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„Von einer historischen Feindschaft kann keine Rede sein“ |
Montag, 12. Januar 2009 | |
Der seit Jahren andauernde Konflikt um den Verlauf der gemeinsamen Grenze zwischen Kroatien und Slowenien spitzte sich vor Weihnachten zu: Nachdem sich die beiden Nachbarstaaten auf keinen Kompromiss verständigen konnten, legte Slowenien ein Veto gegen die Forführung der Beitrittsgespräche Kroatiens ein.
Gregor I. Stuhlpfarrer sprach mit Norbert Mappes-Niediek, in Graz lebender freier Südosteuropa-Korrespondent mehrerer deutscher wie österreichischer Zeitungen, über die tatsächlichen Hintergründe dieser Auseinandersetzung und die gemeinsame Vergangenheit der beiden Balkanstaaten. Was ist der tatsächliche Grund für die gegenwärtige Zuspitzung des Grenzkonflikts zwischen Slowenien und Kroatien? Der Grund für die Zuspitzung ist ausschließlich in Slowenien zu suchen: Borut Pahor, der neue Premierminister, hat die Parlamentswahl im September überraschend gewonnen. Gleich in die erste Falle, die ihm einer stellte, ist er wie ein Gimpel hineingetappt. Pahor hat mit seiner Regierung eine knappe Mehrheit im Parlament und wusste, dass schon zwei slowenische Außenminister über diesen seltsamen Grenzkonflikt mit Kroatien gestolpert sind. Er kannte also die Gefahr und hat daraus die Konsequenz gezogen, dass er nun sämtliche Schritte mit der Opposition abspricht. Das war allerdings ein grauenvoller Fehler. Sein machtbewusster Vorgänger Janez Janša hat sich die Chance nicht entgehen lassen, Pahor für diesen Konsens mit der Opposition die größtmögliche Härte abzuverlangen. Jetzt, nachdem Pahor diese harte Gangart nach außen getragen hat, hat Janša ihn gestützt. Janša weiß aber erstens genau, dass sich Zagreb auf Sloweniens Maximalforderungen nicht einlassen wird, zweitens weiß er, dass Pahor diese Haltung auch am europäischen Parkett nicht durchbringen kann. Im März ist der erste EU-Gipfel unter der Prager Präsidentschaft. Die EU-Staats- und Regierungschefs werden Pahor einkochen, wie noch nie zuvor einer eingekocht worden ist. Dann wird er geschlagen nach Hause zurückkehren und Janša wird ihn der Schwäche bezichtigen. Diese Entscheidung wird der slowenischen Regierung schaden, denn immerhin genießt – oder besser genoss – Slowenien sehr lange den Ruf eines Musterschüler innerhalb der EU. Gleichzeitig wächst die EU Skepsis in Kroatien? Ja, zum Teil verständlich, denn die Blockade der Verhandlungen offenbart einen Konstruktionsfehler der Gemeinschaft. Wenn ein Mann wie Borut Pahor, dessen Partei gerade einmal von 320.000 Wählern unterstützt wurde, eine halbe Milliarde Europäer in ihrer Willensentscheidung blockieren kann, dann stimmt etwas nicht. Darüber hinaus gibt es in Kroatien eine Grundskepsis gegenüber der Union, die im nationalistischen Wahn der 1990er Jahre ihre Wurzel hat. Zwischen Kroatien und Slowenien herrscht großes Misstrauen. Woher rühren diese Vorbehalte? Wenn man über Emotionen und Vorurteile in Bezug auf Kroatien und Slowenien spricht, dann muss man über Neid sprechen. Die Slowenen neiden den Kroaten, dass sie bei der Auflösung Jugoslawiens praktisch die gesamte Adriaküste geerbt haben, die mit Abstand wichtigste Ressource, die Jugoslawien zu vererben hatte. Auf der anderen Seite neiden die Kroaten den Slowenen ihre rasche Eingliederung in die Europäische Union und ihren damit verbundenen wirtschaftlichen Erfolg: Am Ende Jugoslawiens war das Bruttoinlandsprodukt der beiden Staaten praktisch gleich, heute ist das Verhältnis eins zu zwei. Da kann man sich vorstellen, wie sich die emotionalen Beziehungen der beiden Nationen entwickelt haben. Aber Nachbar-Nationen pflegen immer gewisse Ressentiments und Vorurteile gegeneinander; ich glaube nicht, dass das der entscheidende Punkt dieses Konflikts ist. Von einer historischen Feindschaft kann jedenfalls keine Rede sein. Hat sich das Bild der beiden Nationen im Lauf der Zeit nicht verändert? Ja. Das Bild hat sich sogar umgekehrt, wenn man Vorurteile und Stereotypen betrachtet. Die Kroaten haben sehr lange auf die Slowenen herabgeblickt. Die Kroaten hatten in der Kaiserzeit einen eigenen Adel und ein eigenes Bürgertum und betrachteten sich selbst als „historische Nation“, während die Slowenen als ein so genanntes „geschichtsloses Volk“ galten. Durch den wirtschaftlichen Fortschritt Sloweniens hat sich die Rangfolge der Nationen aber umgekehrt. In Slowenien macht man sich heute gern die auch in Kroatien verbreitete Balkan-Verachtung zu eigen und wendet sie gegen den Nachbarn. Der konservative slowenische Dichter Drago Jančar hat von Zagreb einmal gesagt, es habe die Augen fest nach Westen gerichtet, stehe mit beiden Beine aber fest auf dem Balkan. Das sind so Neckereien, die auf gewachsenen Stereotypen aufbauen. Die Vorurteilen sind aber nicht die Ursache des Konflikts. Sie geben ihm nur ein bestimmtes Kolorit.
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