Das nachhaltige Magazin für Graz und die Steiermark
6 nach 6 – Das Erlebnis für Genießer
Mittwoch, 8. Oktober 2008

Kreative, Stadt, Entwicklung (5)

Ja, das wäre was, wenn man kreative Stadtentwicklung einmal erotisch beschreiben könnte. Aber leider muss ich das verschieben und die Pointe vorwegnehmen: 6 nach 6 ist es die ganze Zeit, nämlich auf der Uhr am Südtirolerplatz, die einsam im Weg herumsteht. Das Uhrengeschäft gibt’s schon lang nicht mehr, also zieht sie auch keiner mehr auf. Noch absurder: Ein wuchtiger Betonsockel samt ausladender Tafel in Kopfhöhe steht am Gehweg.

Dieser Ständer verspricht das Erlebnis für Genießer von Pralinen, aber die Konditorei gibt’s auch längst nicht mehr. Schauen wir weiter in der Fußgängerzone rund ums Kunsthaus: Erst auf den zweiten Blick ist die Platzgestaltung aus den 80er Jahren noch wahrnehmbar. Die alten blauen Bänke und Straßenlaternen gehen völlig unter in einem Meer von Schildern, Dreiecksständern, Wühlkisten, Fahrradstellplätzen und ähnlichem Zeugs. So leistet jeder Anrainer seinen eigenen gestalterischen Beitrag zum ästhetischen Supergau. Nichts anderes als ein Wildwuchs an Partikularinteressen, die sich ohne Rücksicht auf das öffentliche Interesse entfalten – können und dürfen. Gibt es überhaupt niemanden unter den 4000 Mitarbeitern der Stadt, der sich hier zuständig fühlt? Und das ist nicht alles: Gastgärten verschiedenster Art, ein Brunnen, Blumentröge, hin und wieder Flohmarkt und Co. und derzeit noch Wahlpropaganda aller Art und Couleur bereichern das Treiben. Das soll ja sein, der öffentliche Raum im südländischen Graz hat viel zu bieten und soll genutzt werden. Doch kümmert sich jemand um die Gestaltung? Muss das so aussehen? Und es komme mir keiner mit Aneignung und so! Buntes Treiben kann schön und lebendig sein, wenn es aus dem Leben entsteht. Wer kennt nicht einen Markt fliegender Händler in London oder die Vielfalt des Wiener Naschmarkts? Aber was sich hier am Südtirolerplatz darstellt ist – pardon – ein Sauhaufen, und sonst gar nix.
Dass sich dieser Sauhaufen ausgerechnet zwischen Altstadt und trendigem Lendviertel, rund um Kunsthaus und am Anfang der viel beredeten Annenstrasse ausbreitet, ist mehr als traurig. Und schon vergessen? Nach viel Lärm und Diskussion um die Umgebungsgestaltung für das damals neu errichtete Kunsthaus wurde schließlich in letzter Minute doch genau nichts gestaltet. Es wurde einfach zuasphaltiert. Dies wirft ein bezeichnendes Bild auf den Umgang mit der Stadt in Zeiten vor und während der geldflüssigen 2003-Euphorie. Bei 50-60 Euro-Mille für die Blase hätte man’s vielleicht auch am Boden richten können, wenn irgend jemand dazu kompetent gewesen wäre.
Wie die Gestaltung öffentlicher Plätze mit einfachen Mitteln gelingen kann, zeigt ein Blick nach Osteuropa, wo die Städte nicht mit Wohlstand gesegnet sind. Auf der Piata Traian gibt’s anstelle eines Werbetafelwettstreits nur Platz, ein paar Bäume und einfache Bänke. Da wird dann auch gefeiert, musiziert und der Gastgarten ausgebreitet, wenn´s passt. Dass mehr Geld nicht der Grund für den Unterschied ist, wird spätestens bei den Blumenständern dort klar: Simpel zusammengeschweißt mit einfachen Blumentöpfen bestückt sind diese nicht aus dem westlichen Designkatalog für Stadtmöblierung, doch liebevolle Blickfänge am Platz. Vielleicht wäre eine Exkursion über die Plätze Timisoaras für die Delegation der Stadt Graz heuer angemessener gewesen als eine Stipvisite Flughafen – Rathaus mit peinlichen Gastgeschenken und schlechter Nachrede? Aber wenn Verständnis, Liebe, und ja, Bildung und Wissen zum Thema Stadt und Urbanität nicht vorhanden sind, wird auch Mut zur Gestaltung fehlen. Schon gar, wenn damit partikulare Interessen enttäuscht werden, und nicht – im Sinne der herrschenden Konsumpolitik – jedem alles recht gemacht wird. Und wer wissen will, was Aneignung des öffentlichen Raumes sein kann, wenn statt lauter Ramsch noch Platz dafür wäre, der möge zu Rumäniens Straßenbuchhändlern flanieren und in warmer Herbstsonne zwischen Groschenroman und Dostojewski stöbern. Ein echtes Erlebnis für Genießer.


DI Harald Saiko, Architekt in Graz

Mara Verlic (Assistenz und Recherche), angehende Soziologin in Graz
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