Das nachhaltige Magazin für Graz und die Steiermark
Nicht ganz normal
Mittwoch, 11. März 2009

Wimmlers Demontagen - von Karl Wimmler

Wer kennt heute noch Armin Berg, den in den ersten vier Jahrzehnten des vergangenen Jahrhunderts beliebten Kabarettisten und Sänger? Wenige Jahre nach meiner Geburt starb er als armer Teufel in Wien, nachdem er zuvor in den USA fast verhungert wäre. Als Emigrant in New York, wo er davon zu leben versuchte, Bleistifte zu verkaufen. Zufällig begegnete er dort Anfang der 40-er Jahre dem ebenfalls aus Österreich entkommenen Schriftsteller Friedrich Torberg. Wie es denn so gehe? – Bergs Antwort laut Torbergs Bericht: „Hör zu! Warum wir da sind, weiß ich. Aber warum sind die Amerikaner da?“

– Nein, kein runder Geburts- oder Todestag steht an. Aber eines der von Berg gesungenen Lieder drängt sich mir in Zeiten wie diesen auf, in dem es schon zu Beginn heißt:
Wenn man die Welt betrachtet heute
Da sieht man, alles ist verdreht
Meschugge sind die meisten Leute
Und ich bin auch schon a bisserl bled
Ich bild mir ein, es könnt mir schaden
Wenn ich mein’ Schneider nicht bezahl
Und jede Woche geh ich baden
Ich glaub, ich bin nicht ganz normal.

Da fühl ich mich angesprochen. Obwohl Berg nur der musikalische Propagandist dieses Textes seines 1942 im KZ Theresienstadt umgekommenen Zeitgenossen Louis Taufstein war. Offensichtlich ticke auch ich nicht richtig. Wenn ich zum Beispiel höre, dass in Graz immer mehr Menschen finanziell am Boden liegen, bin ich besorgt. Andere hingegen sehen das als großartigen Erfolg. Die ausschließlich aus Werbung finanzierten Blättchen wie „der Grazer“ beispielsweise. Aber der Reihe nach. Papiermülltrennung: Prospekte, Schnorrbriefe, Gratiszeitschriften wie Woche, 80, Living Culture („Die erste Adresse für Ihre maßgeschneiderte Unternehmenszeitung, alle Arten von Texten, Ihre Corporate Identity“), Werbezeitungen und so weiter – viel mehr als das Hofer-Prospekt bleibt zum Durchblättern nicht übrig. Und im „Grazer“ stolpere ich über einen Bericht über jene Menschen, denen keine Bank mehr ein Konto eröffnet. Und deren Anzahl in den letzten Monaten drastisch gestiegen ist. Und ohne Konto keine Aussicht auf dauerhafte Beschäftigung. Was wird draus? – Ein Erfolgsbericht! Titel: „Run auf 2. Sparkasse“. „Pro Monat verzeichnet man bereits 40 Kontoeröffnungen – und das, obwohl es die Einrichtung in Graz erst seit kurzem gibt.“ Und abgebildet ist ein grinsender Bankdirektor, dessen Konzernchef Treichl als Mann mit der landesweit größten Gage aufgefallen war – vor der „Finanzkrise“. Aber die Aufregung damals währte nur kurz. Weil dann gleich die Beschwichtiger auf den Plan traten: Unberechtigte Kritik! Nur Neidgesellschaft! Leistung muss belohnt werden! Passenderweise war seine „Erste“ auch die erste, die sofort begeistert aufzeigte, als die Regierung den Banken Milliarden in Aussicht stellte.

Also Jubel über den „Run“ auf die „2. Sparkasse“. Die wohl kaum mehr ist, als das soziale Feigenblatt der „Ersten“. Und für deren Glaubwürdigkeitsimage. Und die übrigens jenen, die sie für ein erhofftes Gehaltskonto in Anspruch nehmen, kaum helfen wird. Weil die Personalabteilungen wissen, wie ruiniert man sein muss, um das spesenfreie Konto der „2. Sparkasse“ in Anspruch nehmen zu dürfen. Aber wahrscheinlich geht’s darum gar nicht. Hauptsache, die Habenichtse nehmen sich ein Beispiel an jener „Tüchtigen“, die die „Kleine Zeitung“ kürzlich ausgeforscht hat. Das heißt, „kürzlich“ ist etwas ungenau. Vor einigen Monaten war’s bereits, um Weihnachten. Und für den (vor)weihnachtlichen Frieden im Land und auf Erden ideal aufbereitet: „Vom Glück einer Tüchtigen“, betitelte das Blatt das ganzseitige Foto auf Seite 1. Und erzählte  „die Geschichte einer Frau, die nie aufgegeben hat.“ Trotz vier Jahren Arbeitslosigkeit. Und fesch auch noch. Und kann lachen! – Ein Weihnachtswunder sozusagen! Genau genommen nicht ganz: „Dann, am 30. Juni dieses Jahres“, heißt es in der Geschichte, „erhielt sie plötzlich eine positive Antwort auf eine Bewerbung und jenen Job im Büro eines Architektennetzwerkes, in dem sie jetzt sitzt.“ – Da kam aber Freude auf bei den Lesern. Und gut, dass man mit dem Bericht bis Weihnachten gewartet hat und nicht schon am ersten Juli mit der Schlagzeile auf Seite eins herausrückte: „Sensation! 47-jährige Grazerin bekam Job!“

Ein kleiner Wermutstropfen blieb allerdings. „Die Notstandshilfe wäre höher als mein derzeitiges Gehalt.“ Aber das ist weder für den Herrn Redakteur weiter schlimm, noch für die Tüchtige im Glück. „Ich habe auch gelernt, dankbar zu sein für Dinge, die passieren – auch zu meinem Guten“, wird sie zitiert. So soll’s sein. Wozu sichere Arbeitsplätze, wozu ein Mindestlohn, wozu Kollektivverträge, wozu der ganze Sozialstaatsunfug. Sollen es doch gefälligst die anderen auch so machen wie diese Ursula. Und dem Zentralorgan ins Mikro diktieren: „Gott war mein Coach. Er hat mir Demut beigebracht.“ Und wenn ich unterm Notstandshilfeniveau arbeiten darf, hab ich Glück gehabt.

Blöderweise bin ich nicht so „normal“. Und setze lieber wieder mit Armin Bergs bzw. Louis Taufsteins zweiter Strophe fort. Die begann im Jahre 1929 so:
Ich will in kein Konzert mehr gehen
Da ist um jeden Groschen schad
Ich will auch kein Theater sehen
Das ist mir alles viel zu fad

Den Rest der Strophe singe ich in den letzten Jahren lieber auf meine Weise:
Will ich mal aus Vergnügen lachen
Da hör ich Radio ganz normal
Lass Wirtschaftsforscher Prognosen machen
Ich glaub, ich bin nicht ganz normal

Karl Wimmler ist Historiker und Kolumnist des KORSO.
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