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Die Zeitung zwitschert
Dienstag, 10. Februar 2009

Kopfzeile - von Martin Novak

Die Grünen haben den Journalistinnen* einiges zu verdanken. An die 2000 Stimmen bei der letzten Nationalratswahlen, wenn man voraussetzt, dass die Wahlbeteiligung unter den Journalistinnen dem Durchschnitt entsprach und jene 34 Prozent, die laut Journalistenreport II mit den Grünen sympathisieren, sie auch gewählt haben.

Aufmerksamen Leserinnen ist es sicher aufgefallen: Die Sympathien der Journalistinnen korrespondieren nicht mit dem Wahlergebnis, das gilt umso mehr, wenn man sich die Werte für die anderen Parteien anschaut: Die ÖVP mögen 14 Prozent, die SPÖ nur 9 Prozent und die FPÖ fällt überhaupt unter 1 Prozent Sonstige.
Eva Glawischnig wird sich über die Zuneigung der Medienleute freuen, Grund zur Euphorie hat sie nicht. Die Grünen werden in den Medien nicht dreimal so gut behandelt wie andere Parteien.
Wie groß die Sympathie der Journalistinnen für Thorsten Schäfer-Gümbel ist, wurde bisher nicht untersucht. Faktum ist aber: Sie trugen ihn vor den Hessen-Wahlen fast auf Händen. Nicht weil sie es wollten. „Fahrig“, „verhuscht“, „bieder“ sei der Erbe der politisch verunglückten Andrea Ypsilanti, schrieb die Frankfurter Rundschau (FR). Aber sie und andere Medien konnten nicht anders, als einer eher scherzhaft gemeinten Internet-Kampagne, die unter dem ins Hessische übersetzten Obama-Slogan „Jo isch kann!“ Furore machte, Tribut zu zollen. Die „Zeit“ brachte ein Gümbel-Poster im Stil von Shepard Faireys Obama-Plakat, das zuletzt sogar das Cover des Time Magazine im Jänner 2009 geschmückt hatte.
Thorsten Schäfer-Gümbel, der seinen Namen aus verständlichen Gründen zum Akronym TSG verkürzte, und seine Wahlkampftruppe schienen zwar anfangs nicht zu wissen, wie ihnen geschah, stellten sich aber flott auf die Resonanz der Internet-User ein. Rasch produzierte Videos erreichten auf Youtube bis zu 60.000 Zugriffe. Nur eine kurze Sequenz vom CDU-Parteitag in Stuttgart, bei dem Angela Merkel aus Ministerpräsident Koch einen Roland „Kotz“ machte, konnten die TSG-Filmchen nicht toppen. Im „Twitter“-Forum fand Schäfer-Gümbel fast 2000 „Follower“. Zum Vergleich: Hans Dichands Weblog verfolgen dort weniger als 100 Menschen. Auch auf Facebook machte sich TSG viele Freundinnen.
In der SPD entstand regelrechte Euphorie: „Da ist Musik drin“, zitierte die FR vor der Wahl einen Parteisprecher, der dann regelrecht poetisch wurde: Es baue sich „eine sanfte Brücke aus dem Internet auf, über die mehr Leute gehen als wir dachten“. Letztlich gingen 23,7 Prozent der Wählerinnen über die Brücke und bescherten der Partei das schlechteste Ergebnis aller Zeiten. Roland „Kotz“, der auf Facebook kaum halb so viele Unterstützer fand wie TSG, setzte sich im wahren Leben klar durch.
Ende des Liedes. Bis auf ein kleines Nachspiel: Der Erfolg eines Internet-Wahlkampfes ist keine hinreichende Erklärung für einen Wahlsieg. Man kann im Web reüssieren und trotzdem verlieren. Nach der Wahl wussten das auch die Zeitungen (wieder): „Was bei Obama lässig erschien, wirkte beim SPD-Mann wie ein Versuch, sich als lockerer Politikvogel einzuschleimen“, ätzte eine. Nachher.


Martin Novak ist Journalist, Medienfachmann und Geschäftsführer der Agentur „Conclusio“ in Graz.

*P.S.: Nur 20 Prozent der Medien haben laut Journalisten-Report II Regeln für die geschlechtsneutrale Schreibweise. Nicht ganz unverständlich für jene, die schon einmal versucht haben, gender-mainstreaming-konform einen zweizeiligen Titel mit je zehn bis zwölf Leerzeichen zu verfassen. Für diese Kolumne gibt es ab sofort eine Regel. Hier wird grundsätzlich die weibliche Form verwendet, sie schließt natürlich auch Männer ein.

» 1 Kommentar
1Kommentar
am Dienstag, 10. Februar 2009 17:58von Martin Novak
Erratum: Beim Wort \\\"Leer\\\"-Zeichen ist der Worteil \\\"Leer\\\" geistig zu streichen. (Falls das geht.)
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