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Sonderbares Australien. „Down under“ 75 Jahre nach Egon Erwin Kisch
Mittwoch, 13. Mai 2009
Wäre ich Korrespondent der „Kleinen Zeitung“ (oder des ORF) in Australien, hätte ich im Februar dieses Jahres täglich aufgeregt über die Buschfeuer vor allem im Raum Melbourne und die steigende Anzahl der letztlich rund zweihundert Toten berichtet.
Oder die Überschwemmungen im selben Zeitraum in einigen nördlichen Regionen des Landes. Und ich würde mich vermutlich zumeist aus Canberra melden, der Hauptstadt dieses  Landes und Kontinents. Und dabei wahrscheinlich unerwähnt lassen, dass dieser Ort weniger eine Hauptstadt ist, als ein von Autobahnen (mit Ortsgeschwindigkeitsbegrenzung) durchquerter Park. Und wenn man nicht allzu viel Wetterpech hat, kann man im Zentrum dieser absonderlichen Hauptstadt auf dem sie durchquerenden Stausee Tretboot fahren, paddeln, segeln oder wie ich einige Stunden lang mit dem Fahrrad auf den ausgezeichneten Radwegen den See umkurven.

Dreieinhalb Milliarden Jahre in der Vergangenheit. Ich erzähle über einige Eindrücke von meiner soeben beendeten erstmaligen Reise durch einen Teil dieses Kontinents. Mehr als bruchstückhafte Beobachtungen und Überlegungen wiederzugeben wäre anmaßend angesichts der Ausmaße und Besonderheiten eines Landes, in dem die gesamte EU plus Beitrittskandidaten flächenmäßig Platz fänden. – Ich fahre mit dem Auto von der westaustralischen Hauptstadt Perth in Richtung Norden. Nach rund 150 Kilometern, vorbei an wenigen gottverlassenen Behausungen, gelange ich knapp neben der Hauptstraße in eine riesige Mondlandschaft aus gelbem Sand und darin verstreuten Felsbrocken – den „Pinacles“. Eine unwirtliche, unvergleichliche, fast mystische Umgebung als Beginn der Annäherung an ein trotz aller jahrzehntelanger Globalisierung noch immer verwunderlich fremdartiges Land. Und dieses Wundern über das Unbekannte wird mich mit abnehmender Intensität bis zum Ende meines Aufenthalts begleiten. Nicht zuletzt auch im Hinblick auf die Pflanzen- und Tierwelt des Landes. Und ich denke, wer – spezielles Interesse hin oder her – darüber nicht staunen kann, sollte das Reisen überhaupt bleiben lassen. Und wenige Kilometer von dieser Mondlandschaft entfernt ein an sich unscheinbarer Teich, der lediglich durch einen kleinen Parkplatz und einen künstlichen Weg zum Ufer als Besonderheit erkennbar ist. Und doch erlebt man hier die Erde, wie sie vor dreieinhalb Milliarden Jahren ausgesehen hat – mit den allerersten Organismen, die je auf ihr existierten: Stromatolithen. Asphaltfarbige steinerne Riesenkuhfladen, sichtbar am Rand des Teichs, und manchmal glaubt man ein Blubbern zu bemerken. Das wars. – Stromatolithen (ein erheblich größerer Bestand findet sich knapp tausend Kilometer weiter nördlich) waren zwei Milliarden Jahre lang die wichtigsten Sauerstoffproduzenten als Voraussetzung für das Leben auf diesem Planeten. Ich habe sie gesehen! Wie den Goanna und einige andere Echsenarten als Überbleibsel der Dinosaurierzeit in einer anderen Ecke des Landes.

Aborigines: Zum Spaß abgeknallt. Ich steige ins Auto und höre die „regionalen“ (regional wie „Südeuropa“) Radionachrichten: Gerichtliche Untersuchungen gegen einen Verantwortlichen für Verhaftetentransporte. Ein Aboriginal war mehrere Autostunden weiter nördlich wegen Trunkenheit am Steuer von der Polizei festgenommen und wie üblich der privaten „Sicherheitsfirma“ zur Überstellung ins nächste Gefängnis übergeben worden. Nach angeblich vier Stunden Autofahrt, vielleicht mehr, war er tot. Grund: Keine Verpflegung, keine Flüssigkeit bei Terrorhitze, keine funktionierende Klimaanlage im Fahrzeug. – „Hat Ihr Dienstgeber Sie beauftragt, für Verpflegung und Getränk des Häftlings zu sorgen?“ – „Nein!“ – Und die weltweit bekannte Suada vom Befehlsnotstand wurde ein weiteres Mal breitgetreten. – Ein Weißer, bemerkt später mein in Australien lebender Bruder, wäre wegen dieses Delikts natürlich gar nie verhaftet worden. Aber so sei das eben mit dem Rassismus in diesem Land. Und er erzählt mir die Geschichte von seinem Sohn, der vor Jahren in der Schule wegen seiner österreichischen Herkunft als Nazi und „Hitler“ gemobbt worden sei. Im Gespräch erklärte der damit befasste verständnisvolle Klassenlehrer entschuldigend: „Wissen Sie, wir sind noch immer eine ziemlich rassistische Gesellschaft. Bedenken Sie, vor drei, vier Jahrzehnten haben die Weißen in dieser Gegend die Aborigines am Wochenende noch zum Spaß abgeknallt!“ – Erst seit 1967 sind diese australischen Ureinwohner überhaupt als Bürger ihres eigenen Landes anerkannt. Bis dahin existierten sie behördlich nicht.

Die „Leistung der Pioniere“ wird relativiert. Durchstreift man als Tourist halbwegs wachen Auges das Land, verfolgt einen das Aborigines-Problem immer wieder. Selten in menschlicher Gestalt, sondern eher durch die Art und Weise, wie sich die australische Gesellschaft damit auseinandersetzt. Da gibt es z.B. unter den unzähligen im ganzen Land verstreuten Denkmälern und Gedenktafeln für die „heldenhaften Entdecker und Pioniere“ manchmal welche, an denen ein kleiner, bescheidener Hinweis jüngeren Datums angebracht ist. Darin wird die „Leistung“ der Helden relativiert, dem Gedenken an die bei deren Handeln massakrierten Aborigines wird Raum eingeräumt. – Zurück bleibt der bittere Geschmack des Alibis. Ähnlich im Tourismus und bei der Kunst. Es wird zwar noch eine Zeitlang dauern, bis die bildnerische Kunst der australischen Ureinwohner endgültig auf touristischem Musikantenstadlniveau angekommen und verkitscht ist. Aber das Land ist auf „gutem“ Weg dazu. Zwar wurden in den letzten Jahren verdienstvolle und teilweise architektonisch gelungene neue Museen über australische Kunst (indigene wie andere) in Großstädten wie Melbourne, Sydney und Canberra errichtet oder mit neuen Ausstellungskonzepten umgestaltet. Und der „Abo“-Kunst wird in jenen, die ich besuchen konnte, erheblicher Raum eingeräumt. Aber es gerät in der Regel alles zu glatt, zu idyllisch und meist ohne Thematisierung der Brüche. Und im Wirklichen Leben bleiben die „Abos“ die Letztklassigen, als die sie seit jeher von den herrschenden Weißen behandelt wurden.

Alibigesten. Mit durchaus „neuen“ Mechanismen. Dort, wo beispielsweise Land an Aborigines refundiert werden musste und Bodenschätze auf Ausbeutung warten, werden die neuen Eigentümer in der Regel mit Geld der Bergbauindustrie bestochen und zugeschüttet – und ihrem Schicksal überlassen, das auch mit Geld aus dem Elend nicht herausführt. Dort, wo keine unmittelbaren Konzerninteressen vorhanden sind, bleiben sie nur zu häufig die im Ghetto des Landesinneren eingesperrten Analphabeten. Von ihnen berichtet ein Freund, Lehrer von Beruf, den ich in Adelaide treffe, als er gerade aus einem „indigenen Kaff“ mit zweihundert Einwohnern in 1500 Kilometer Entfernung zurückkehrt. „Es fühlte sich an, wie ein total anderes Land! Alle – natürlich nicht die Weißen – reden noch ihre eigene Sprache, Pitjantjatjara….. Vielleicht geh ich dorthin unterrichten.“ (Googeln Sie: Maralinga!) Ein anderer Freund, den ich in Sydney treffe, wo er als Bauingenieur arbeitet, ist überzeugt: „Dem australischen Staat und vielen Australiern wäre es am liebsten, wenn die Abos möglichst rasch aussterben. Das meiste, was von offizieller Seite her passiert, sind Alibigesten.“ – Was hat sich geändert gegenüber dem Leben vor 75 Jahren, als der rasende Reporter der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts, Egon Erwin Kisch, im Hafen von Melbourne ankam, um am Antikriegskongress des Jahres 1934 teilzunehmen? Und ihm von der australischen Regierung die Einreise verweigert wurde. Worauf er vom fünfeinhalb Meter hohen Schiffsdeck an Land sprang – und sich das Bein brach, dafür dann aber monatelang aufrührerisch von Versammlung zu Versammlung reisen konnte. Seine Beurteilung des Aboriginesproblems fasste er damals so zusammen: „Das Problem der australischen Urbevölkerung wird erst gelöst werden, wenn der Schwarze nicht mehr Entsetzen vor der Gesellschaft der Weißen empfinden muss.“
| Karl Wimmler
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