Das nachhaltige Magazin für Graz und die Steiermark
Journalismus mit journalistischen Mitteln
Mittwoch, 13. Mai 2009

Kopfzeile - von Martin Novak

Journalistinnen* klatschen nicht. Sie klatschen nicht, wenn 94 Prozent der Delegierten der Vorsitzenden ihre Stimme gegeben haben. Sie bewahren die Contenance, wenn Anna Netrebko alle Verdi-Koleraturen gelingen. Es ist ihnen egal, wie der Kick zwischen Sturm Graz und Altach ausgeht. (Manchen ist es lieber, wenn Sturm gewinnt, aber egal.) Journalistinnen sind keine Zuschauerinnen, sondern Beobachterinnen. Sie sind keine Fans sondern Berichterstatterinnen. Sie bewerten natürlich, das ist ihr Beruf. Aber sie bewerten nicht aus Neigung, sondern pflichtgemäß. Verfehlt Netrebko einen Ton, nehmen sie es wahr  –  Zuschauerinnen sind der Diva dermaßen zugeneigt, dass sie Misstöne überhören.

Distanz zu bewahren, erfordert Disziplin. Bei Parteitagen werden Journalistinnen von Parteigängern misstrauisch beäugt. Bei Fußballspielen ist es gut, dass Journalistinnen nicht im Fan-Sektor sitzen. Menschen, die bei Toren des eigenen Teams nicht aufjubeln, bekommen leicht ein Bier über den Kopf geschüttet. Man ist nicht beliebt, wenn man nicht dazugehört.
Nicht mitzufiebern hat aber Vorteile: Man kann nicht verlieren und wird nicht enttäuscht. Es hat auch einen Nachteil: Man kann nicht gewinnen. Gelegentlich fallen Medien deswegen aus der Beobachter-Rolle. Das nennt man dann eine Kampagne. Oft geht es bei einer Medienkampagne darum, etwas zu retten: eine Au, eine Basilika, Österreich. Oder den ORF. Der Rollenwechsel fällt nicht immer leicht: „Wir werden weiter versuchen, den ORF zu retten … aber mit journalistischen Mitteln“, leitartikelt „profil“-Chefredakteur Christian Rainer (profil, 6. 4. 2009). Das wirft eine interessante Frage auf: Kann man mit journalistischen Mitteln jemanden retten? Und: Ist es Journalismus, wenn man mit journalistischen Mitteln einen nicht-journalistischen Zweck verfolgt?
„News“-Chefredakteur Atha Athanasiadis ficht diese Frage nicht an. Für ihn ist vielleicht nicht alles Journalismus, aber Journalismus alles: „Warum wird man Journalist? Weil man verändern will. Weil man bewegen will. Weil man sich nicht mit den Gegebenheiten abfinden will. Weil man unterhalten will. Zum Nachdenken anregen. Oder einfach Dinge beim Namen nennen will. Weil man will, dass die Schwachen eine Stimme bekommen und gehört werden. Weil man aufregen will. Dass Menschen verstanden werden, die sonst keiner versteht. Dass einfach was passiert.“
Die „Kleine Zeitung“ hat zu Ostern dafür gesorgt, dass etwas passiert. Mit zwei vom Medienkünstler Richard Kriesche gestalteten Titelseiten am Karfreitag und am Ostersonntag verstörte sie einige Leserinnen derart, dass der stellvertretende Chefredakteur Thomas Götz ausrücken musste, um das, was selbsterklärend war, zu begründen. „Lesen genügt nicht. Das ist mehr, als Zeitungen im Normalfall tun“, lässt er die Leserinnen wissen.
Auch Armin Thurnher will im „Falter“ mehr, als von Zeitungen im Normalfall erwartet wird: „Mir geht es darum (…), nicht bloß einen Diskurs zu entfachen, sondern der Regierung eine Ahnung von publizistischer (…) Gegenmacht zu geben“. Es gehe nicht darum, wen zu retten, aber „öffentlichen Druck für die Rettung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu entwickeln“. Das hätte Hans Dichand nicht schöner formulieren können. Der formuliert aber nicht, sondern tut es einfach. Auch im Normalfall.

*Alle weiblichen Personenbezeichnungen in dieser Kolumne gelten für Frauen und Männer.


Martin Novak ist Journalist, Medienfachmann und Geschäftsführer der Agentur „Conclusio“ in Graz.
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