Christian Salmhofer vom Klimabündnis Kärnten weilte Ende 2008 einen Monat in Kirgisien. Er hat KORSO einen Bericht übermittelt, der eindrucksvoll die Zusammenhänge zwischen Armut, Umweltzerstörung und Klimawandel beschreibt und sich der Illusion widersetzt, Bildung, Entwicklungshilfe und Gleichberechtigung wären wirksame Waffen gegen die strukturelle Gewalt der neoliberalen Weltwirtschaftsordnung.
Die Familie meiner Frau lebt in Kirgisien. Ein muslimisches Land am Rande der ehemaligen Sowjetunion an der Grenze zu China. Bei uns oberflächlich bekannt durch die Tradition des Frauenraubes. Die Deutschen heißen dort im Volksmund „Fritz“ – eine Erbe des Zweiten Weltkriegs. Damals starben von meiner Verwandtschaft alle männlichen Vorfahren – bis auf einen. Der wurde dann von Kommunisten umgebracht. Frauenraub kommt hier gegenwärtig so häufig vor wie in Österreich Väter, die ihre Töchter über Jahrzehnte in den Keller sperren. Nur wenige abenteuerlustige Touristen verirren sich in dieses kleine, verwunschen schöne Land am Ende der Welt. Ich verbrachte einen Monat in einem Dorf nahe der Hauptstadt Bischkek. Im Laufe dieser Zeit sah ich übrigens niemanden beim Beten oder eine Moschee betreten. Im Gegenteil, die Islamisierung sorgte bei den Dorfältesten für große Aufregung und war Gesprächsthema Nummer eins: „Männer aus dem Süden kaufen unsere Weiden. Nun dürfen unsere Kühe erst dann wieder grasen, wenn wir in die Moschee gehen!“
Die Folgen des Klimawandels. Weniger Gesprächsthema als die Islamisierung ist ein Problem, das allerdings noch viel existenzieller werden dürfte: Der Klimawandel. Es gibt kaum ein anderes Land auf der Welt, das so weit entfernt ist vom Meer wie Kirgisien. Weil die Wassermassen der Ozeane Temperaturschwankungen hier am wenigsten ausgleichen, ist der Klimawandel bereits stark zu spüren: Die durchschnittliche Jahrestemperatur stieg in den letzten vierzig Jahren um etwa zwei Grad Celsius – weltweit waren es laut Weltklimarat 0,5 Grad. „Wenn das so weitergeht“, warnen kirgisische Wissenschaftler, „wird sie 2070 fünf Grad höher sein.“ Die ehemalige Sowjetrepublik Kirgistan gehört zu den ärmsten Ländern der Erde. Die Folgen der Armut werden durch den Erwärmungstrend verschärft. Die Gletscher im zentralasiatischen Tientschan-Gebirge verlieren an Masse. Zudem gibt es weniger Regen. Das Wasser fehlt den Bauern, die ihre Felder bewässern müssen. Auf den Weiden wächst weniger Futter als früher.
Kohle ersetzt Erdöl, … Denn während die Wohlstandsgesellschaften diskutieren, wie sie mit der solaren Revolution die hohen Energiepreise in wirtschaftliches Wachstum ummünzen können, kommt es in vielen Ländern zu einer Beschleunigung von Verarmung und Umweltzerstörung. Sie müssen, um zu überleben, auf Kohle als Energieträger setzen. Etwa 40 Prozent der gut fünf Millionen Einwohner leben unter der Armutsgrenze, die Arbeitslosenquote ist hoch. Das Land kann sich die hohen Preise für Erdöl und Erdgas nicht mehr leisten und gerät immer mehr in die Schuldenfalle. Für die meisten Kirgisen gibt es daher dringlichere Alltagsprobleme als den Klimawandel. Wie soll man das Essen bezahlen? Wie das Haus im Winter heizen? Diese Fragen bestimmen das Leben. Obwohl der Pro-Kopf-Ausstoß an Kohlendioxid pro Jahr nur 1,1 Tonnen beträgt, ist der Heizenergiebedarf in Kirgisien drei- bis fünfmal so hoch wie im EU-Durchschnitt. Das liegt an der miserablen Wärmedämmung der Gebäude, die mehrheitlich noch aus Sowjetzeiten stammen. Kaum jemand kann sich eine Vorstellung machen, was es bedeutet, wenn es im Winter bei einem Kälteeinbruch auf minus 30 Grad Celsius abkühlt und die fossilen Energieträger ausfallen. Wenn auch Kohle zu teuer ist, wird dann wird das Fällen der letzten Wälder zu einer Überlebensfrage.
… Holz ersetzt Erdgas. Während der sehr kalten Winter leiden die Menschen aber nicht nur wegen der schlechten Dämmung, auch Erdgas bzw. Strom zum Kochen ist zu teuer, darum greifen die Menschen auch dafür auf das Holz in ihrer Umgebung zurück. In den letzten Wintern wurden während einer Kältewelle Abertausende für das kontinentale Mikroklima extrem wichtige Bäume gefällt, um die Wohnungen zu heizen. Dabei war die Hauptstadt Bischkek einmal würdiger Träger des Titels „die grünste Hauptstadt der Welt“. Gleichzeitig erzeugen die Kirgisien übermäßig viel Strom mit ihren Wasserkraftwerken. Wenn das Wasser im Winter für die Stromversorgung der Heizungen verwendet werden muss, dann fehlt es im Sommer zur Bewässerung der Landwirtschaft. In Kirgisien stammen etwa 90 Prozent aller Elektrizität aus Wasserkraft. Leeren sich die Stauseen, ist das ganze Land bedroht. Auch führt das fehlende Wasser zu zwischenstaatlichen Konflikten, da die vertraglich abgesicherten Wasserlieferungen für die Anrainerstaaten nicht eingehalten werden können. Zu allem Überdruss wird die Fernwärme von Bischkek mit Braunkohle erzeugt. Die filterlose Anlage setzt enorme Schadstoffmengen frei (vgl. Foto, welches um 5 Uhr Früh im August (!) aufgenommen wurde) und wird nicht einmal für die Stromerzeugung benutzt.
Autarke Energieversorgung für Wohlhabende. Am Land wird in den Häusern der teure Strom zur Erwärmung des Wassers für die Zentralheizung herangezogen. Von Solaranlagen weit und breit keine Spur, obwohl hier ein optimales Klima dafür vorherrscht. Holz ist sehr teuer, daher wird selbst der Kuhdung als Brennstoff verwendet. Vielerorts sind die Elektrogeräte und Anschlüsse vorsintflutlich, Stromausfälle sind an der Tagesordnung. Selbst in der Hauptstadt wird regelmäßig für Stunden der Strom abgeschaltet. Insbesondere im Sommer, wenn es oft über 40 Grad Celsius hat leidet die gesamte Kühlkette darunter. Die oft veralteten Kühlschränke tauen ab, die Vorratshaltung ist gefährdet. Selbst Krankenhäuser leiden unter den Stromausfällen. So kommt es schon mal vor, dass das Essen für die Insassen des Kinderspitals im Freien gekocht werden muss. Wie in allen veramten Ländern hat sich natürlich eine reiche Oberschicht gebildet, die sich abgegrenzt und sich hinter hohen Mauern in ihrem Disneyland verschanzt. Die Wohlhabenden versorgen sich autark mit Energie – die Erhaltung der öffentlichen Infrastruktur hat allein schon deswegen keine Priorität.
Kohle statt Klimaschutz. Da Auslandsinvestitionen und technologische Hilfe ausbleiben, muss sich Kirgisien mit Kohle aus der Schlinge ziehen. Diese mag zwar klimaschädlich sein, kann aber wenigstens die Eigenversorgung mit der so lebensnotwendigen Energie sicherstellen. Aufgrund der international unzureichenden Klimapolitik hat ein hoher Erdölpreis zur Folge, dass Kohle für viele arme Länder die einzig leistbare Energieform geworden ist. Diese Überlebens-Emissionen sind ein Grund mehr für den weltweiten CO2-Anstieg. Kohle ist auf jeden Fall billiger als Öl. Hier tappt der globale Klimaschutz in die Armutsfalle. Denn je höher der Ölpreis, desto größer der coal rush! Auch in China wachsen durch den coal rush die CO2-Emissionen schneller als der Energieverbrauch. Ohne Klimagerechtigkeit ist es daher nicht möglich, das Klima zu schützen.
Bildung bleibt unwirksam. „Im Gegensatz zu Afrika haben wir es in Kirgisien nicht mit Analphabeten, sondern mit Professoren zu tun“, diese treffende Analyse eines Deutschen Entwicklungshelfers zeigt ein weiteres Dilemma auf: In den ehemaligen Sowjetstaaten gab es eine gut aufgebaute Infrastruktur, die in vielen Bereichen den westlichen Standards entsprach. Auch die Gesellschaftsordnung entsprach in mancherlei Hinsicht unseren liberalen Vorstellungen: So waren bis in die 90er Jahre 50% der Führungspositionen mit Frauen besetzt, auch der Islam wurde und wird in einer sehr toleranten Form gelebt. Aber: Selbst höchstes Bildungsniveau und Gleichberechtigung der Frauen sind, wie die aktuelle Entwicklung zeigt, machtlos gegen die strukturellen Probleme der neoliberalen Wirtschaftsordnung. Entwicklungspolitische Projekte, die glauben, so eine bessere Welt zu erschaffen, sind gelinde gesagt naiv. Migration ist die beste Entwicklungshilfe. Kirgisiens Bruttoinlandsprodukt wird zu mehr als 30% von den Auslandsüberweisungen seiner MigrantInnen gespeist. Diese finanziellen Zuwendungen verringern nachweislich die Armut und dienen u.a. dazu, den Bildungsstand der zuhause gebliebenen Verwandten zu erhöhen. Selbst die Weltbank hat in ihren aktuellen Berichten darauf hingewiesen, dass diese Gelder wesentlich effizienter eingesetzt werden und nachhaltiger den Lebensstandard erhöhen als die meisten Entwicklungshilfeprojekte. MigrantInnen überweisen inzwischen fast dreimal mehr Geld in ihre Heimatländer, als reiche Nationen für Entwicklungshilfe ausgeben. Konträr dazu wird aus Sicherheitsgründen nicht nur die EU zu einer Festung ausgebaut, die Migration verhindern soll. Anstatt die Migration zu erleichtern, die nachweislich die bessere Entwicklungshilfe ist, wird sie nur mehr den „Fachkräften“ erlaubt. Für den Rest werden die Schotten dicht gemacht. Gleichzeitig schreit man nach mehr Entwicklungshilfegeldern, die in althergebrachter Weise von unzähligen NGOs verteilt werden. Die Ergebnisse lassen oft nicht einmal den Tropfen auf dem heißen Stein erkennen …
\ Christian Salmhofer
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