Arsen und Spitzen- häubchen Malina Teaching In Role
Arsen und Spitzenhäubchen Geht das? Theaterkritiken von hinten aufzäumen? Die letzte Sekunde in der Grazer Inszenierung der Alltime-Klamotte „Arsen und Spitzenhäubchen“ ist genial: Gerhard Balluch soll als Irrendoktor gleich von den netten Schwestern Abby und Martha Brewster per Giftpunsch ins Jenseits befördert werden und hebt – ahnungslos natürlich – zum Dank das rechte, gamaschenbewehrte Bein zum elegantesten Kratzfuß: Licht aus. Zu Beginn inszeniert die Regisseuse Christine Eder diese schwarze Komödie über eine Irrsinnsfamilie als Vorspann eines Schwarzweißfilmes. Dieses „klassische“ Filmzitat steht dem Stück über eine „Irrsinnsfamilie“ (zwei giftmischerische Tanten mit 13 Leichen im Keller, ein Idiot, der sie vergräbt, ein verbrecherischer Neffe) durchaus an. „Arsen und Spitzenhäubchen“ ist 1939, also noch während der großen Depression, von dem amerikanischen Autor und Schauspieler Glenn Miller verfasst worden. Leider präpariert Christine Eder weder die aktuellen, ökonomischen, noch die ästhetischen Möglichkeiten diese Ansatzes weiter heraus. Der Vorspann wird zur trüben Farblosigkeit, die auch die silbrigen Trainingsanzüge der mörderischen Schwestern (zuverlässig Gerti Pall & Friederike von Stechow) nicht aufhellen. Was schlimmer ist: Die (Film)-komödie beruht auf präzisem Timing, das allerdings, abgesehen von der genialen, aller-allerletzen Zehntelsekunde, selten zu bewundern war. Der unglaublich flinke Franz Solar als Nurejew-Cop ist allerdings ziemlich komisch. Detto bei der langen Nacherzählung seines erschöpfenden Dramas, während der sich die ganze Bühne langsam um 360 Grad dreht. Thomas Frank gelingt als dicker Dr. Einstein immerhin ein ordentlicher Purzelbaum über ein Fauteuil, und Götz Argus anarchischer, „Attacke“ schreiender Debiler ist eine Klasse für sich. Jan Thümer fürchtet sich als Theaterkritiker weniger vor schlechten Aufführungen als davor, gleichfalls Opfer des erblichen Familienirrsinns zu sein. Gemeinsam mit Sophie Hottinger als seiner Verlobten Elaine Harper müht er sich wacker ab, komisch zu sein. Aber komisches Theater, dessen Timing sich nicht durch Filmschnitte steuern lässt, hängt noch viel mehr von der Präzision und dem Zeitgefühl der Regie ab. Und wenn die fehlen, gerät die Komödie leicht in die Nähe der Klamotte. Die ist allerdings eher bunt als schwarzweiß. Trotzdem: „Arsen und Spitzenhäubchen“ im Schauspielhaus schlägt etwa das Neujahrsprogramm des ORF immer noch um Längen. Für alle, die gern und leicht lachen. Noch am 14.1., 15.1. und am 21.1. und 4.2., 7.2. Malina Anders extrem war die Premiere von Ingeborg Bachmanns berühmten und einzigen Roman „Malina“ am 3.1. auf der Probebühne. Die Adaption dieses klassischen, österreichischen Textes weiblicher Selbstbestimmung durch Patrick Schlösser war nicht nur für die drei Schauspielerinnen eine Herausforderung, sondern auch für das Publikum. Ingeborg Bachmann entwickelt in ihrem Buch mehrere ineinander verschlungene „innere Zustände“ (oder Monologe), in die Milieubeschreibungen, Gespräche, Szenen nur schemenhaft und sprachlich verdichtet eingebettet sind. Nur angedeutete „realistische“ Szenen und „dramatische“ Knoten werden zu Beschwörungen weiblicher Identität, die sich nach anfänglicher, verliebter Euphorie auf Unglückszusammenhänge, auf ein Absterben des Weiblichen, besser auf eine Selbsttötung hin entwickeln. In Bachmanns Text, der heute noch „moderner“ erscheint, als Vieles, was zu „ihrem“ Wettbewerb in Klagenfurt vorgetragen wird, teilt die Autorin das Innenleben ihres fiktiven „Ichs“ in mehrere Schichten auf. Die erste bezieht sich auf einen jüngeren Geliebten namens Ivan, eine andere scheint um Ausgleich bemüht und wieder eine, Malina nämlich, repräsentiert das Rationale, Männliche im weiblichen „Ich“. Patrick Schlösser, von dem auch das kleinbürgerlich-sachliche Bühnenbild im Stil der Sechziger stammt, hat Bachmanns Text ohne Larmoyanz, Hysterie und die mittlerweile grassierenden Showeffekte inszeniert. Nach einer etwas zähen, ersten Halbzeit geraten ihm die spärlichen dialogischen Passagen umso spannungsreicher. Sparsam eingeführte, archaische Elemente, wie das Aufsammeln einer Handvoll Erde zum Schluss lassen allerdings auch Möglichkeiten vermuten, den Text Ingeborg Bachmanns jenseits einer „realistischen Inszenierung“ atmosphärischer und zugleich abstrakter zu deuten. Zudem beinhaltet Ingeborg Bachmanns solitär gebliebener Auftakt zum „Todesarten-Zyklus“ auch brillante Literaturvignetten – sei es über die Post, die Aufräumerin oder einen Interviewer – , in denen ein durchaus sarkastischer, weltwitziger Tonfall herrscht. Aber Patrick Schlössers Bearbeitung konzentriert sich völlig auf die Zerstörung des weiblichen Ichs durch das männliche Prinzip – gleichgültig, ob man es nun Mord, Selbstmord, oder bloß Abtötung nennt. Die „Brigitte“-Mode von Tanja Kramberger beschreibt sehr schön den mittlerweile zurückgelegten Weg von dieser tödlichen Akzeptanz des Männlichen im Weiblichen bis zu dessen beinah automatisierter Übernahme männlicher Erfolgsmuster heute. Die drei Schauspielerinnen Verena Lercher, Gertrud Roll und Martina Stilp performieren ihre Rollen mit einer schönen, an die berühmten Frauenfiguren Godards („Eine Frau ist eine Frau“, „Zwei oder drei Dinge, die ich von ihr weiß“) erinnernden Unmittelbarkeit. Und endlich eine (klassische) Bühnenmusik, die obgleich sehr effektvoll, auf den Zudröhneffekt verzichtet. „Malina“ auf der Probebühne umschreibt nicht nur das Fundament österreichischer Frauenliteratur von Marlen Haushofer über Marlene Streeruwitz bis hin zu Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek. Sie zeigt auch so etwas wie den mythischen Beginn einer Gender-Theorie. Und wenn sich nun ein Regisseur und Kritiker, beide männlich, mit Ingeborg Bachmanns „Malina“ beschäftigen, bedeutet das die Überwindung alter Rollenbilder? Deren unvermeidliche Fortschreibung? Oder deren neutrales Nebeneinander? Schöne Pflichtaufführung, Machos warm anziehen. Noch am 12.1. 23.1. sowie am 11.2. und 24.2.
Teaching In Role Zwei pechschwarze Punkte sitzen wie gemalt auf den Unterlidern von Anja Sczilinski (siehe Bild), die mit unerschöpflicher Energie und skepsisresistenter Begeisterung „SCHAUSPIEL AKTIV!“ leitet. Sie hat in Berlin Theaterpädagogik und Regie studiert. Von 2004 bis 2007 baute sie dann für die Festspiele in Bayern eine überregionale, theaterpädagogische Abteilung mit neuen Formaten zur interaktiven praktischen Nachbereitung der Stücke (teaching in role) auf. Anja Sczilinski ist überzeugt, dass jede/jeder Theater machen kann. Darüber hinaus befähigt das „Handwerk des Theaters“, sich selber zu präsentieren und, indem man Augen und Ohren für den anderen öffnet, wacher und bewusster durchs Leben zu gehen. Der gute Ruf des Schauspielhauses und die netten Begegnungen mit den MitarbeiterInnen haben sie schließlich nach Graz gebracht. Mit dem auf zwei Jahre angelegten Modellprojekt „SCHAUSPIEL AKTIV! – Theaterpädagogik am Schauspielhaus Graz“ sind sie und ihr Team, Karin Weirer-Schreiner/Bundeslehrerin und Stefan Egger/Bundeslehrer, schon bald nach dem Start im vergangenen Herbst äußerst erfolgreich. Die Entscheidungsträger und Förderer – Intendantin Anna Badora, das Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur, das Kulturamt, das Amt für Jugend, Frauen, Familie und Bildung der Steiermärkischen Landesregierung, das Kulturressort der Stadt Graz und das Stadtschulamt der Stadt Graz – haben die Honorare und finanziellen Mittel für das Team und das Modellprojekt gut angelegt. Das Konzept entwickelte die neue Grazer Chefdramaturgin Regina Guhl, die bereits in Hannover positive Erfahrungen mit ähnlichen Ansätzen gesammelt hat, zusammen mit Intendantin Anna Badora. Das Projekt strahlt bereits bis ins Burgenland und nach Kärnten aus, die Quote stimmt, die Auslastung liegt bei bis zu zehn Workshops pro Woche und Anfang Februar werden beinah 2000 Schüler an „Inszenierungsvorbereitenden Workshops“ teilgenommen haben. In dem Pilotprojekt werden ausgewählte Inszenierungen des Schauspielhauses näher, wirksamer und auch nachhaltiger an Jugendliche und interessierte ZuseherInnen herangetragen. Sein Kern besteht aus den „Inszenierungsvorbereitenden Workshops“ in denen sich Jugendliche durch eigene, intensive Rollen-, Text- und Interpretationsarbeit ein Stück bzw. eine Aufführung aktiv aneignen. Andere Formate sind die allgemein zugänglichen „Theaterpraktischen Werkstätten“ zu ausgewählten Inszenierungen mit bis zu 25 TeilnehmerInnen, die besonders von Lehrpersonen gerne als Fortbildungsmöglichkeit angenommen werden und die „Publikumsgespräche“ mit bis zu 100 TeilnehmerInnen. Außerdem werden noch Fortbildungen für LehrerInnen und Theater-Spielclubs für Jugendliche ab 14 Jahren angeboten. In Patenschul-Projekten, beginnend mit „wirkinderdesnetzes“ (Uraufführung: 29. Jänner) wird mit Schulklassen über drei bis fünf Tage eine „Parallelinszenierung“ realisiert und deren Ergebnisse präsentiert. Wichtig ist der kompensatorische Aspekt, das Angebot soll für jeden erschwinglich sein. So erhalten Teams für den Grazer Bereich eine Fahrtkostenpauschale von zehn, außerhalb von Graz 20 Euro zugestanden. Darüber liegende Kosten trägt das Modellprojekt. Der Marketingeffekt des Projektes besteht in der Öffnung des Schauspielhauses und der Rekrutierung zukünftiger Theaterfans. „Schauspiel aktiv!“ bedeutet auch Nachwuchspflege und Ergänzung des Unterrichtes. Im Fall von Hebbels „Die Nibelungen“ ergibt sich dann ein fächerübergreifender Unterricht von Deutsch hinüber ins Geschichtliche oder Politisch-Geografische. „Die Nibelungen“ in der Inszenierung von Cornelia Crombholz sind übrigens „der Renner“ des Projektes; auch Kleists „Penthesilea“ (Inszenierung Friederike Czeloth) wird von den Jugendlichen sehr gut angenommen. Vielleicht fehlt da noch ein Format, das sich mit Theaterkritik beschäftigt? Wenn schon nicht für die Schüler, dann vielleicht für die Theaterkritiker? Informationen: Anja Sczilinski, Karin Weirer-Schreiner, Stefan Egger, Telefon: 0316/ 8008-3332; Mail: theaterpaedagogik@buehnen-graz.com, sowie unter www.buehnen-graz.com/schauspielhaus; Bürozeiten: Mo-Fr 9-12 Uhr
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