat dann jeder gezeichnet, blind mit der linken Hand, die „schönste“ Zeichnung dem Nachbarn gegeben, der gab ihr einen Titel, zu diesem Titel wurde dann eine Geschichte geschrieben. Diese hier z.B.:
Im Finsterwald
Der Finsterwald, der ist kalt. Der Wicht hat die schwarze Schuhpaste auf den Wald geschmiert. Und dann noch die Kiste draufgestellt. Und auf die Kiste den Milchtopf mit dem guten Stiel. Der Wald ist jetzt unter der Kiste unter dem Milchtopf unter der Schuhpaste. Noch finsterer, noch mehr kalt. Jetzt schimmelt er halt. Dann fliegt die Mücke in die Milch und das Kind schreit Mama. Und die Mama rührt einmal um, dann ist er wieder weg, der Mück. Der Trick, der ist schlecht. Der Trick im Zirkus, der jetzt in den Wald kommt, ist besser. Da wird`s wieder heller und die Leute klatschen und führen den Elefanten durch den Wald. Und der ganze Zirkus sitzt drauf, bis sich die Bäume ringeln und biegen und den Elefanten mit den Leuten und den ganzen Zirkus in die Stadt schnepfen. Dann eröffnet der Elefant eine neue Filiale und die Leute kriegen alle Angebote und ein Grillhendl und viele Plastiksackerln. Irgendwann bläst die der Wind wieder in den Wald. Und dann hängen die Plastikfetzen im Geäst. Das rauscht dann noch schöner.
Der Schreibabend hatte das Thema: „vom Suchen und Finden“. Jeder Teilnehmer suchte sich ein Inserat, die ich aus der Zeitung ausgeschnitten habe. Das Inserat für den folgenden Text lautete: „Bauleiter für Gewerk Fussböden zu sofortigen Eintritt gesucht.“
Bauleiter für Gewerk gesucht
zum sofortigen Eintritt gesucht zum sofortigen Eintritt
auf den Fußboden Bauleiter auf den Fußboden
ans Werk Bauleiter ans Werk den Fuß auf den Boden Bauleiter den Fuß tritt ein tritt ein Tritt an den Bauleiter geh weg Bauleiter!
leite den Bau suche den Boden tritt mit dem Fuß baue den Tritt leite das Werk
geh fort geh fort geh einfach weg!
Ein kleiner Text wurde geschrieben, dann wurden ausgewählte Wörter durch Phantasieworte ersetzt beziehungsweise die Reihenfolge der Zusammensetzung verkehrt.
Mit meinem schönen otztatz ging ich in den Parktier. Dort standen viele viele Graugrums unter dem Dachholz. Ganz ganz dicht mit großem Schweißangst vor dem Domodron. Das Domodron jauzt durch die Luftnacht. Die Graugrums jaulen nach Jamijam und Brotweiß. Das beruhigt sie. erbsensuppe: jamijam, gewitter: domodron, Hyäne: graugrum, schuhe: otztatz
Wir sind mit Block und Stift rausgegangen auf die Straße und haben Wörter abgeschrieben. Aus denen dann einen Text gemacht.
Willkommen Mensch
Willkommen Mensch im Hofeingang am Privatgrund der Erdgasregelstation Kransteiner!!! Gebell macht Pedigree Blitzschutz ruft Hemdendienst Alpenschild fordert Fahrzeugrückgabe Tanzcafé ruft Ende Salon verliert Gäste auch Sa. und So. und immer
Der Schreibabend hieß: „ein zeitphilosophischer Abend“ Ich habe das folgende Heidegger-Zitat vorgegeben/vorgelesen und die TeilnehmerInnen gebeten, den Text fortzusetzen, unmittelbar an das Gehörte anzuschließen. Martin Heidegger: „Zeitlichkeit ist der Seinssinn der Sorge. Die Verfassung des Daseins und seine Weisen zu sein sind ontologisch nur möglich auf dem Grunde der Zeitlichkeit, abgesehen davon, ob dieses Seiende „in der Zeit“ vorkommt oder nicht.“
… wenn nicht, stell sich die Frage neu, wie sich Fragen ständig neu stellen sollten – will man nicht feststecken, sich festfahren in den immer gleichen Fragen, da ja auch die Zahl der Antworten ebenso mäßig zur Verfügung wären. Ein neues sich Ausrichten im Kontinuum der da seienden Fragen bewirkt ein ebensolches Aufwerfen neuer Antworten, die ihrerseits naturgemäß Fragen sind. Nun ist ein Menschenleben voll mit diesen und jenen, ein Fortkommen in der Lebenszeit, die dem Mensch durchschnittlich verbleibt, nur kaum gewährleistet. Selbst die, die im Augenblick – es scheint als würden sie emporstrahlen, abheben, über die Begrenztheit hinwegsteigen, auch über zeitliche Dimensionen erhaben - selbst jene verfallen dem Trügerischen des grellen Durchblickens. Am hellen Tage jedoch sind sie im Stundenplan festgefressen, am Lebensplan selbst von kurvigen Kurven verschindelt und durchgeschüttelt von Zeit. Es ist eine wahrhaft elendige Sache, das Seiende ist, es ist im Augenblick und war gewesen. Und wer sind Sie? (E.G.)
… Abgesehen davon bekommt mein Gehirn diesen Satz nicht auf die Reihe. Das ist voll mit Buchweizen, ein zeitloses Getreide. Herrn Heidegger schmeckt Buchweizen nicht. Seine Frau hat es auch schon mit Hafer und Hirse versucht, aber erfolglos. Der Mann hat andere Sorgen. Sorgen hat er, der Herr Heidegger. Auch die Frau Klempier, wenn sie zu spät zur Arbeit kommt. Dann erntet sie die vorwurfsvollen Blicke ihres Chefs. Ein Überpünktlicher. Er ist seiner Zeit voraus und hat deshalb immer einen Vorsprung. Die Frau Huber, die der Frau Klempier schräg gegenüber sitzt, findet seinen Anzug ziemlich altmodisch. Dabei hat er extra ein zeitloses Modell gewählt. Er wird ihn auch bei seinem Begräbnis tragen. Nur kurz, denn er lässt sich einäschern. Damit’s schneller geht. Wegen dem Vorsprung eben. (S.F.)
Bettina Haldergeb. 1965, Studium: Germanistik/Psych.Phil.Päd., Studium der Bildnerischen Erziehung, Kunsttherapeutin, Texterin, wissenschaftliche und berufliche Schreibtrainerin, Gründung der Firma schreibfreu, Schreibseminare in Organisationen, für Studierende, Textwerkstätten, biografisches Schreiben, raum- und textgestalterische Arbeiten
Ich bin beständig interessiert an Ausdrucksmöglichkeiten, die Menschen für sich wählen. Und fasziniert, wenn künstlerische Aspekte mitwirken oder daraus resultieren.
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