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Hart, aber herzlich |
Dienstag, 10. Februar 2009 | |
Aufwärtshaken – Das Sportfeuilleton - von Gregor I. Stuhlpfarrer Zürich, 20. Dezember 2008: Als der Ringrichter den linken Arm Nikolai Walujews zum Zeichen seines Sieges in die Höhe stemmt, hat sich die neue Zeitrechnung im Boxen erneut gegen die alte durchgesetzt; nur kurz hatte die alte, in menschlicher Gestalt des 46-jährigen Ex-Champs Evander Holyfield, aufgeflackert; der Amerikaner ist an diesem Abend aber nicht im Stande, das Lächeln seines baumlangen Gegners aus dessen Gesicht zu wischen. Daran konnte selbst der Psalm (107:20), den sich der tiefgläubige Holyfield auf seine rote Boxhose hatte pinseln lassen, nichts ändern: „Er sandte sein Wort und machte sie gesund und errettete sie, dass sie nicht starben.“ Holyfields Hose war allerdings so ziemlich das Aufregendste an diesem Abend: der 2,13 Meter hohe Walujew ist nämlich eher ein Produkt ausgeklügelter Promoter, die den 35-jährigen St. Petersburger als Monster (Schuhgröße 56, Hemdkragenweite 52) in Szene setzen, denn ein begnadeter Boxer und Holyfields Körper muss der Vergänglichkeit gnadenlos Tribut zollen. Die Aussicht, dass der Amerikaner weiterboxt und beim nächsten Antreten mit einem neuen Psalm überrascht, scheint also gering, nicht zuletzt, weil auch Holyfield weiß, dass Profi-Boxen für mittelalterliche Herren mitunter drastisch ins Auge gehen kann. Im Gegensatz zu Walujew bleibt ihm zumindest der Blick zurück in eine ruhmreiche Vergangenheit: In den 1990er Jahren galt der dreimalige Weltmeister aus Atmore/Alabama als boxende Antithese zum Haudrauf-König Mike Tyson („Ich weiß, ich bin ein Arschloch, aber das ist nun mal mein Stil.“); während Tyson seine Kontrahenten mit einem Hagel scheinbar automatisierter Schläge auf die Matte schickte, hatte Holyfields Faustfechterei Timing, Strategie und Bauernschläue. Dass Tyson Holyfield ein Stück des rechten Ohres abgebissen hatte und nicht umgekehrt, verwundert daher kaum.Das Scheitern Holyfields kann auch als Symbol für den maroden Boxsport insgesamt gesehen werden, dabei ist die Krise vor allem in den Vereinigten Staaten signifikant. Die Zeit, in der das Standing des amtierenden Schwergewichts-Weltmeisters lediglich von dem des amerikanischen Präsidenten übertroffen wurde, ist längst passé. Heute werden Faustfechter aufgrund ihres Stils nicht selten als brutale Radaubrüder wahrgenommen, die ihr privates Faible für Rabatz kurzerhand im Ring zu legalisieren versuchen. Dass zum Boxen aber mehr gehört, als dem Vis-à-vis solange auf die Birne zu holzen, bis dieses darniederliegt, bleibt dabei oft verborgen. Darüber hinaus fehlt es dem Gros der aktiven Boxerzunft vor allem an Charisma, also jener „Gnadengabe“, welche die Faustkämpfer über Jahre hindurch gepachtet zu haben schienen. Durch dieses Charisma, diese Strahlkraft, diese besondere Aura, die viele in- und außerhalb des Boxrings zu versprühen im Stande waren, avancierten einige unter ihnen zu antikonformistischen Idolen abseits vorgeformter Zielgruppenschemata. Vor allem das Trio Muhammad Ali, George Foreman und Joe Frazier sorgte in den 1970er Jahren für sechs grausam faszinierende Kämpfe, die in Europa nächtens die Wecker öfter schrillen ließen als die erste Mondlandung. Was trieb all diese Menschen – beim Thriller von Manila zwischen Ali und Frazier an die 600 Millionen – zu den unchristlichsten Zeiten vor die Fernsehgeräte? Die US-amerikanische Schriftstellerin Joyce Carol Oates betrachtet „das Leben als Metapher für das Boxen, als Metapher für einen dieser Kämpfe, die nicht enden wollen, Runde folgt auf Runde, Stöße, verfehlte Schläge, Clinch, keine Durchbrüche, wieder und wieder der Gong, wieder und wieder der Gegner, der dir so gleicht, dass du die Augen nicht davor verschließen kannst, dass du selbst dein Gegner bist…“. Ausnahmslos lässt sich dieser Vergleich allerdings nicht ziehen: „Das Leben gleicht dem Boxen in vielen beunruhigenden Beziehungen. Aber Boxen gleicht nur sich selbst.“ Boxexperte Sigi Bergmann spricht nicht zu Unrecht von der fesselnden Urdramaturgie, die diesem Sport anhaftet: Lediglich „bewaffnet“ mit einer Hose, zwei Stiefeln und zwei Handschuhen stehen sich die Kontrahenten im quadratischen Ring gegenüber: „Das hat es immer gegeben, zwei halb nackte Männer, die auf einer Bühne kämpfen, um Nahrung, um eine Frau, um Geld, um was weiß ich. Kein Wunder, dass das Boxen so viele Schriftsteller angezogen hat: Jack London, Ernest Hemingway, Wolf Wondratschek“. Der steirische Künstler Gerald Brettschuh, der jahrelang selbst geboxt hat, später, Mitte der 1970er Jahre, auch als Boxtrainer arbeitete, argumentiert ähnlich: „Ein starker Reiz liegt in der Kultivierung dieser Urinstinkt-Handlungen des Kämpfens, Tötens, Überleben-Wollens. Das Kampfspiel Boxen hat feste Regeln. Die Gefährlichkeit macht dieses Spiel anziehend.“ Die Schnittmenge all dieser Erklärungsmuster ist eine gehörige Portion Pathos, die auch anhand einer dem Boxen eigentümlichen Sprache sichtbar wird und an die anthropologischen Konstanten eines Menschenlebens denken lässt: Gemeint ist das „Durchstehen“, das „Durchbeißen“, das „In- die-Seile-gehen“, das „Aufrappeln“, „Über-die-Runden-kommen“ und nicht zuletzt das „Vom-Gong-gerettet-werden“. Jenseits profaner Erklärungsmuster, die das Duell im Ring als animalische Ringschlacht abtun, zeigt sich das Aufeinandertreffen tatsächlich und beharrlich hochdramatisch, brutal, unverfälscht und unbeschönigt, aber auch ehrlich, hart und gerecht. Dass viele Boxer aufgrund rauer Arbeitsverhältnisse doch ein wenig eigen sind, ist eine andere Geschichte. George Foreman und Joe Frazier – mittlerweile jenseits der Sechzig und im Gegensatz zu Muhammad Ali gesundheitlich tadellos beisammen – seien jedenfalls stolz ihre Kinder und Frauen unterscheiden und als Draufgabe sogar benamsen zu können, wusste Die Welt Ende Jänner zu berichten – beachtlich, wenn man erstens rekapituliert, dass sich Tausende an Kopfschlägen wohl eher negativ auf kognitive Fähigkeiten wie das Memorieren auswirken und zweitens weiß, dass beide insgesamt 21 Kinder mit sechs Frauen gezeugt und teilweise großgezogen haben… Gregor Immanuel Stuhlpfarrer ist Theologe, Historiker und KORSO-Redakteur.
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