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„Das Gehirn handelt nicht, sondern der Mensch.“ |
Dienstag, 10. Februar 2009 | |
Mit dem Philosophen Univ.-Prof. Dr. Carl Friedrich Gethmann, Direktor der Europäischen Akademie zur Erforschung von Folgen wissenschaftlich-technischer Entwicklungen Bad Neuenahr-Ahrweiler, führte Josef Schiffer für KORSO folgendes Gespräch anlässlich des Symposiums in Mariazell.
Welchen Beitrag kann die Philosophie in Bezug auf die Ethik in den Neurowissenschaften leisten? Die Rolle der Philosophie ist die einer notwendigen kritischen Begleiterin der Naturwissenschaften, weil diese die Welt nicht nur beschreiben, sondern mit ihren Entwicklungen massiv in unsere Welt eingreifen. Als eine Folge davon bestimmt die Technik unser modernes Leben, aber auch unser Weltbild wurde zunehmend durch die Wissenschaft geprägt, sodass wir heute über den Urknall sprechen und die Vorstellung der Erschaffung der Welt durch einen Schöpfergott vor ein paar tausend Jahren auf den Bereich der religiösen Vorstellungen beschränken. Setzt die Philosophie somit einen Rahmen für die naturwissenschaftliche Erkenntnis? Soweit würde ich nicht gehen, wir verstehen uns nicht als die „Sprachpolizei“ der Wissenschaft, sondern als Dienstleistungsangebot. Die neuen wissenschaftlichen Weltbilder bedürfen der Kritik von außerhalb ihrer abgeschlossenen Systeme – das gilt umso mehr, wenn sie sich wie die Naturwissenschaften mit dem Menschen beschäftigen. Das beginnt bei der Medizin, die den Menschen nicht nur heilen, sondern auch verändern kann, z.B. durch Gen-Doping. Bei der Gehirnforschung gibt es ein Sonderproblem, weil manche ihrer Vertreter glauben beweisen zu können, dass der Mensch nicht der Urheber der seiner eigenen Handlungen, sondern ein determiniertes Wesen sei. Wenn das wahr wäre, müssten alle eines Verbrechens Angeklagten sofort freigesprochen werden und man könnte einem Lügner keinen moralischen Vorwurf machen. Diese Auffassung gilt aber nicht für die Mehrheit der Gehirnforscher? Das ist richtig, auch der Neuropsychologe Professor Jähnke hat in seinem Vortrag ja betont, dass der Mensch eben nicht einen „kleinen Steuermann“ in seinem Kopf hat, sondern sein Gehirn durch Aktivitäten selbst formen, d.h. durch Lernen verändern kann. Als eine der Folgen daraus ist der Mensch dazu in der Lage, auch gegen das vermeintliche Diktat seines Gehirns zu handeln, indem er unbewusst aufsteigende Impulse und Affekte, wie Hunger, Habgier etc., unterdrücken bzw. sublimieren kann. Der Mensch ist das einzige Tier, das über diese „Vetofunktion“ verfügt. Der Mensch ist damit zugleich Urheber wie auch Ziel dieser Kontrollhandlung. Im Laufe der Evolution muss es sich jedenfalls als vorteilhaft für das Überleben des Homo sapiens in seiner jeweiligen Gruppe erwiesen haben, diese besondere Eigenschaft herauszubilden. Inwiefern ist die Sprachphilosophie prägend für die moderne Ethik? Wittgenstein hat das Postulat aufgestellt, dass wir durch die Wahl einer Sprache erst unsere Welt konstituieren. Aus dieser Erkenntnis ergibt sich ein Perspektivenpluralismus, der für die Auffassung von Ethik von entscheidender Bedeutung ist. Eine bestimmte Moral ist immer Ausdruck einer bestimmten Gesellschaft, in der sich gewisse Regeln, wie etwa die Zehn Gebote als sinnvoll erwiesen haben. Wir haben heute andere Moralvorstellungen, aber trotzdem kann Ethik nicht beliebig sein, sondern unterliegt einem ganz pragmatischen Urteil im Sinne einer Zweckrationalität. Wenn sich ein Regelwerk bei der Beurteilung von moralischen Problemen in der Praxis als tauglich erweist, gibt es keinen Grund, sich ein neues auszudenken. Angesichts von neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen kann es sich aber als notwendig erweisen, die bestehenden Regelsysteme anzupassen, um das Funktionieren der Gesellschaft weiterhin zu gewährleisten.
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