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Slowenien und Kroatien: alte Eintracht, neue Ressentiments
Montag, 12. Januar 2009
Mit dem Veto Sloweniens gegen die Beitrittsbestrebungen Kroatiens hat Ljubljana seinen südlichen Nachbarn am falschen Fuß erwischt. Kroatiens politische Entscheidungsträger und die überwiegende Mehrheit der KroatInnen reagieren angesichts der neuen, überraschenden Konstellation empört. Obgleich die politischen Differenzen theoretisch leicht zu lösen wären, trennt die beiden Nationen heute mehr denn je.

Eine Reportage aus Zagreb. Am letzen Samstag vor Weihnachten schnaubt Zagreb. Die Fußgängerzonen rund um den zentralen Trg Bana Jelačić sind bereits am frühen Morgen prall gefühllt, immerhin gilt es auch in Zeiten der Krise Geschenke, also pkoloni, für die Lieben zu besorgen. Zwischen Weihnachtsmärkten, als Weihnachtsmänner kostümierten Tapferen und auffallend vielen Würstelbuden – quasi die balkanische Variante der heißen Maroni während der kalten Jahreszeit – trifft man sich und spricht miteinander. Über Aktuelles, mitunter über Politik.
Dieser Tage spricht man in Zagreb vor allem über den nördlichen Nachbarn, über das „kleine Slowenien“, das sich anschickte, mit einem Veto in Brüssel die Beitrittsbestrebungen Kroatiens zu blockieren: Aufgrund eines Streits über den Verlauf der gemeinsamen Grenze der beiden Staaten wurde dieses Veto bei einem Treffen der ständigen Vertreter aller EU-Länder deponiert. Im Fokus der Streitigkeiten steht dabei einmal mehr der Grenzverlauf der Adriabucht bei Piran, eine Auseinandersetzung, die seit der Unabhängigkeit der beiden Staaten vor mehr als 17 Jahren andauert.

Empörung in Zagreb. Premierminister Ivo Sanader, Präsident Stjepan „Stipe“ Mesić und die überwiegende Mehrheit der KroatInnen sind verständlicherweise „not amused“, immerhin wurde die Verhandlungen bereits einmal verzögert: Nachdem Kroatien 2004 zum offiziellen EU-Beitrittskandidaten avanciert war, beschloss Brüssel 2005 die Verhandlungen kurzzeitig auf Eis zu legen. Nach Auffassung der EU-Kommission kooperierte Kroatien bis dahin nur mangelhaft mit dem Haager Kriegsverbrechertribunal, legte seine schützende Hand über seinen ehemaligen General Ante Gotovina. Letzten Herbst stellte Brüssel Zagreb einen Abschluss der Gespräche für 2009 in Aussicht, seit dem „Ne“ aus Ljubljana fürchtet man in Zagreb, dass die wirtschaftlichen Vorteile, die sich große Bevölkerungsteile erhoffen, erst später einstellen könnten.
Gleichzeitig führt die Hiobsbotschaft aus Brüssel aber auch dazu, dass die EU-Anhängerschaft auch in Kroatien schrumpft: „Wäre ich Ivo Sanader, würde ich sagen: Danke Europa, danke Slowenien! Ab jetzt würde ich die EU nicht mehr kontaktieren, denn ab jetzt muss die EU selbst kommen, um uns zu fragen, ob wir in die EU wollen“, sagt Igor Globočnik, Unternehmer in Zagreb. Während der frühmorgendliche Fußgängerstrom in der Tkalčićeva stärker und stärker wird, nimmt sich Globočnik Zeit und bleibt ein Weilchen stehen: „Der Nutzen, den die EU von Kroatien hat, ist größer als der, den Kroatien vom Beitritt hat. Kurzfristig wird sich im Land sicher etwas tun, längerfristig wird aber Brüssel profitieren.“ In einer anderen Causa nimmt Globočnik eine differente Position zu vielen seiner MitbürgerInnen ein, die während der letzten Tage einen Warenboykott slowenischer Güter als Vergeltung gefordert hatten: „Ein Warenboykott wäre kontraproduktiv, weil zum Beispiel in diesen slowenischen Supermärkten lauter schlecht bezahlte Kroaten arbeiten. Würden die Menschen dort nicht mehr einkaufen, wären allein in Zagreb 200 Menschen ihren Job los.“  

Warenboykott.
Seit Tagen kursierten im Internet Aufrufe, die dazu animieren, nicht mehr bei slowenischen Unternehmen zu kaufen: Besonders betroffen wären stark exportorientierte Unternehmen wie der Haushaltsgerätehersteller Gorenje oder der Handelskonzern Mercator, der eines der größten Einkaufszentren in Zagreb betreibt. In der Bevölkerung stößt diese Spielart der Rache durchaus auf Gegenliebe: „Ich glaube, dass sich ein Warenboykott sehr schnell ausbreiten könnte, das ist sehr populär“, sagt ˇelko Markota, Manager im Telekommunikationsbereich, im schicken Café Bulldog in der Bogovićeva im Zentrum der Stadt. Hier treffen sich samstagvormittags jene Menschen, die es zu etwas gebracht haben im jungen Staat. Am Tisch neben Markota nippt der ehemalige Weltklasse-Fußballer Robert Prosinečki an seinem überteuerten kava. Makotas Appetit auf die Europäische Union ist derzeit enden wollend: „Zur Zeit ist offenbar keine gute Energie für einen Beitritt. Wäre jetzt eine gute Zeit, dann würden sich die restlichen EU-Staaten nicht vom kleinen Slowenien in den Beitrittsbestrebungen blockieren lassen.“ Die Enttäuschung in diesen Aussagen klingt unüberhörbar mit, ist doch der Beitritt ein langersehnter Wunsch Kroatiens, der nun abermals mit Verspätung Realität zu werden droht. „Das kleine Slowenien zerstört die Position Kroatiens. Die Unterstützung Kroatiens durch die restlichen Staaten der EU fällt zur Zeit noch zu gering aus“, sagt Makota, der ferner zu bedenken gibt, dass „man nichts erzwingen sollte, wenn die Zeit nicht reif ist“. Die Antwort auf die Frage nach dem tatsächlichen Hintergrund des slowenischen Handelns kommt ohne Zögern: „Slowenien ist nicht aus einem Krieg heraus entstanden wie Kroatien. Vielleicht müssen sie sich deshalb immer wieder Feinde machen, weil sie aus Kriegszeiten keine Feinde im herkömmlichen Sinn haben“, meint Makota, der allerdings einräumt, dass der neue slowenische Regierungschef Borut Pahor auch seine persönliche Beliebtheitswerte steigern möchte. Nachsatz: „Auch unserem Premierminister Sanader schadet diese Diskussion sicher weniger, als sie ihm nutzt“.

Alte Feindschaften.
Die Nacht zuvor im studentisch geprägten Club Spunk nebst der kroatischen Nationalbibliothek: Zwischen dem Qualm unzähliger Ronhill Glimmstängel und dem Dröhnen der überlauten Boxen der Anlage versucht der 25-jährige Luka Ranogajec, Sprachstudent an der Filozofski Fakultet, eine andere Erklärung akustisch verständlich zu vermitteln: „In Wirklichkeit sind die Slowenen eifersüchtig, dass Kroatien mit dem Beitritt zur EU den gleichen Status erreichen würde. Deshalb gibt es diese Streitigkeiten über Dinge, die eigentlich leicht zu lösen wären.“ Er verstehe, dass „sie keinen Zentimeter Küste hergeben wollen“, weil sie „ja nicht einmal 50 Kilometer davon haben“. Trotzdem seien diese Meinungsverschiedenheiten „Peanuts“, schlussendlich gehe es nicht „um diese paar Quadratkilometer, sondern um Emotionen.“ Von den Aufrufen zum Boykott hält er nichts, auch seine Freundin, die ebenfalls 25-jährige Iva Sutić, hält ihn für einen „rein populistischen Akt von Seiten der Politik“.

Zurück am Trg Bana Jelačić ist die Welt unterdessen wieder vollends in Ordnung: Gut zwei Dutzend Schulkinder haben auf der eigens für den Weihnachtsrummel installierten Bühne Position bezogen, um bekannte kroatische Weihnachtslieder zu trällern. Die stolzen Eltern haben dafür die schönsten Klamotten aus dem Kleiderschrank gezaubert und bewundern den Nachwuchs frohgemut. Sie, die nächste Generation, werden Europa näher sein, daran führt kein Weg vorbei. Selbst  „das kleine Slowenien“ wird daran nichts ändern können.

Gregor I. Stuhlpfarrer aus Zagreb
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