Shanghai fern von wo. Roman. / Klimmen. Erzählung einer WG. / Srebrenica. Der Kronzeuge. / Urninge, Conträrsexuelle, warme Brüder. / Die grünen Seiten 2009. Klimaschutz statt Klimaschmutz. / Heilige Scheine. Marco d‘Aviano, Engelbert Dollfuß und der österreichische Katholizismus.
Belletristik
Wien – Shanghai und zurück
Ursula Krechel: Shanghai fern von wo. Roman. Salzburg, Jung und Jung Verlag, 500 Seiten, EUR 29,90 Etwa 18.000 zum großen Teil jüdische Flüchtlinge gab es im Zweiten Weltkrieg in Shanghai, weil die Stadt damals als einziger Fluchtpunkt für die Einreise kein Visum verlangte. Ursula Krechel hat sich in jahrelanger Arbeit mit der Rekonstruktion des Lebens einiger Emigrantenfamilien beschäftigt und hat aus den authentischen Quellen und wirklichen Menschen einen „Roman“ gemacht, wie sie ihr lesenswertes Buch nennt. China-Bücher und Filme sind „in“, aber dieses Buch ist eher der Aufklärung der NS-Herrschaft und ihrer Vertreibungspolitik zuzurechnen. Allerdings ist auf jeden Fall lesenswert, wie die Chinesen unter der japanischen Besatzung (seit 1937) lebten und wie sich die weitere Entwicklung bzw. Teilung Chinas schon andeutete. Elend herrschte unter der chinesischen Bevölkerung wie auch unter den Exil-Europäern, schon bevor 1944 die US-Amerikaner mit den Bombardements begannen. Erst die Atombomben auf japanische Städte beendeten im August 1945 dann den Krieg und die Ghettoisierung; die meisten Flüchtlinge aus Deutschland und Österreich kehrten in ihre Länder zurück. Franziska Tausig aus Wien hatte in Shanghai als Bäckerin die „Frühlingsrolle“ als Variation des Wiener Apfelstrudels erfunden, wenigstens geht so die Legende. Ihr Mann starb in China, sie selber traf nach Kriegsende in Wien den Sohn Otto, der als Jugendlicher nach England geflohen war. Er lebt in Österreich als Autor und Schauspieler, inzwischen alt geworden, einer der wenigen Zeitzeugen, die noch zu befragen sind. – Seine Autobiografie sowie das Buch seiner Mutter über den Fluchtort Shanghai sind im Buchhandel erhältlich. Ursula Krechel beherrscht die Methode der Kombination von Quellenmaterial mit fiktiven Dialogen und Reflexionen ganz hervorragend. Die Botschaft des Romans? Sie richtet sich gegen den Krieg, gegen die Ideologien, sie verurteilt die Aggression gegen Minderheiten, die erst durch Ausgrenzung „minder“ gemacht werden. Ein gut geschriebenes Buch, dessen Sprache trotz des schwierigen Themas fast leichtfüßig daherkommt. \ Hedwig Wingler
Studenten-Sex
Andrea Stift: Klimmen. Erzählung einer WG. Klagenfurt/Celovec: Wieser 2008. 217 Seiten, EUR 18,80
Um die Fixkosten für das Wohnen zu senken, beschließen sie zusammenzuziehen, sie sagt ihm, dass sie ihn liebe, er sagt ihr, dass er sie „schon auch sehr gern habe oder Ähnliches, es war die ideale Beziehung“. Die Handlung spielt in einer Stadt ohne Namen, die ziemlich stark an Graz erinnert. Die Zweierbeziehung erweitert sich schnell um einige Personen, die mehr oder weniger übersichtlich, jedenfalls durcheinander, Sex haben. In den dazwischen liegenden Pausen gehen sie auf die „Uni“, die Wohngemeinschaftleute sind Studenten, mit Job, oder auf Jobsuche. Was sie außerdem, sozusagen „zwischen den Zeilen“, suchen, wird nicht so ganz klar. Gelingt ihnen Emanzipation, da sie glauben, sich von ihren Müttern oder Vätern emanzipiert haben? Aber die Stories sind nicht die Hauptsache dieses Buches. Nicht die Variationen von Sex, von denen es viele verschiedene gibt. Auch nicht die politische Dimension, das „Anarchogetue“, wie die Autorin schreibt. Der Kernpunkt dieser Erzählung ist die Sprache, die Darstellung der jungen Generation in ihrer eigenen Sprache. Dass Andrea Stift auch anders schreiben kann, hat sie in ihrem Buch „Reben“ (Klagenfurt 2007) gezeigt, der Skizze ihrer südsteirischen Familie über fast ein Jahrhundert. In „Klimmen“ konzentriert sie sich auf den Jargon der jungen Leute, die sich scheinbar nur dem Augenblick widmen, die sich den Luxus zu leisten scheinen, nur den Fick der vorherigen Nacht oder des nächsten Morgens im Kopf zu haben. „Klimmen“ hängt mit klammern, mit klemmen zusammen – Pflanzen „klimmen“, können Personen das vielleicht auch? Es gelingt der Autorin eine hastige Erzählung, deren kurze, teils kurzatmige Kapitel sich mosaikartig zusammenfügen, Stücke eines Puzzles. Da ist eine Gruppe von jungen Leuten mit viel Promiskuität, wie man sagt, und da ist eine Geschichte darüber mit vielen Sätzen. Die Ich-Erzählerin klingt nicht nur authentisch, sondern lässt Zwischentöne zu, aus denen klar wird, dass das augenblickliche Leben ein spielerischer Versuch oder sogar eine Suche ist, auf jeden Fall ein literarisch gelungenes, sehr lesenswertes Stück über unsere Gegenwart. \ Hedwig Wingler
Sach- und Fachbücher Den Haager Inkonsistenzen
Germinal Civikov: Srebrenica. Der Kronzeuge. Wien: Promedia 2009 (im Erscheinen), ca. 160 Seiten, ca. 13,90 Euro.
2006 publizierte Germinal Civikov, langjähriger Prozessbeobachter am Haager Jugoslawien-Tribunal, im Promedia-Verlag die Studie Der Milosevic-Prozess. Bericht eines Beobachters, immer noch Pflichtlektüre für alle, die für den angeblichen Jahrhundertprozess des Haager Tribunals gegen Slobodan Milosevic nach einem verlässlichen, sie durch das Dickicht des Prozessverlaufs führenden Leitfaden suchen. Nun hat Civikov mit dem vorliegenden Buch die Methoden dieses Gerichts, mit denen es politisch und medial längst gefällte Vor-Urteile in Rechtsform zu gießen sucht, erneut in scharfes Licht getaucht: diesmal im Fall des eigentlichen Kronzeugen des Tribunals für die von diesem offiziell zum Völkermord erklärten Verbrechen bei Srebrenica nach der Einnahme der Stadt durch bosnisch-serbische Truppen im Juli 1995. Es ist der Fall des bosnischen Kroaten Drazen Erdemovic, der als Mitglied einer multiethnischen Spezialeinheit der bosnisch-serbischen Armee nach eigenen Angaben zusammen mit sieben weiteren Angehörigen seiner Einheit am 16. Juli 1995 nördlich von Srebrenica 1.000 bis 1.200 bosnisch-muslimische Zivilisten, davon persönlich bis gegen hundert, erschossen haben will. Das hatte Erdemovic bereits ausgesagt, als er im März 1996 in Serbien wegen des Verdachts der Beteiligung an Kriegsverbrechen verhaftet worden war. Auf Drängen des Tribunals und seinem eigenen Wunsch gemäß nach Den Haag überstellt, wiederholte er dort seine Aussage – und wurde dafür zu gerade fünf Jahren Haft verurteilt; außerdem erhielt er eine neue Identität, unter der er in einem westeuropäischen Land lebt, um von Zeit zu Zeit am Haager Tribunal als geschützter Zeuge der Anklage aufzutreten und seine Aussage zu wiederholen, wenn es dort in einem Prozess um Srebrenica geht (so geschehen auch im Milosevic-Prozess). Mit größter Gründlichkeit hat Civikov die Angaben Erdemovics über jene Massenexekution und ihre Vorgeschichte durchforstet, die verschiedenen Varianten, in denen der Kronzeuge seine Geschichte bei verschiedenen Anlässen vortrug, miteinander und auch mit relevanten Zeugenaussagen bei anderen Prozessen am Tribunal konfrontiert. Das Resultat: Es ist eine völlig unglaubwürdige Geschichte, mit grellen Inkonsistenzen behaftet, die das Tribunal nie zu klären auch nur versucht hat. Am schärfsten aber sticht hervor, dass Erdemovic von Anfang an die Namen seiner Mittäter genannt, das Tribunal aber gegen keinen einzigen von ihnen jemals ein Verfahren eingeleitet hat: Hat man Angst, es könnte eine andere und unangenehme Wahrheit über diese Massenexekution ans Licht kommen? Doch Civikov überlässt die Schlussfolgerungen den LeserInnen selbst, und sie werden sie nach der Lektüre des Buches auch ohne weiteres ziehen können. Vielleicht wird Drazen Erdemovic beim anstehenden Prozess gegen Radovan Karadzic noch einmal seine Geschichte erzählen dürfen. Vielleicht aber auch nicht nach den unanfechtbaren Befunden, die Civikov in seinem Buch vorlegt. \ Werner Sauer
100 Jahre Lesben- und Schwulenbewegung in der Steiermark
Hans-Peter Weingand: Urninge, Conträrsexuelle, warme Brüder. Graz 2009, 24,00 Euro, zu bestellen unter rlp@homa.at
1908 verfasste der Grazer Theaterchorsänger Cornelius Zimka unter dem Pseudonym Julius Zinner Österreichs erste Streitschrift eines Betroffenen. Anlässlich der „ersten 100 Jahre“ präsentieren nun die „Rosalila PantherInnen“ eine Publikation mit über 100 Seiten Geschichte: Hans-Peter Weingand gibt mit „Urninge, Conträrsexuelle, warme Brüder“ einen Überblick über das schwullesbische Leben um 1900, über die damalige Community, die heftig geführten Diskussionen durch Mediziner und Juristen. Und über einen Grazer Prozess gegen zehn Homosexuelle, der den Anstoß zur Veröffentlichung der Streitschrift gab, die im Buch ebenfalls abgedruckt ist. Den „zahllosen recht- und schutzlosen Menschen“, so schrieb Zimka 1908, bleibe „kein Mittel übrig, als ein Appell an die Öffentlichkeit.“ Es gelte, „ein ganzes Zeitalter und dessen ,moderne’ Gesetzgebung“ anzuklagen und „einer feindlich gesinnten Majorität“ entgegenzutreten. Doch Zimka war überzeugt, dass „selbst fanatische Vorurteile gegenüber der Wahrheit und Erkenntnis einer milderen Ansicht weichen werden“. \ hpw
Buchpräsentation: Entspricht die Bestrafung der Homosexuellen unserem Rechtsempfinden? Österreichs erste Streitschrift eines Betroffenen. Donnerstag, 26. Februar 2009, 20.00 Uhr im „feel free“, Graz, Annenstraße 26.
Ökologischer Ratgeber
Gudrun Soyka: Die grünen Seiten 2009. Klimaschutz statt Klimaschmutz. Wien: ökodatenbank oesterreich, 304 Seiten, 9,90 Euro
In wirtschaftlichen turbulenten Zeiten mitsamt rezessiven Phasen der Weltwirtschaft mutiert das Ungleichgewicht des Ökosystems nicht selten zur Nebensache. Während die Werte börsennotierter Unternehmen kollabieren und zumal nur wenige den Durchblick behalten, geschweige denn zum Eingreifen im Stande sind, ist ein individueller Beitrag an einem umfassenden Umdenkprozess in puncto nachhaltiger Konsum durchaus möglich. Mit Hilfe von 22 „Brancheninseln“ verraten die grünen Seiten dem/-er interessierten Konsumenten/-in den Weg zum ökologisch-sinnvollen Einkauf; jede einzelne dieser Inseln sorgt mit alphabetisch geordneten Einzelbranchen für Orientierung im Detail. Insgesamt sind auf diese Weise die 5000 wichtigsten Adressen aufgelistet, die selbstverständlich durch die zugehörigen Telefonnummern und Webkontakten ergänzt sind. Ein Ratgeber, der Nachhaltigkeit garantiert… \ gis
Die Geschichte des Marco d’Aviano
Martin Luksan/ Hermann Schlösser/ Anton Szanya: Heilige Scheine. Marco d‘Aviano, Engelbert Dollfuß und der österreichische Katholizismus. Wien: Promedia Verlag, 2007. 176 Seiten, 17,90 Euro
Im April 2003 wurde, von der aufgeklärten Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt, der katholisch-klerikale Eiferer Marco d’Aviano von Papst Johannes Paul II. selig gesprochen. Indirekt war damit auch eine späte Ehrung des Führers der Austrofaschisten, Engelbert Dollfuß, verbunden. Dieser hatte dem Beichtvater Kaiser Leopolds I., der Ende des 17. Jahrhunderts seine ganze geistliche Kraft in den Dienst des Kampfes gegen die Türken gestellt hatte, zu einer gesellschaftlichen Wiedergeburt verholfen. „Heilige Scheine“ nimmt die Spur des radikalen Katholizismus in seiner barocken Blütezeit auf und verfolgt sie in der Person des Marco d’Aviano in immer wiederkehrenden reaktionären Zeiten. Das Buch erzählt die Geschichte des Marco d’Aviano und seines Verehrers Engelbert Dollfuß mit textlichen und visuellen Einblicken in die klerikale Propaganda des Ständestaates. \ gis
KORSO verlost in Kooperation mit dem Promedia Verlag 5 Exemplare des Buches „Heilige Scheine“ beim Kulturquiz unter www.korso.at!
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