Frankensteins Monster, unbesiegbare Mensch-Maschine-Wesen und die geheime Macht unterschwelliger Werbebotschaften – derart einschlägige Klischeevorstellungen aus Film und Literatur prägen in der breiten Öffentlichkeit bis heute das Bild von der Erforschung des menschlichen Gehirns.
Dabei bilden die Neurowissenschaften nicht nur eines der faszinierendsten Themen der Gegenwart, sondern haben in den vergangenen Jahren durch die enormen Fortschritte in der Abbildung und Beschreibung der Gehirnaktivitäten auch viele therapeutische Möglichkeiten eröffnet. Die aus dieser Wissenszunahme resultierenden Potenziale bedürfen bei ihrer Umsetzung in praktische Anwendungen, etwa in Medizin und neuronaler Leistungssteigerung, jedoch auch der Kontrolle durch eine begleitende Neuroethik, betonte Univ.-Prof. Dr. Christa Neuper anlässlich der Eröffnung des diesjährigen Mariazeller Dialoges „Gehirnforschung und Ethik“. Das seit 2002 regelmäßig abgehaltene Symposium wurde erstmals im neu eröffneten Tagungszentrum „Europeum“ von der Arbeitsgruppe „Ethik in Forschung und Technik“ der JOANNEUM RESEARCH in Kooperation mit der Initiative Gehirnforschung Steiermark INGE.St veranstaltet.
Ganzheitliche Sicht von Körper und Geist. Der anerkannte deutsche Ethiker und Philosoph Univ.-Prof. Dr. Carl Friedrich Gethmann warnte in seinem einleitenden Referat davor, sich in der Forschung durch sprachliche Missverständnisse in die Irre führen zu lassen, denn „das Gehirn handelt nicht für uns“, und wies damit den Determinismus, der „uns nach Meinung mancher Gehirnforscher der Verantwortung für unser Tun enthebt“, in die Schranken (siehe Interview). Er stützt sich dabei auf den englischen Philosophen Peter Hacker, der sich in seinem Buch „Philosphiocal Foundations of Neuroscience“ strikt gegen eine solche Trennung zwischen dem Gehirn und dem „ausführenden“ menschlichen Körper wendet.
Ist das Gehirn „vernünftig“? Auf den relativen Stellenwert der Vernunft verwies der in Zürich lehrende Univ.-Prof. Dr. Lutz Jähnke, diese sei wie die Moral als Produkt von Lernprozessen innerhalb bestimmter kultureller Kontexte zu sehen. Er beschrieb anhand von Fallbeispielen, wie moralische Entscheidungen von unterbewussten Reizen beeinflusst werden, etwa wenn sich junge Mütter für die Rettung von Babys entscheiden, wenn eine Wahlmöglichkeit besteht. Andererseits unterscheide sich der Mensch entscheidend von seinen tierischen Verwandten, indem er zu langfristiger Planung und somit auch zur Abschätzung der Folgen seines Tuns in der Lage sei, so Jähnke, „was wiederum unmittelbar mit der enormen Lernfähigkeit des menschlichen Gehirns zusammenhängt“. Die weit verbreitete Zunahme der technischen Analyse von Hirnprozessen mittels Scannern etc. sieht Jähnke nicht ohne Skepsis, denn „was wir dringend brauchen, ist eine grundlegende Theorie des Gehirns“.
Neuronale Erkrankungen im Alter. Die steigende Lebenserwartung des Menschen führt in vielen Teilen der Welt zu einer enormen Steigerung bei den neuronalen Erkrankungen. Im Schlaglicht stehen häufig bekannte Krankheiten, wie Alzheimer und Parkinson, betonte der Neurologe Univ.-Prof. Dr. Franz Fazekas von der MedUni Graz, aber es sei davon auszugehen, „dass heute in Europa mittlerweile jeder 3. Mensch an einer oder mehreren Gehirnerkrankungen leidet“. Die damit verbundenen Kosten haben nicht zuletzt eine eminente gesellschaftliche Dimension, sodass „eine verstärkte Förderung der Grundlagenforschung auf diesem Gebiet ein Anliegen von höchster Relevanz ist“. Auf der anderen Seite sei es aber auch ein Anliegen, die Stigmatisierung dieser Erkrankungen im Kontext einer vorwiegend an Leistung orientierten Gesellschaft zu verhindern.
Gehirngesteuerte Gliedmaßen. Ein weiteres Thema im Mariazeller Dialog bildeten die Fortschritte beim „Brain Computer Interface“, das es querschnittgelähmten Patienten erlaubt, etwa Handbewegungen mit Hilfe eines Neurofeedbacks zu steuern. Univ.-Dozent Gernot Müller-Putz erläuterte die Aktivitäten des in Graz angesiedelten Schwerpunkts, bei dem in Zusammenarbeit mit weiteren europäischen Partnern beachtliche Erfolge erzielt werden konnten. Seine praktischen Erfahrungen mit einer Neuroprothese schilderte der seit einem Unfall gelähmte Thomas Schweiger, der dadurch eine neue Selbstständigkeit und Steigerung der Lebensqualität erlebt. Auch wenn bei Zukunftstechnologien vor übersteigerten Hoffnungen stets gewarnt werden müsse, so könne es gegen derartige Eingriffe in Gehirnfunktionen nur geringe Einwände von ethischer Seite geben, betonte Joanneum Research-Direktor Dr. Bernhard Pelzl im Resümee des Symposiums. \ Josef Schiffer
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