In Bangladesch, das nicht einmal doppelt so groß ist wie Österreich, leben nahezu 20mal so viel Menschen. Das Bruttoinlandsprodukt, das jeder der 153 Mio Einwohner erwirtschaftet, beträgt gerade 455 USD / Jahr. Die Textilindustrie ist eine der Säulen der schmalen Wertschöpfungsbasis: 76% des Exports stammen aus diesem Sektor. Die Arbeitsbedingungen der ArbeiterInnen sind nach wie vor von Überausbeutung und Rechtlosigkeit geprägt; dennoch gab es in den letzten Jahren leichte Verbesserungen.
Kalpona Akter, 33, Koordinatorin der Nichtregierungsorganisation Bangladesh Center for Workers Solidarity, war acht Jahre lang selbst Näherin in einer der heute nahezu 5000 Textilfabriken des Landes: „Als ich zwölf Jahre alt war, mussten ich und mein Bruder anfangen, in der Fabrik zu arbeiten. Oft haben wir drei Wochen bis spät in die Nacht durchgearbeitet.“ In der Fabrik wurde Akter, die zuvor keine Ahnung von gewerkschaftlicher Arbeit und Arbeiterrechten gehabt hatte, politisiert, sie begann für ihre Rechte zu kämpfen. In Bangladesch, wo die Selbstorganisation der ArbeitnehmerInnen nur sehr restriktiv gestattet ist, gerät man da rasch mit dem Gesetz in Konflikt: Akter wurde eingesperrt, ließ sich aber nicht einschüchtern, auch wenn sie keine Chance mehr auf einen Arbeitsplatz hatte, sondern verlegte ihre Aktivitäten auf eine andere Ebene: Von 1995 bis 1999 arbeitete sie als Organisatorin und Trainerin für die Bangladesh Independent Garment Workers Union Federation (BIGUF), eine unabhängige Gewerkschaft, seit 2000 für Workers Solidarity.
NGOs unterstützen Gewerkschaftsarbeit. Was ist die Rolle von NGOs wie dem Center for Workers Solidarity? „Es gibt diese NGOs, weil die Gewerkschaften schwach sind“, sagt Akter. Die Betriebsgewerkschaften hätten wohl einige Hunderttausend Mitglieder, die Gewerkschaftszentralen aber bloß einige zehntausend. Das CWS selbst ist eine Gründung des American Center for International Solidarity, einer Organisation, die von der großen US-amerikanischen Gewerkschaft AFL-CIO abhängt. Internationale Solidaritätskampagnen wie „Clean Clothes“, die von lokalen NGOs aufgenommen werden, hätten auch in Bangladesch einiges bewirkt, berichtet die Aktivistin, „allerdings beziehen sich diese Änderungen in der Hauptsache auf die Arbeitsbedingungen, weniger auf die Assoziationsfreiheit und die Löhne.“
72-Stunden-Woche. In den späten Achtzigern und frühen Neunzigern war es noch üblich, dass 14 bi 15 Stunden am Tag, manchmal bis zu 21 Stunden, gearbeitet wurde; heute arbeiten die 2,5 Mio Beschäftigten in der Textilindustrie – 90% von ihnen sind Frauen – 12 Stunden täglich und höchstens 72 Stunden in der Woche. Die Regel, wonach bis zu 14 Tage Krankenstand bezahlt werden müssen, wird allerdings nur von 40% der Unternehmen eingehalten, kritisiert Akter; die gesetzlich vorgesehenen 14 Tage bezahlten Urlaub pro Jahr gewähren überhaupt nur 20% der Arbeitgeber – bloß die 11 bezahlten muslimischen und säkularen Festtage werden üblicherweise eingehalten. 95% der Textilunternehmen sind übrigens in der Hand von Bangladeschern, die meisten liegen in EPZs, Export Processing Zones, für welche besondere gesetzliche Bedingungen gelten.
Problem Rohstoffbeschaffung. Wie wirkt sich die aktuelle Wirtschaftskrise auf Bangladesch aus? Das Wirtschaftswachstum lag bis 2007 noch bei ca. 6%; in den letzten Monaten habe es im Textilsektor keine Einbrüche gegeben, sagt Akter, die Bestellungen seien noch immer gleich hoch. „Wir können noch nicht sagen, wie die Entwicklung weitergehen wird, möglich, dass sich die günstigen Kleider aus Bangladesch gerade wegen der Wirtschaftskrise sogar noch besser verkaufen.“ Das Problem liege eher in der Beschaffung der Rohstoffe: Baumwolle muss aus China, Indien, Taiwan und den USA importiert werden, weil in Bangladesch jede verfügbare Fläche für den Anbau von Nahrungsmitteln genützt werden muss. Gefordert: 50 Euro Mindestlohn. Was sind die zentralen Forderungen der Textilarbeiterbewegung? An erster Stelle Assoziationsfreiheit, sagt Akter, denn noch immer wird die gewerkschaftliche Organisierung administrativ oder schlicht durch Drohungen von Unternehmerseite behindert. Dann: „Löhne, von denen man leben kann“ – die derzeit 20 Euro Mindestlohn reichen nicht zum Leben, 45 bis 50 sollten es sein ohne Mietkosten. Und schließlich steht die Einführung der 48-Stunden-Woche auf der Agenda. Aber: Gesetzesänderungen sind schwer durchzusetzen, denn 29 der 300 Parlamentsabgeordneten sind selbst Besitzer von Textilfabriken.
\ Christian Stenner
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