Das nachhaltige Magazin für Graz und die Steiermark
Ein Sparring und 55 Cent
Mittwoch, 11. März 2009

Aufwärtshaken – Das Sportfeuilleton - von Gregor I. Stuhlpfarrer

Kurz vor Weihnachten bekam ich Post.
Offenkundig inspiriert vom Titel und der damaligen Bebilderung dieser Kolumne fragte da einer: „Wo, wann, gegen wen haben Sie geboxt, Herr Stuhlpfarrer?“. Nicht irgendeiner: Gerald Brettschuh, renommierter steirischer Künstler und jemand, von dem ich wusste, dass er ein Faible für die Faustfechterei hat, andererseits keiner, von dem ich ein Packerl samt Buch (Gerald Brettschuh: Box-Bilder, 1974 – 1987, Graz: Edition Sterz, 1987) erwarten konnte – immerhin kenne ich Gerald Brettschuh nicht persönlich.

Die 55 Cent, die ich der Postangestellten zwei Tage später über den Schalter reichte, ermöglichten mir Brettschuhs Frage zu beantworten: „Ich muss sie enttäuschen“, hatte ich da hingekritzelt. Weil, warum: Weder hatte ich jemals mit bandagierten Fäusten einem Gegner im Ring zwischen der Deckung ins verschwitzte Antlitz geblickt, noch spät nächtens eine Meinungsverschiedenheit in Spencer-Hill-Manier zu lösen versucht. Warum auch, die Faszination strahlt nicht selten gerade aus der Distanz.

Brettschuh hatte Nachsicht. Für die Kolumne in der Februar-Ausgabe des KORSO stellte er mir die Rechte für ein Box-Bild aus seiner Hand zur Verfügung. Einen Tag nach dem Erscheinen dieser Ausgabe hatte Il Postino abermals einen Brief für mich: „Lieber Stuhlpfarrer: Was noch zu sagen ist“, schreibt mir mein neuer Brieffreund aus einem, mir nicht ganz unvertrauten, Flecken Land in der Südsteiermark da, „Bei Formatangaben von Gemälden/Grafiken etc.: Höhe vor Breite“. Am falschen Fuß erwischt, nennt man das, denn natürlich hatte ich da etwas durcheinandergebracht beim Quellennachweis, obwohl ich in bester Absicht gehandelt hatte: Die von mir angegeben Formatangaben hatte ich nämlich aus dem Anhang jenes Brettschuh-Box-Buchs übernommen, das er mir zu Weihnachten geschickt hatte. Siegessicher stolzierte ich also abermals zur Postfiliale meines Vertrauens – die 55 Cent in petto, um einen Brief samt Kopie eines Boxbildes des spanischen Malers Ed Arroyo gen Süden zu schicken. Brettschuhs gütiger Konter lies nicht lange auf sich warten: „Lieber G I Stuhlpfarrer, Die Kopie des farbigen Boxers von Ed Arroyo (1984) beflügelt mich zu dieser herzlichen Antwort“, schreibt er. Meinem Einwand, ich hätte die Formatangabe für sein Bild nichts ahnend seinem Buch entnommen, entgegnete er: „Viele Kollegen, die Bücher, Karten etc. publizieren, begehen den Fehler, dass sie, wie es bei Büchern gemacht wird, zuerst die Breite nennen. Sie, G I, gehören jetzt zum ‚Expertenkreis’“. Der obligatorische „private Tipp“, der in seinen Briefen mit derselben Garantie wiederkehrt wie unerwartete Wahlausgänge in Kärnten, hatte es diesmal allerdings in sich: „Gehen Sie zu Heros trainieren“, empfahl mir Brettschuh, der 1961 die steirischen Hochschulmeisterschaften im Halbmittelgewicht gewinnen konnte. Der BC Heros ist übrigens der einzige Box-Klub in Graz und ich dachte mir: Vielleicht verdichtet sich der Strahl der Faszination in der Nähe tatsächlich.

Beim BC Heros musste ich mich trotzdem nicht selber melden, denn exakt einen Tag nach Brettschuhs letztem Brief erreichte mich ein Mail der Grazer Faustfechter samt Einladung zum Trainingslager und Sparring. Ich dachte mir: schöner Zufall, genauer gesagt: gegen das Schicksal soll man sich nicht auflehnen. Wobei, „Selbst Boxen will ich (noch) nicht“, schrieb ich Stefanie Gamberth von Heros, um etwaigen Missverständnissen vorzubeugen. Und so sah ich sie, die Boxer des 21. Jahrhunderts, die auf mich wirkten, wie aus einer anderen Zeit – dirigiert von Heros-Cheftrainer Gerhard Poms und in Anwesenheit eines Arztes tauchten die Köpfe im Sekundentakt ab, ehe eine Dreier-Kombination abgefeuert, die Deckung wieder vors und der Kopfschutz aus dem Gesicht geschoben wurde. In diesen Momenten strahlte die Faszination auch aus der Nähe, ob ich tatsächlich zu „Heros trainieren“ gehen werde, steht aber noch nicht fest. Sobald es soweit ist, werde ich jedenfalls wieder zur Post schreiten – mit einem Brief und 55 Cent.

Gregor Immanuel Stuhlpfarrer ist Historiker, Theologe und KORSO-Redakteur.
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