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„Die Köpfe der Politiker sind noch immer vom neoliberalen Dunst benebelt“
Dienstag, 10. Februar 2009
Mit dem Wiener Wirtschaftsforscher Stephan Schulmeister sprach Christian Stenner über die Unwirksamkeit der aktuellen politischen Maßnahmen gegen die Krise – und darüber, was wirklich zu tun wäre. Herr Dr. Schulmeister, es hat nicht den Anschein, als ob die aktuellen Strategien gegen die Krise greifen würden. Da beschließt die Bundesregierung ein Rettungspaket für die Banken, übernimmt Haftungen und dennoch klagen die Unternehmen darüber, dass sie keine Kredite bekommen.
Ja, das ist aber nicht nur ein österreichisches Problem, sondern ein weltweites. Die Banken horten in Erwartung einer weiteren Verschlechterung der Situation Einlagen, sie bieten – im Vergleich zu den Leitzinsen – hohe Zinsen für Spareinlagen und zeigen sich bei den Krediten sehr zurückhaltend. Das Ziel einer Belebung des Finanzierungskreislaufes für die Realwirtschaft wurde offensichtlich nicht erreicht. Ein Grundproblem dieser Maßnahmen ist, dass sie ,bastardkeynesianisch‘ gestrickt sind, das heißt, man geht von einem simplen Mechanismus aus: Man senke die Zinsen und erhöhe die Staatsausgaben, dann sollte doch ein Großteil dessen, was an privater Nachfrage verloren gegangen ist, entweder wieder stimuliert oder durch staatliche Nachfrage ersetzt werden.

Was ist falsch an dieser Überlegung?
Das ganze Konzept war schon zu Keynes Zeiten eine Simplifikation, aber heute tun sich in diesem Zusammenhang zusätzliche Probleme auf. Wenn die Exportnachfrage, die Investitionsnachfrage und die Nachfrage nach dauerhaften Konsumgütern, wie es jetzt der Fall ist, stark rückläufig sind, dann wird ein Sektor besonders davon getroffen, nämlich die Industriesachgüterproduktion. Die Staatsausgaben können diesen Sektor aber gar nicht direkt erreichen – dazu müsste der Staat etwa selbst Autos kaufen. Das ist das eine Problem.
Das zweite besteht darin, dass der Finanzsektor seit Keynes eine viel größere Bedeutung erlangt hat, sodass eben nicht sichergestellt ist, dass die Schuldner begünstigt werden, wenn die Notenbank die Zinsen auch auf Null senkt. Derzeit ist es perverserweise umgekehrt: Die wenigen, die einen Kredit bekommen, müssen hohe Risikoprämien zahlen.

Mit welchen Maßnahmen müsste die Politik denn nun eingreifen?
Wenn der Bankapparat eine Maßnahme konterkariert, die vom Staat bzw. von der Notenbank ausgeht, dann muss die Politik ihn regulieren. Dem steht aber die Weltanschauung der Politiker im Wege. Nach dreißig Jahren Gläubigkeit an Selbstregulierung und Marktkräfte tun sie sich einfach schwer, den Schluss zu ziehen, dass hier nur ein Gesetz hilft, dass die Banken nötigt, die verbilligten Refinanzierungskosten an ihre Kreditkunden weiterzugeben. Wenn sie das nicht tun, bedeutet das doch ganz klar, dass – auch wenn man im Rahmen der aktuellen Weltanschauung bleibt – die Konkurrenz zwischen den Banken nicht effizient ist, und wenn die Konkurrenz nicht funktioniert, dann funktionieren auch die Märkte nicht; und wenn die nicht funktionieren, muss man eben regulierend eingreifen.

Nicht nur die Zinsen für Privat- und Unternehmenskredite sind hoch, auch jene für die Staatsanleihen steigen wegen der aktuellen Konjunkturprogramme und der damit verbundenen gesteigerten Kapitalnachfrage von Seiten der Staaten. Birgt das nicht die Gefahr einer inflationären Entwicklung?
Nein, die Inflation steht überhaupt nicht auf der Tagesordnung. Wir stecken leider im gleichen Ablaufmuster wie 1929, teilweise sogar schlimmer, weil die enorme Deflation der Vermögenswerte – also Aktienpreisdeflation, Immobiliendeflation und besonders Rohstoffpreisdeflation – natürlich auf die Preise der produzierten Güter überschwappt, weil davon gemessen an der kaufkräftigen Nachfrage zu viele da sind. Wenn die Autos nicht zu verkaufen sind, kriegen Sie 20% Rabatt. Da sind zunächst  Einzelpreissenkungen, aber in einer zunehmend unterausgelasteten Wirtschaft breitet sich das aus. Es gibt Gegensteuerungsmöglichkeiten wie die Kurzarbeit, die netto die Einkommen der Kurzarbeitenden im Verhältnis zu ihrer Arbeitszeit unterproportional sinken lässt – das mildert dieses Phänomen. Dennoch glaube ich, dass bereits in den nächsten Monaten die Verbraucherpreise im Vormonatsvergleich – noch nicht im Jahresvergleich – fallen werden.

Wenn die Preise sinken, steigt die Kaufkraft wieder – kann es so nicht doch zu einer Selbstregulierung der Märkte kommen?
Nein, das ist ausgeschlossen. Die Summe der Finanzforderungen ist immer die Summe aller Finanzschulden, jede Deflation macht die Gläubiger reicher und die Schuldner ärmer; das heißt, dass jede Deflation die Krise vertiefen muss. Denn die begünstigten Gläubiger werden weniger zusätzlich nachfragen als Schuldner ihre Nachfrage zusätzlich einschränken, das heißt, dass der Nettoeffekt negativ ist. Dazu kommt, dass bei fallenden Preisen der Realzins nicht mehr, wie es wünschenswert wäre, gegen Null gesenkt werden kann, er bleibt immer positiv.

Mit welchem Krisenverlauf müssen wir rechnen, wenn die Maßnahmen der Politik weiterhin so zahnlos bleiben?
Ich glaube, dass jetzt ein Kontraktionsprozess mit einer Reihe überaus verhängnisvoller Rückkoppelungen einsetzen wird: Vermögenspreise, Hauspreise und Aktienkurse sinken, der private Konsum wird reduziert, dadurch sinkt das BIP, dadurch sinken die Investitionen, dadurch sinken wieder die Aktienkurse, weil die Gewinne überproportional zurückgehen, bei den großen Konzernen gibt es schon Gewinneinbrüche von 50 bis 60%.
Die Vermögenswerte sinken, damit auch das Vermögen der Pensionsfonds. Ich habe neulich die Nachricht gelesen, dass die amerikanischen Bundesstaaten, die natürlich mehr Beschäftigte haben als das Federal Government, eine Billion Dollar, also 1000 Milliarden verloren haben, ein Drittel des gesamten für Pensionen angelegten Kapitals. Die haben natürlich auch das Kapitaldeckungsverfahren für ihre Angestellten gewählt, obwohl das Staatsbedienstete sind. Noch ärger steht es um die Dritte Welt; die massiven Importrückgänge in diesen Ländern werden wir in den nächsten Wochen und Monaten zu spüren bekommen – die Preise der Rohstoffe, aus deren Export die Importe finanziert werden, sind ja zwischen Juli und Dezember 2008 um 60% gefallen.

Welche Maßnahmen könnten denn in dieser Situation überhaupt wirken – wenn ich Ihnen folge, ist die Stärkung der Massenkaufkraft das Einzige, was bleibt?
Man müsste vor allem die Konfidenz in Bezug auf das Gesamtsystem erhöhen; das kann durch einen markanten Ausbau der sozialen Sicherungssysteme bewerkstelligt werden, wie es etwa Obama jetzt mit der Ausweitung der Sozialversicherung unternimmt. Sinnvoll wäre auch das Verbot von Kündigungen bzw. den Unternehmen, die von Absatzeinbrüchen betroffen sind, flächendeckend Kurzarbeit vorzuschreiben, damit die Beschäftigten ihren Konsum nicht in dem Maß einschränken, in dem sie’s vorhatten. Der Staat müsste den Unternehmen die zusätzlichen Kosten refundieren, aber das wäre gut angelegtes Geld.
In bestimmten Sektoren sollte man allerdings aus der Not eine Tugend machen: Da die Krise der Automobilindustrie nicht mehr zu stoppen ist,  könnte man die Bestimmungen für umweltfreundliche Autos noch verschärfen, damit diese umso früher produziert werden.
Überhaupt sollten möglichst alle Gegenmaßnahmen einen positiven Drall bekommen, sie sollten nicht als Verzweiflungstaten daherkommen, sondern als positive Schritte in Richtung einer Umgestaltung der Ökonomie. Viele Menschen sind z.B. wegen des Klimawandels für entsprechende Maßnahmen zu gewinnen – man müsste einen Generalstabsplan entwerfen, der von der thermischen Gebäudesanierung über den Ausbau der Fotovoltaik bis hin zur umweltfreundlichen Mobilität reicht.

Maßnahmen gegen die Finanzspekulation sind bis jetzt eigentlich kaum getroffen worden, obwohl die aktuelle Krise durch sie letztendlich ausgelöst wurde.
Ja, das würde ja auch voraussetzen, dass die Politik erkennt, dass die freiesten aller Märkte, nämlich die Derivatenmärkte, kontinuierlich falsche Preissignale aussenden und dass Akteure wie der österreichische Superfund irrsinnig viel Geld damit verdienen, die Aktienvermögen zu entwerten, indem sie auf fallende Kurse spekulieren. Das betrifft aber den Kern der gängigen Weltanschauung, dass der freie Markt alles regele; dadurch kommt es zu kognitiven Dissonanzen. Um diese aufzulösen, ist die Krise leider noch nicht tief genug.
Sinnvoll wäre natürlich die Einführung einer Finanztransaktionssteuer, die sogar etwas höher sein könnte als jene, die ich ursprünglich vorgeschlagen habe, nämlich 0,1% – nicht zur Sanierung der Staatseinnahmen, sondern als Bremse für die Finanz- bzw. Derivatenmärkte. Noch sinnvoller wäre es, das Casino zuzusperren, aber dazu ist die Politik schon gar nicht in der Lage.

Vermutlich auch, weil die Profiteure erbitterten Widerstand leisten.
Nein, das glaube ich weniger: Die Profiteure haben in der Öffentlichkeit gewaltig an Prestige verloren; wenn die Köpfe der Politiker nicht vom neoliberalen Dunst benebelt wären, hätten sie schon lange nichts mehr zu melden.

Was könnte am Ende eines – offenbar längerfristigen – Um­orientierungsprozesses stehen? Eine globale Regulierung der Märkte?
Ja, sicher. Bis jetzt haben sich nur die Märkte globalisiert, vor allem die Finanzmärkte, aber die Politik hat sich entglobalisiert. In den 50er Jahren gab es ja auch schon Globalisierung, aber die war begleitet von einer Globalisierung der Politik – einem Weltwährungssystem, dem Marshallplan oder einer wesentlich aktiver betriebenen Entwicklungspolitik.
Und: Die Tatsache, dass es zwar Globalisierung, aber kein globales Währungssystem gibt, führt zu einem unauflöslichen Widerspruch. Ideal wäre eine Kunstwährung ähnlich dem ECU, der dem Euro voranging, die aus einem Korb der fünf wichtigsten Weltwährungen gebildet wird und auf welche die Preise aller Standardgüter bezogen werden. Die Währungen der kleineren Länder würden in einem fixen Verhältnis zu dieser Weltwährung stehen, könnten aber nach Bedarf und in einem standardisierten Verfahren – nicht durch Spekulantenwillkür – auf- oder abgewertet werden.
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