Das nachhaltige Magazin für Graz und die Steiermark
Rezensionen
Mittwoch, 11. März 2009
Ein etwas anderes Sportbuch / Aber leider setzt sich Glück nicht aus E-Mails zusammen. / Diese Flucht hört da nicht auf, und warum sollte sie? / Erzherzog Johann / Intergalaktische Reisen / Kroatien: Schein und Wirklichkeit / Ein Jahr Kosovo-Unabhängigkeit

Ein etwas anderes Sportbuch

Reinhard P. Gruber: Alles Sport. Graz: Droschl Verlag 2008, 214 Seiten, 19,-- Euro

In der im Droschl-Verlag erschienenen, jüngsten Veröffentlichung Reinhard P. Grubers, „Alles Sport“, werden des Autors Glossen, die er in diversen Tageszeitungen zwischen 2002 und 2007 veröffentlicht hatte, erstmals komprimiert aufgelegt.
Dabei geht es ohne Zweifel um Sport, keineswegs aber ausschließlich um die Bestleistungen diverser Superstars – das wäre Gruber zu profan. Lieber reflektiert er die Rituale des spanischen Tennis-Spielers Raphael Nadal (ja genau, des auftrainierten Bademeisters der Baleareninsel Mallorca) oder untersucht die Rolle rasierter Beine heimischer Radprofis. Zur Höchstform läuft Gruber allerdings erst dann auf, wenn er weit zurück, sozusagen in den Rückspiegel der Sporthistorie blickt, sich erinnert, an die Zeiten in der „Resti“ in Fohnsdorf zum Beispiel, als die Bilder der Sportübertragungen vergrößert und für 50 Groschen Eintritt auf eine Leinwand projiziert wurden. Dabei versteht er es hervorragend, seine Erinnerungen zu verorten, je nach Fortschritt des letzten Jahrhunderts entweder in seiner Urheimat, dem Murtal, oder seiner Wahlheimat, der Weststeiermark. Nur sehr selten verfällt er in einen kleinkarierten Provinzialismus, zumeist spinnt er Erinnerungen vom Kleinen zum Großen: „Wo ich aufwuchs […] dort spielten hauptsächlich die Werkssportvereine. Es spielte der WSV Fohnsdorf gegen den WSV Judenburg, eine Woche später war der WSV Zeltweg zu Gast, aber als man dann nach Knittelfeld musste […] da hieß der Verein Red Star Knittelfeld. Einer von den Eisenbahnern muss mit seiner Lok bis Belgrad gekommen sein und dort den Vereinsnamen von Roter Stern abgekupfert haben“, reflektiert Gruber. Ein Buch zum Schmunzeln für all jene, die das Einst genauso schätzen wie das Jetzt.   \ gis

 

Aber leider setzt sich Glück nicht aus E-Mails zusammen.

Daniel Glattauer: Alle sieben Wellen. Wien: Zsolnay Verlag 2009. 222 Seiten, 17,90 Euro

Zu Daniel Glattauers Romanfortsetzung „Alle sieben Wellen“. Es gibt Bücher, die nimmt man beim Schlafengehen in die Hand und legt sie erst weg, wenn die letzte Seite erreicht ist. Über denen man sich vergisst, mit denen man sich identifiziert, die einen einnehmen, mit Haut und Haar.
Bei Glattauers „Gut gegen Nordwind“ (2006) und dem eben erschienenen Fortsetzungsband „Alle sieben Wellen“ (2009) besteht Suchtgefahr. Die Ausgangsposition: Emmi Rothner, 35-jährige Webdesignerin, kündigt per E-Mail ihr Abo beim like-Verlag, vertippt sich in der Adresse und gelangt an den Sprachpsychologen Leo Leike. Es entwickelt sich ein spannender E-Mail-Kontakt zwischen den beiden. Der Reiz ihrer Annäherung besteht im freiwilligen Verzicht der beiden, sich zu treffen, auch nur zu telefonieren oder Bilder auszutauschen, eine Entbehrung, die nur sehr langsam aufgeweicht wird.
Eine Liebesgeschichte in Briefen ist ja an sich nichts Neues, die ersten Romane des 18. Jahrhunderts waren Briefromane (Richardsons Pamela, Rousseaus Nouvelle Heloïse, Goethes Werther), mit oft fatalen Nachahmungsfolgen. Später, mit der Entstehung neuer Kommunikationsformen, wurden Briefromane seltener, und wohl auch die Briefe selbst.
Heute flirtet, intrigiert, lobt, schimpft und verliebt man sich via Bildschirm. War es zunächst das (oder die? – Glattauer verwendet das binnendeutsche Femininum) E-Mail, ist dieses Medium jetzt schon überholt von Chat, Foren, ICQ. Vorbei die Zeiten, als man sich für einen getippten Brief oder ein Mail mit persönlichem Charakter entschuldigen musste.
Die Annäherung zwischen E. Rothner an L. Leike besteht ausschließlich aus E-Mail-Texten, kommentarlos, nur mit relativer Datierung („20 Sekunden später“). Die Partner schreiben in neuer Orthographie, mit Groß- und Kleinschreibung, ganz brav und gebildet – keine Tippfehler, keine Abkürzungen, nicht einmal ein Individualargot entwickelt sich (etwa: „ihdsl““ – ich hab dich so lieb).
Trotzdem ist der 2x200 Seiten starke E-Dialog höchst authentisch, denn wer hat nicht schon Ähnliches erlebt – z.B. via E-Mail zu flirten begonnen, wenn im Absender ein klingender Vornamen (Alina, Desirée, Kevin, Oliver) stand? Das antiquiert wirkende „Emmi“ macht das Ganze nur umso vertrauter, ganz abgesehen von den intertextuellen Assoziationen (à la Zeitschrift Emma oder Jane Austen). Das auf die Schrift reduzierte Medium erlaubt es uns, die Unbestimmtheitsstellen durch die Erinnerung an bestimmte Personen aufzufüllen, die ähnlich originell wie Emmi oder ähnlich unsicher wie Leo waren.
Symmetrisch in Bezug auf die Mailpartner ist der Zweibänder nur auf den ersten Blick: Emmi schreibt ca. 20% mehr als Leo. Sie ist es, die alle Pausen wieder annulliert, indem sie sich zuerst meldet. Sie schreibt das erste Mail (genauer: die ersten drei, nach neun Monaten wieder ein Massenmail – wenn man ihr glauben will, irrtümlich), sie schreibt das letzte Mail des ersten Bandes (sieht man von der Antwort des Systemmanagers ab), sie schreibt die ersten zehn Mails des zweiten Bandes, und nur das Schlussmail gehört Leo (weshalb, soll hier nicht verraten werden). Kurzum – Emmi dominiert, korrigiert, und ... – aber lesen Sie selber.
Alles in allem – ein leicht zu lesendes und doch tiefer gehendes, modernes und doch nicht nur für den Augenblick geschriebenes Werk. Bleibt zu hoffen, dass die Geschichte nicht abgeschlossen ist und die vor den beiden liegenden „Mühen der Ebenen“ Stoff bieten für einen weiteren Band.   \ hp

 

Diese Flucht hört da nicht auf, und warum sollte sie?

Stefan Schmitzer: wohin die verschwunden ist, um die es ohnehin nicht geht, Graz/Wien: Droschl 2009, 148 S., 18,-- Euro

Eine Geschichte, aus zwei Perspektiven erzählt: Zum einen aus jener einer sehr jungen Frau, die vom haltlosen Dahintreiben in eine scheinbar gesicherte familiäre Existenz hineingleitet, aus dieser nahezu ebenso übergangslos in ein Remake ihres Lebens am Rande der Gesellschaft, sich daraus zum ersten Mal durch eigene Anstrengung rausarbeitet, verstehen will, was die Welt antreibt, indem sie ein Wirtschaftsstudium beginnt, widerständig wird gegen die Zumutungen des Patriarchats und deswegen fliehen muss.
Der zweite Erzählstrang gibt die Perspektive ihres Sohnes wieder, den sie als Kleinkind verlassen hat – und dessen Vielleicht-Vaters, deren Lebensläufe sich durch Zufall kreuzen. Sie spüren investigativ dem Leben der Mutter, der flüchtigen Bekanntschaft nach, versuchen die Gründe für ihr Handeln zu entschlüsseln, vor allem jene, die sie zu gewaltsamen Angriffen auf Männer veranlasst haben – und treiben in der Tat zwei Betroffene auf, die sie vor Jahren gemeinsam mit einer Freundin wegen ihrer Übergriffe auf Frauen krankenhausreif geprügelt hat; da findet der Sohn zur Identifikation mit der Mutter.
Die beiden Handlungsebenen sind optisch getrennt – so erklären sie sich zwar gegenseitig, stehen aber dennoch als zwei völlig unterschiedliche Welten vor dem/der LeserIn. Eine Geschichte über die Unvereinbarkeit von Menschen in Entwicklung, die darauf verzichtet, künstliche Zusammenhänge zu stiften oder „Lebensentwürfe“ zu konstruieren, wo statt dessen jede/r der ProtagonistInnen mit der Situation fertig werden muss, in die er geworfen ist – und ein sehr lesenswertes Buch.   \ cs

 

Erzherzog Johann

Hans Magenschab: Erzherzog Johann – Bauer, Bürger, Visionär. 2008 Styria Verlag in der Verlagsgruppe Styria GmbH & Co KG, Hardcover mit Schutzumschlag, 13,5 x 21,5 cm, 404 Seiten, ISBN 978-3-222-13255-1, 24,95 Euro.

Dem unkonventionellen Reformer und Modernisierer, dem Habsburger, der gegen den Mainstream andachte, dem die Erhaltung der Natur und der Respekt gegenüber den Menschen ein großes Anliegen war, und dessen Zukunftsmodelle vor allem in der Steiermark nach wie vor wirken, widmete der Autor Hans Magenschab viele Jahre des Forschens. Mit Hingabe und Akribie schildert der Autor das Leben und Wirken des „größten politischen Talents unter den Habsburgern seit Jopseph II“. Nicht streng wissenschaftlich, aber chronologisch und auf der Historie basierend erfährt die LeserIn Details aus Erzherzog Johanns Leben, über  Familienangehörige, WegbegleiterInnen und über das jeweilige Zeitgeschehen in seinen Wirkungskreisen, auf seinen Reisen, und über seine Ambitionen als Förderer des Kultur- und Bildungsbereiches sowie der Industrie und der Landwirtschaft.   \ dw

KORSO verlost in Kooperation mit der Verlagsgruppe Styria GmbH & Co KG drei Exemplare des Buches „Erzherzog Johann – Bauer, Bürger, Visionär“  beim Kulturquiz unter www.korso.at

 

Intergalaktische Reisen

Klaus Theweleit/ Rainer Höltsch: jimi hendrix. Eine Biografie. Berlin: rowohlt 2008, 256 Seiten, 17,90 Euro

Er war Linkshänder, ein häufig geschlagenes Kind häufig betrunkener Eltern, der auf einer Gitarre mit nur einer Saite zu spielen begann, und schließlich, nachdem er begriffen hatte, dass er die Saiten verkehrt herum aufspannen musste, so besessen übte, dass er die anderen Gitarrengötter des Goldenen Rockzeitalters das Fürchten lehrte. Unsereiner sah allenfalls Farben nach dem maßvollen Genuss von LSD, er stellte die Farben her, indem er Musik machte. In seinen Adern floss schwarzes und Indianerblut und er trug einen rasierklingendünnen Schnurrbart, den er Little Richard abgesehen hatte. Die Fender Stratocaster war sein Raumschiff und mit ihr steuerte er durch den Weltraum. Sooft er vom Outer Space zurückkehrte, brachte er ekstatische Songlines mit, die er mit seiner zugleich flachen und durchdringen Antistimme vortrug. Er galt als sanft, neigte aber dazu Frauen, die er wirklich liebte, zu schlagen. Es gibt jede Menge Literatur über Jimi Hendrix und Charles R. Cross’ „Room Full of Mirrors“ ist vermutlich der umfangreichste, genaueste und langweiligste Text von allen. Aber letzten Herbst ist „jimi hendrix. Eine Biografie“ bei rowolth erschienen: ein feines, kleines, hinreichend wahnsinniges und präzises Vademecum von Klaus Theweleit und Rainer Höltsch um sich wieder einmal an den mit 27 Jahren Verstorbenen und seine Musik zu erinnern.   \ wh

 

Kroatien: Schein und Wirklichkeit

Norbert Mappes-Niediek: Kroatien. Das Land hinter der Adria-Kulisse. Berlin: Christoph Links Verlag. 200 Seiten, 16,90 Euro

„Wie sind die Kroaten?“, fragt Autor Norbert Mappes-Niediek eingangs und lässt die Alarmglocken der versiert-balkanophilen Leserschar schrillen: Unbegründeterweise, wie sich rasch herausstellt, denn wenn auch manche/-r eine oberflächliche Klischee-Abhandlung vermutet, so sorgt die Lektüre dieses schlauen Büchleins vielmehr für einen umfassenden Abriss kroatischer Mentalitäts- und Alltagsgeschichte fernab weitverbreiteter Postkartenidyllen. Und dieser Abriss sparrt auch die dunklen Flecken der Geschichte Kroatiens nicht aus, stellt sich proaktiv den Widersprüchen, ohne dabei auf die adäquate Sorgsamkeit in der Herangehensweise zu vergessen. Gerade in diesen Punkten hat Mappes-Niediek einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil: Sein griffig-reduzierter Sprachstil, der von seiner langjährigen Erfahrung als Balkan-Korrespondent für diverse Printmedien zeugt, ermöglicht präzise Erklärungsmuster historischer Zusammenhänge – pointiert werden unreflektierte Klischees entkräftet. So werden von nationalistischer Seite nicht selten Sprache und vor allem Religion als Unterscheidungsmerkmale für die neu entstandenen Nationen des Balkans ins Treffen geführt – eine Argumentation, die bei näherer Betrachtung gewaltig hinkt, wie Mappes-Niediek auszuführen im Stande ist. In diesem Punkt leistet das vorliegende Buch indirekt auch einen Betrag zum nicht selten undifferenzierten Bild, das in Österreich vom Balkan vorherrscht.   \ gis

 

Ein Jahr Kosovo-Unabhängigkeit

Hannes Hofbauer: EXPERIMENT KOSOVO. Die Rückkehr des Kolonialismus. Wien: Promedia Verlag 2008. 264 Seiten, 17,90 Euro

Im Februar 2008 hat das Parlament in Pristina die Unabhängigkeit des Kosovo ausgerufen. Nicht erst seitdem berufen sich die Gegner der Sezession auf das Völkerrecht, die UN-Resolution 1244 aus dem Jahr 1999, die eine territoriale Integrität Jugoslawiens garantiert hatte; die Befürworter der Unabhängigkeit argumentieren mit von Serbien verletzten Menschenrechten. Kosovo startet als „gescheiterter Staat“ in eine neue Epoche: Die Kernelemente seiner Wirtschaft funktionieren nicht, sozialer Aufstieg spielt sich zwischen Schwarzmarkt und Massenemigration ab und seine politische Elite folgt äußerem Druck. Der von der UNO verworfene und gleichwohl von den USA und der EU in Kraft gesetzte Ahtisaari-Plan schreibt eine überwachte Unabhängigkeit vor, die sowohl Legislative als auch Exekutive in fremde Hände legt. Militärisch herrscht die von den USA geführte KFOR-Truppe, zivil wird das Land mittels allerlei Kürzeln von der Europäischen Union verwaltet.   \ pm

KORSO verlost in Kooperation mit dem Promedia-Verlag fünf Exemplare des Buches „Experiment Kosovo“  beim Kulturquiz unter www.korso.at

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