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Vinzenz Bronzin – ein vergessener Finanzpionier aus Triest
Montag, 12. Januar 2009
Die aktuelle Krise an den internationalen Finanzmärkten hat das öffentliche Interesse einmal mehr auf die Funktionsweise jener geheimnisumwitterten Finanzinstrumente, der „Derivate“, gelenkt, die entscheidend zum Entstehen der folgenschweren Spekulationsblase beigetragen haben. Dabei dienten ursprünglich diese so genannten Optionsgeschäfte – ähnlich Versicherungsprämien – ganz konservativ der Absicherung bestehender Aktienpositionen. Ein heute fast vergessener Altösterreicher war an der Entwicklung dieser Optionsgeschäfte pionierhaft beteiligt. Der Triestiner Mathematiker Vinzenz Bronzin entwickelte 1908, also vor rund hundert Jahren, das diesen Transaktionen zugrunde liegende Formelsystem, das eine Bewertung ihrer Wirtschaftlichkeit ermöglichte. Dieser lange Zeit vergessenen wissenschaftlichen Pionierleistung war im Dezember eine internationale Tagung in Triest gewidmet, dessen Ergebnisse gemeinsam mit einem Reprint des Originaltextes veröffentlicht werden sollen.

Auf den Spuren eines Finanztheoretikers.
Erst vor einigen Jahren stießen der Schweizer Historiker Wolfgang Hafner (Verfasser von „Im Schatten der Derivate“) und Heinz Zimmermann, Wirtschaftsprofessor an der Universität Basel, auf den in Vergessenheit geratenen Finanzmathematiker. Vinzenz Bronzin hatte in Wien u.a. bei dem berühmten Physiker Ludwig Boltzmann studiert und wirkte danach als Professor für „Politische Arithmetik“ an der k.u.k. Handels- und Nautischen Akademie in Triest. Er griff für die Bewertung von Optionskontrakten bei der Modellierung zukünftiger Preise von risikobehafteten Wertpapieren auf die im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts erst rudimentär fundierte Wahrscheinlichkeitstheorie zurück. Bronzins Büchlein „Theorie der Prämiengeschäfte“, das 1908 im Franz Deuticke Verlag in Wien erschien, war zu seinen Lebzeiten leider nur eine geringe Resonanz in Fachkreisen vergönnt – und der pensionierte Professor wurde immerhin fast 100 Jahre alt, ehe er in seiner norditalienischen Heimat verstarb. Als die Amerikaner Fischer Black, Myron Scholes und Robert Merton in den siebziger Jahren ihre eigenständig entwickelte Formel zur Beurteilung von Optionen publizierten, wurde diese als Meilenstein gefeiert. Sie erhielten 1997 schließlich den Wirtschafts-Nobelpreis für ihr Modell, das jedoch auf denselben grundlegenden Prinzipien wie die Formeln von Bronzin beruhte.

Späte Würdigung eines mathematischen Genies.
In Zusammenarbeit mit dem lokalen Komitee zur Ehrung Bronzins organisierten die beiden Entdecker des Vorläufers der modernen Finanztheorie ein Symposium, das im Triestiner Museo Revoltella abgehalten wurde. Hafner und Zimmermann würdigten in ihren Vorträgen die Bedeutung des Werkes von Bronzin im wissenschaftlichen Kontext des frühen 20. Jahrhunderts.
Die weiteren Referenten beschäftigten sich mit den vielfältigen ökonomischen und gesellschaftlichen Hintergründen der ausgehenden Monarchie. Die Soziologin Elena Esposito aus Bologna beleuchtete dabei das Phänomen der Spekulation sowie der damit verbundenen Kommunikationsprozesse aus der Sicht des Konstruktivismus. Den Modernisierungsschub in der späten Habsburgermonarchie, die bis heute oft als rückständiges Staatengebilde wahrgenommen wird, sowie den damit verbundene wirtschaftlichen Aufschwung analysierte als (einziger) österreichischer Vertreter auf dieser Tagung der Wirtschaftshistoriker Josef Schiffer aus Graz. Die besondere Bedeutung Triests im Handelsgeschäft der Epoche vor dem Ersten Weltkrieg wurde von der Lokalhistorikerin Anna Millo dargelegt, das später in seiner Rolle als internationale Geschäftsmetropole nach dem Anschluss an Italien einen Niedergang erleben musste. Ermanno Pitacco, Mathematikprofessor an der Universität Triest, beschrieb die besondere Bedeutung des Versicherungssektors, dessen ständig praxisnah verfeinerte mathematische Wahrscheinlichkeits-Modelle eine der wesentlichen Grundlagen für die Arbeit Bronzins darstellten.
js
 
Info: Der Sammelband „Vinzenz Bronzin‘s Option Pricing Models: Exposition and Appraisal,“ (Hg.) Wolfgang Hafner und Heinz Zimmermann, wird voraussichtlich im Februar 2009 im Springer-Verlag (Berlin-Heidelberg-New York) erscheinen.
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