Als Staatspräsident Bashar al-Assad im Juli 2000 in Syrien an die Macht kam und die 30-jährige Schreckensherrschaft seines Vaters Hafiz al-Assad beendete, machte sich Aufbruchstimmung im Land breit. Acht Jahre danach waren auf den „Damaszener Frühling“ mehrere Winter gefolgt, Regime-KritikerInnen sitzen unter unmenschlichen Bedingungen in Haft und die Opposition ist zersplittert. Die militärische Intervention der USA im Nachbarstaat Irak festigte das Regime und legitimiert bis heute das harte Vorgehen gegenüber jedweder „Gefahr für Einheit und Stärke des Landes“.
Eine Reportage aus Damaskus.
Mouna Hussein* wirft einen verbitterten Blick auf die hoffnungsvolle zweite Hälfte des Jahres 2000 zurück: „Die neue Regierung lockte kritische Stimmen aus dem Untergrund, um danach die Köpfe, die auftauchten, hinter Schloss und Riegel zu bringen.“ Die Damaszener Anwältin und Menschenrechtsaktivistin betreut die Familien mehrerer seit 2001 inhaftierter Oppositioneller und darf ihr Land seit 2006 nicht mehr verlassen. Konstruktive Kritik, gesellschaftliche Reform und Modernisierung stellte der neue syrische Präsident Bashar al-Assad dem Land in seiner Antrittsrede vor dem Parlament am 17. Juli 2000 in Aussicht. Die ersten Monate unter dem erst 34-jährigen Staatsoberhaupt waren demnach von einem Klima der politischen Öffnung geprägt. Lejla Kusa*, eine Aktivistin von damals, erinnert sich: „Beinahe täglich organisierten wir Demonstrationen für Demokratie und freie Meinungsäußerung. Wir spielten voller Euphorie Katz und Maus mit der Regierung, die ständig versuchte, eigene Demonstranten einzuschleusen, die mit Präsidenten-Konterfeis in der Hand an unserer Seite marschieren sollten.“ Im Jänner 2001 präsentierten unterschiedliche oppositionelle Gruppierungen ein Manifest zu notwendigen politischen Reformen. Mehr als 1000 BürgerrechtsaktivistInnen unterzeichneten das Papier. Wenig später gründete der regimekritische Parlamentsabgeordnete Riad Seif die „Bewegung für sozialen Frieden“. Der „Damaszener Frühling“ war auf seinem Höhepunkt angelangt und der Grundstein für die Oppositionsarbeit der folgenden Jahre gelegt. Die junge Regierung in Damaskus konnte mit dieser Entwicklung nicht Schritt halten. Hardliner innerhalb des Regimes leiteten den ersten Damaszener Winter ein: KritikerInnen wurden systematisch als Verräter an den Pranger gestellt, tätliche Übergriffe auf BürgerrechtlerInnen mehrten sich. Im Sommer 2001 wurde Riad Seif gemeinsam mit sieben weiteren Oppositionellen verhaftet und die meisten Bürgerrechtsgruppierungen verboten.
Irakkrieg und Libanonkrise: Aufbruch innerhalb der Opposition. Die regionalen Entwicklungen nach dem Kriegsausbruch im Irak 2003 unterstützten Bashar al-Assads antiamerikanischen und innenpolitisch harten Kurs. Die Annahme, dass Saddam Husseins Sturz eine Demokratisierungswelle in der Region mit sich brächte, erwies sich als Trugschluss. Syrische AktivistInnen, die für Demokratie eintraten, wurden als Anhänger der USA diskreditiert, das Volk stellte sich aus Angst vor Chaos im eigenen Land hinter seinen starken Führer. Im Februar 2005 kam es im Libanon zu einem für Syrien folgenschweren Attentat: Der USA-freundliche libanesische Ministerpräsident Rafik Hariri wurde in Beirut durch eine Autobombe getötet. Die USA beschuldigten Damaskus, für den Anschlag verantwortlich zu sein und Syrien musste auf internationalen Druck seine 29-jährige Militärpräsenz im Libanon beenden. Die ohnehin angespannten Beziehungen zwischen den beiden Nachbarländern stürzten auf einen historischen Tiefpunkt. Innenpolitisch war das Jahr 2005 geprägt von Versuchen, die zersplitterte Opposition zu einigen. Im Oktober 2005, fünf Tage vor der Veröffentlichung des ersten UN-Berichts zur Ermordung von Rafik Hariri, wurde die „Deklaration von Damaskus“ präsentiert: Demokratie, Gewaltlosigkeit, Einheit der Opposition und demokratischer Wandel waren die vier Prinzipien, auf denen die Erklärung fußte. Fünf Parteienbündnisse und Bürgerrechtsorganisationen sowie neun Intellektuelle unterzeichneten das Papier, innerhalb von 24 Stunden bekundeten Dutzende Gruppierungen und Parteien innerhalb und außerhalb Syriens ihre Unterstützung. Zum ersten Mal in der syrischen Geschichte war es zu einer akkordierten Aktion von Gruppierungen gekommen, die gleichermaßen Kurden, arabische Nationalisten, Kommunisten, Sozialisten, Liberale und Islamisten vertreten.
Ein weiterer Damaszener Winter. Als Reaktion darauf begann die Regierung in Damaskus, noch härter gegen RegimegegnerInnen vorzugehen: AktivistInnen wurde untersagt, ins Ausland zu reisen, kritische Websites wurden gesperrt, jeder Versuch, oppositionell tätig zu sein, vom syrischen Geheimdienst verfolgt und geahndet. Selbst BürgerInnen ohne politisches Engagement, die sich lediglich im Café oder auf der Straße kritisch äußerten, liefen Gefahr, im Gefängnis zu landen. Menschenrechtsaktivist Mounif Musa* bringt die Situation auf den Punkt: „Seit dem ‚Damaszener Frühling’ versuchen wir, unser Land demokratisch zu verändern. Doch jedes Mal, wenn wir einen Schritt nach vorne machen, drängt uns die Regierung zwei Schritte zurück.“ Das Tauziehen zwischen Regime und KritikerInnen ging weiter: Im Mai 2006 riefen 300 syrische und libanesische Intellektuelle zur Normalisierung der Beziehungen zwischen Syrien und dem Libanon auf. Die Forderung klingt harmlos, doch die syrische Regierung rückte die UnterstützerInnen in die Sphäre antisyrischer Parteien im Libanon und damit der USA, die Syrien für den Mord an Rafik Hariri verantwortlich machen. Die Vorstellung, es könnte eine funktionierende Zusammenarbeit zwischen der syrischen Opposition und dem Ausland geben, ließ in Damaskus die Alarmglocken schrillen. Zwei Tage nach der Verlautbarung kam es zu ersten Verhaftungen, darunter zwei Bürgerrechtskämpfer der ersten Stunde, Journalist Michel Kilo und Menschenrechtsanwalt Anwar el-Bunni.
Entpolitisierte Gesellschaft. Heute sitzt Bashar al-Assad fester im Sattel denn je und die meisten öffentlich aufgetretenen RegimekritikerInnen sind in Haft. Der größte Rückschlag für die Demokratisierungsbewegung in der Region war zweifelsohne das Scheitern der USA im Irak. Die Angst vor Chaos und Gewalt führte zur allgemeinen Überzeugung, dass das Experiment Demokratie ein zu gefährliches ist. Die syrische Gesellschaft ist weitgehend entpolitisiert. Hassan el-Khajjat, 27-jähriger Student aus Damaskus: „Wir interessieren uns nicht für Innenpolitik, es ist zu gefährlich und bringt nichts. Wenn ich mit Freunden politisch diskutiere, dann über Israel oder Barack Obama.“ In den vergangenen Monaten gelang Bashar al-Assad auch der Sprung zurück auf die internationale Bühne. Syrien konnte in der Libanonkrise im Frühjahr 2008 einen wertvollen Beitrag zu einer Einigung zwischen den Bürgerkriegsparteien im Nachbarland leisten. Syrien und Libanon vereinbarten in der Folge, zum ersten Mal seit der Unabhängigkeit der beiden Staaten in den 1940er Jahren Botschafter auszutauschen. Nach Jahren des diplomatischen Frosts fand Assad in Nicolas Sarkozy auch einen neuen Verbündeten in Europa. Das Projekt „Mittelmeerunion“ führte zur Normalisierung der Beziehungen zwischen Frankreich und Syrien. Als positive Begleiterscheinung wurden Milliarden-Verträge mit der französischen Airbus Industry Group, dem Ölgiganten Total, und weiteren Unternehmen aus dem Energiesektor abgeschlossen. Im vergangenen November besuchte der britische Außenminister David Milliband Damaskus. Der Besuch kann als Wegbereitung für eine Entspannung in den Beziehungen zu den USA gewertet werden, die durch die Wahl Barack Obamas greifbar scheint. Ob diese Entwicklungen einer politischen Öffnung im Land zugute kommen, ist fraglich. Alle hier sind sich einig, dass ein demokratischer Wandel nur von innen kommen kann. Und das wird angesichts der schwachen und inhomogenen Opposition wohl noch dauern.
Sara Alkan aus Damaskus * Aus Sicherheitsgründen wurden die Namen der Interviewpartner durch die Redaktion geändert.
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