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Sense of Architecture – Versuch, sich einem Gesamtkunstwerk zu nähern |
Mittwoch, 8. Oktober 2008 | |
Campo Madonna dell’Orto, Venedig: Kuratorin Charlotte Pöchhacker (ARTIMAGE) beschreibt bei einsetzender Abenddämmerung die vielfältigen Assoziationen und intentionalen Verknüpfungen der Ausstellung Sense of Architecture. Rethinking the ‘Infinite Potentialities’ in Hommage to Luigi Nono. Nachdem Heinz Emigholz’ Filme Architektur in und aus der Steiermark maßgeblich über die sie umgebenden beziehungsweise Geräusche im Inneren der Objekte beschreiben, bietet sich der Vergleich zu den kompositorischen Verfahren von Luigi Nono (1924-1990) am Ort der Präsentation an.
Vor allem in seinen Tonbandkompositionen verwendete Nono Originaltöne, wie sie in Eisenhütten zu finden sind, respektive die Akustik auf den Plätzen und Gassen Venedigs, seiner Kirchenglocken, des Wassers. In der anliegenden Kirche Madonna dell’Orto folgte eine Aufführung von Nonos Das Atmende Klarsein (1980-83) für kleinen Chor, Bassflöte und Live-Elektronik mit Texten aus Rilkes Duineser Elegien und orphischen in einer Zusammenstellung von Massimo Cacciari. Zur Eröffnung sprachen Kulturministerin Claudia Schmied, Landeskulturreferent Kurt Flecker, Ausstellungsgestalter Alexander Kada, Kuratorin Pöchhacker und Venedigs Bürgermeister, der Philosoph Massimo Cacciari. Tintorettos „Mehransichtigkeit“ und „raumgreifendes Wahrnehmungsinstrument“. In Fortsetzung des Langzeitprojektes Architekturlaboratorium Steiermark mit Architekturdialogen in Graz (2005), Ausstellungen in Berlin (2006), Belgrad (2007) und Budapest (2007) will Sense of Architecture mit seiner Form der Präsentation steirischer Architektur über die Filme von Heinz Emigholz am „Aufbrechen tradierter Wahrnehmungsmuster“ arbeiten. Als Beitrag der Steiermark zur 11. Architekturbiennale in Venedig sind Organisatoren und Gestalter bemüht, möglichst plausible Bezugsverweise zum Umfeld der Ausstellung anzubieten. Vor Sense of Architecture folgte also eine Führung durch die Chiesa della Madonna dell’Orto, in der Tintoretto, eigentlich Jacopo Robusti (um 1518-1594), begraben liegt und die er zu Lebzeiten reich mit Werken ausgestattet hat. Auffallend die manieristische Interpretation der Zentralperspektive, die in einen Bereich der Polyfokalität (Werner Hofmann) führt, also mehrere Fluchtpunkte im selben Bild enthält, wie am Beispiel einer ikonografisch auf Venedig verweisenden riesigen Darstellung von Himmel, Erde und Hölle im Bereich des Hauptaltars zu sehen. Endlich in der Ausstellung mit den Emigholz-Filmen, mag diese zeitlich weit zurückführende Assoziation nicht ganz von der Hand zu weisen sein. Man darf sich schon an das aus der Kunstgeschichte bekannte Prinzip des Mehrfeldbildes, Polyptychon, erinnert fühlen, wenn nach Emigholz’ Methode Bild auf Bild und Schnitt an Schnitt gesetzt werden. Kamera und Objektiv werden in keiner Einstellung bewegt und man ist sofort an Fotografie erinnert. Als Film sind die Bildfolgen zu identifizieren durch immanente, minimale Bewegungen etwa von Bäumen, Sträuchern und die Tonspur mit Originalgeräuschen. Keine menschlichen Stimmen, keine Personen, kein Kommentar sind zu hören oder zu sehen. Alexander Kadas Präsentationsgestaltung besteht aus mehreren Projektionsflächen im nahezu vollkommen abgedunkelten Raum, die jeweils wieder aus transparenten, semitransparenten und opaken Flächen zusammengesetzt sind. Die darauf projizierten Bilder werden nun scheinbar über eine Achse gebrochen und führen zum Eindruck einer dreidimensionalen Form, und zwar nicht des Bildinhaltes, also des abgebildeten Objekts, sondern der Projektionsfläche. Eine jedenfalls faszinierende Raumsimulation über Flächen im Ausstellungsraum. „Wir haben ein raumgreifendes Wahrnehmungsinstrument entwickelt“, sagt dazu Charlotte Pöchhacker. Wenn Heinz Emigholz bei der Buchpräsentation Sense of Architecture monierte, dass in Ausstellungen bildender Kunst die Präsentation von Videos oft so angelegt ist, dass die konzentrierte Rezeption der einzelnen Arbeiten kaum möglich ist, wird in der Ausstellung allerdings genau dieses Problem virulent: „Im Ausstellungsenvironment entsteht akustisch ein sich überlappendes Ereignis, ein Rauschen des Alltags“, schreibt Pöchhacker in den Presseunterlagen. Entgegen der Intention Emigholz’, das einzelne Objekt über die Bilder und die damit verbundene akustische Raumerfahrung zu beschreiben, sind in der Ausstellung alle Tonspuren gleichzeitig zu hören und kaum das einzelne Objekt über die spezifischen Klänge zu identifizieren – das „Rauschen des Alltags“ wird zur babylonischen Klangkulisse vor dieser Ausstellung „als multiperspektivischer, audiovisueller Atlas“ (Artimage Contemporary informe). Der Ausstellungsraum befindet sich im Obergeschoß der Scuola dei Mercanti, ebenfalls am Campo dell’Orto gelegen. Deren Umbau 1571 wird vorsichtig mit Andrea Palladio in Verbindung gebracht, der nachweislich die Bauaufsicht übernommen hatte, den Werkbeschreibungen von Lionello Puppi (2. aktualisierte Aufl. 1999) zufolge aber nicht maßgeblich für den Entwurf war. Ein weiteres Format. Ein Präsentationskonzept von Architektur in und aus der Steiermark in mehreren „Formaten“ nennt Designer Alexander Kada Sense of Architecture. Eines dieser Formate ist ein Buch, bestehend aus nicht gebundenen „Foldern“ im Schuber, das er und Heinz Emigholz erstellten. Es enthält Fotostrecken, fotografische Essays zu den einzelnen Objekten. Für die Filmberlinale 2009 arbeitet Heinz Emigholz an einer Kinoversion von Sense of Architecture in der Länge von voraussichtlich fünfeinhalb Stunden. Sense of Architecture in der Scuola dei Mercanti am Campo Madonna dell’Orto, Cannereggio 3933 Venedig, ist bis zum 31. Oktober zu sehen; geöffnet jeweils von Dienstag bis Sonntag zwischen 12.00 und 19.00 Uhr. www.artimage.at Wenzel Mraček
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