Verkauft und verraten |
Montag, 12. Januar 2009 | |
Kreative, Stadt, Entwicklung (8) Neulich erzählte mir eine Grazerin von einem unangenehmen Erlebnis. Sie berichtete, sie habe Gäste aus dem Ausland gehabt und wie es sich für eine gute Gastgeberin geziemt, war Frau mit der Standseilbahn auf den Schlossberg gefahren, um als Erstes die Aussicht auf unsere schöne Stadt Graz zu präsentieren. Denn „willst du genau erfahren, was sich ziemt, so frage nur bei edeln Frauen an!“, steht schon im Torquato Tasso von einem geschrieben, der es wissen muss. Nach einer Kaffeepause im neuen Schlossbergrestaurant, von wo man besonders gut auf die Stadt des 20. Jahrhunderts im Grazer Westen mit seinen etlichen Hochhäusern schauen kann, ging es alsdann zu Fuß weiter. Es sollte den Fremden zur Krönung des touristischen Erlebnisses der Blick auf die Altstadt geboten werden. Vorweg wurde vom Uhrturm als Wahrzeichen der Stadt berichtet, von dessen Plattform der Blick besonders gut über das mittelalterliche Stadtzentrum schweifen könne. Aber ojemine, welch Monstrum baute sich den überraschten Gästen und der peinlich berührten Einheimischen überlebensgroß auf: Ein vorweihnachtliches Plastik-Packerl in Übergröße, wie es normalerweise nur 3D-Animationen in schlechten B-Movies generieren. An jede Seite dieses unmagischen Würfels ist noch eine Art Windrose gedruckt, die man lieber als zielbildendes Fadenkreuz für Geschosse aller Art verwenden würde! Wenn er’s nur aushalt´ – der arme Uhrturm. Es herrschte Erklärungsbedarf. Dass man historische Bauten dann und wann restaurieren muss, ist durchaus verständlich und schnell erklärt. Dass sich die Kulturhauptstadt, die Weltkulturerbe- und weiß-Gott-was-sonst-noch-Stadt eine solche kulturhistorische Baustelle ausgerechnet von Österreichs fragwürdigstem Boulevardblattl einwickeln lässt, ist schon etwas schwieriger zu erklären. Von den vielen Kommissionen, welche die Grazer Kultur bewahren sollen, war auch nichts Hilfreiches zu hören. Vielleicht waren diese Gremien gerade zu sehr mit sich selbst und ihrer eigenen Evaluierung beschäftigt. Kultivierte Europäer jedenfalls können sich solch penetrante Plakatständer nicht erklären. Sie sind aus Paris, Florenz oder sonstwoher originellere Gestaltungen oder zumindest einen Abdruck des Dahinter auf Baufolien gewohnt. So ist man oder frau gerne auf die Folter gespannt, bis das Wahrzeichen im neuen Glanz erstrahlt. Dem Gast, der lieber keine Baustelle vorfände, wäre dies zumindest eine gezieme Entschuldigung. Dem praktizierenden Architekten, für den es gar nicht genug Baustellen geben kann, gefiele auch das ehrlich schlicht-grüne Staubnetz der steirischen Baufirmen, durch dessen Transparenz das Original durchscheint. Alles besser als ein Bauwerk von derartigem öffentlichen Interesse hinter spekulativem Rot-Weiss-Rot mit blauen Sympathiestreifen zu verstecken. Architekt DI Harald Saiko
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