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Gegen das „Allzuneue“ – Das Grazer Werkbundhaus 1928
Dienstag, 9. Dezember 2008
„Modern“ und „bodenständig“, „fortschrittlich“ und „traditionell“ waren in der Grazer Architektur der Zwischenkriegszeit keine unüberbrückbaren Gegensätze. Der Mainstream bestand vielmehr in der Ablehnung des „Allzuneuen“ und der Befürwortung der „bodenständigen“ Tradition als Inspirationsquelle für eine zeitgemäße Bauweise. Ganz besonders gilt dieser Hang zur „Versöhnung“ für das Musterhaus des Steiermärkischen Werkbundes in der Schubertstraße, das 1928 von Hans Hönel errichtet und von 17 Architekten, Gartengestaltern, KünstlerInnen und KunstgewerblerInnen komplett eingerichtet wurde.

Seit Ende des 19. Jahrhunderts öffnete sich das Architekturmilieu den aktuellen, internationalen Reformen, die sich gegen die „Stilmaskeraden“ des Späthistorismus und den Niedergang der Künste durch die Industrialisierung richteten. Dazu gehörten die Architektur der Wiener Moderne – allen voran Otto Wagner –, aber auch die Münchner Tradition um Theodor Fischer und verschiedene über Deutschland übernommene internationale Bewegungen (Arts & Crafts, Gartenstadt, Heimatschutz, Werkbund).
Die Jahre nach dem Ersten Weltkrieg brachten eine moderate Aufbruchstimmung mit sich – trotz oder gerade wegen der wirtschaftlichen Notzeit. Vereine, darunter der Steiermärkische Werkbund und die Sezession Graz, wurden gegründet, um die neuen Ideen zu propagieren, Tageszeitungen und Ausstellungen berichteten vom Neuen Bauen in Deutschland. Wien verlor nach dem Zusammenbruch des Habsburgerreiches zugunsten von Berlin als Vorbild für die Grazer Architektur an Bedeutung.
Doch schon ab Ende den 1920er-Jahre wurden jene Stimmen lauter, die die Rückbesinnung auf die „heimatliche“ Tradition forderten. Spätestens ab 1933/34, mit der politischen Zäsur des autoritären „Ständestaates“, sank die Reformbereitschaft. Die reaktionären Tendenzen nahmen in allen Vereinigungen zu, das kulturelle Klima wurde zunehmend rauer. Nach dem „Anschluss“ führte schließlich der starke Heimat- und Landschaftsbezug der meisten steirischen Architekten und Architekturpublizisten dazu, dass deren Schaffen nahezu konfliktfrei in das nationalsozialistische Kulturprogramm integriert werden konnte.

Ein Musterhaus als Initialzündung. Die Verbindung von „modern“ und „bodenständig“, also von innovativen Aspekten des Neuen Bauens und einer als traditionell verstandenen Formensprache, erreichte im Herbst 1928 mit dem Musterbau des Werkbundhauses ihren Höhepunkt. Mehr als 3000 Interessierte strömten zu dem kleinen Einfamilienhaus in der Schubertstraße, das im bürgerlich-noblen Wohnbezirk Geidorf zwischen Villen errichtet worden war. Das Haus wurde als Bau- und Wohnausstellung zugänglich gemacht und in Führungsvorträgen vermittelt. Die Meinungen der BesucherInnen waren geteilt: Sahen die einen in dem Haus ein gemütliches Heim für Jungfamilien, so fürchteten andere, mit ihm sei das Ende deutscher Kultur gekommen. Heute steht das Haus unter Denkmalschutz und ist auch im Inneren – mit Ausnahme der Möbel – fast originalgetreu erhalten.
Der kubische Block des kleinen, in traditioneller Ziegelbauweise errichteten Wohnhauses mit Flachdach und Dachterrasse steht auf einem schmalen, steilen Gartenterrain. Die Fassaden waren laut Presse „sanft-erdbeerrot und weiß“ gestrichen. Die gesamte Innenausstattung – von den Möbeln, Lampen, Vorhängen, Teppichen bis zur Keramik und den Bildern an den Wänden – wurde eigens für diesen Bau entworfen. Im Erdgeschoss befanden sich die Wohndiele und das Speisezimmer, im ersten Stock ein Schlafzimmer, ein Kinderzimmer und ein Gästezimmer sowie im Dachgeschoss ein Wintergarten und eine Terrasse mit Dachgarten und „Sonnenbad“.

Gesamtkunstwerk. Dem Ganzen – Bau, Interieur und Garten – hatte der Steiermärkische Werkbund ein wohldurchdachtes Konzept zugrunde gelegt. In der Art einer Initialzündung suchte die Vereinigung hier erstmals ihre Vorstellungen zur Qualitätssteigerung im Bereich der Wohnkultur einem breiten Publikum 1:1 vor Augen zu führen und potentielle Auftraggeber und Kunden anzusprechen. Ausgegangen wurde dabei von der Tatsache, dass in den 1920er-Jahren in weiten Kreisen noch ein konservativer Wohngeschmack vorherrschte, der von Historismus, Jugendstil und industrieller „Schundware“ geprägt war.
Im Sinne des angestrebten Ideals der „Werksgemeinschaft“ wirkten zahlreiche Mitglieder des Steiermärkischen Werkbundes an der Realisierung dieses Projektes unentgeltlich mit. Architekt Hans Hönel, von dem die Pläne für das Haus stammten, hatte zwar schon lange vorher eine Villa für das seiner Mutter gehörende Terrain geplant. Der unmittelbare Anlass zum Bau war aber die 800-Jahrfeier der Stadt Graz, zu der auch die lokalen Kunstvereine in einer Art Leistungsschau Beiträge beisteuerten.
Bei der Art des Hauses ging es dem Werkbund „nicht um die knappsten Bedürfnisse eines kleinbürgerlichen oder proletarischen Siedlers, auch nicht um die Frage des Kleinhauses, sondern um eine mittelständische Wohnform“ (Semetkowski, 1933). Man hatte also eher finanzkräftigere Käufer aus der Mittelschicht im Auge. Dennoch bestand die (dann nicht erfüllte) Hoffnung, dass in der Folge in Graz weitere Musterbauten realisiert werden könnten, nun aber für einkommensschwächere BewohnerInnen. Das Haus, das schließlich zum relativ hohen Preis von 60.000 Schilling zum Verkauf angeboten wurde, fand nur mit Mühe einen Käufer.

Reaktion auf Stuttgart-Weissenhof. Die Idee zu dem Musterhaus scheint im Herbst 1927 entstanden zu sein, als die Bauten der Stuttgarter Weißenhofsiedlung des Deutschen Werkbundes in einer Ausstellung in Graz präsentiert und diskutiert worden waren. Freilich machte sich das Grazer Projekt äußerst bescheiden aus im Vergleich zu den 21 von 17 internationalen Architekten entworfenen Häusern, die in Stuttgart gemeinsam mit der Begleitausstellung „Die Wohnung“ rund eine halbe Million BesucherInnen, darunter auch einige Grazer, zählten.
Die von Moskau bis New York wahrgenommene Weißenhofsiedlung war für Befürworter wie für Gegner gleichermaßen der Inbegriff der neuen Architektur. Unter der Leitung von Ludwig Mies van der Rohe wurden dort die Standardisierung und Verwendung moderner Materialien und Baumethoden wie Stahlskelettbau und Fertigteilbauweise – und damit die Verbilligung des Bauens – propagiert. Wie später in Graz führten auch in Stuttgart (mit Stahlrohrmöbeln) eingerichtete Wohnungen und Einfamilienhäuser die neuen Ideen im Bauen und Wohnen vor Augen.

Das Grazer Werkbundhaus war eine Art „heimatliches“ Gegenmanifest dazu: Der Moderne – verkörpert durch die Weißenhof-Siedlung – sollte der vermeintlich zerstörerische Stachel der Internationalisierung und industriellen Standardisierung genommen werden, indem die moderne Architektur mit der „bodenständigen“ Tradition versöhnt und dadurch wieder „beseelt“ wurde. Moderner Wohnkomfort und Funktionalität waren zwar höchst willkommen, durften jedoch nicht auf Kosten der Gemütlichkeit gehen. Deshalb wurde der kubische Bau den traditionellen Sehgewohnheiten angepasst und eine bürgerlich-konservative, aber modern verbrämte Idylle erschaffen, ausgestattet mit gediegenem, handwerklich hergestelltem Mobiliar.

Antje Senarclens de Grancy

 

fast modern

Grazer Werkbundhaus & Architektur 1918 – 1938

Eine Ausstellung des stadtmuseumgraz
Kuratorin: Antje Senarclens de Grancy
Ausstellungsdauer: 21.11.2008 – 3.5.2009
Öffnungszeiten: Di–So: 10–18 Uhr
Gestaltung: Margareth Otti

Stadtmuseum Graz, Sackstraße 18, A-8010 Graz
T +43/316/872-7600, E-Mail: stadtmuseum@stadt.graz.at
www.stadtmuseum-graz.at

Im Zentrum der Ausstellung steht das Grazer Werkbundhaus, das 1928 im Kollektiv als „heimatlicher“ Gegenentwurf zu den als „kalt“, „seelenlos“ und „undeutsch“ beurteilten Wohnmaschinen der Architekturmoderne geschaffen wurde. Neben dem Steiermärkischen Werkbund werden aber auch drei weitere bis 1938 engagierte Gruppen beleuchtet (der Verein für Heimatschutz, die Sezession Graz und die Zeitschrift „Bau-, Wohn- und Kunstberatung“), aber auch die Ambivalenzen im Werk einiger der aktivsten Grazer Architekten exemplarisch aufgezeigt.

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