Das nachhaltige Magazin für Graz und die Steiermark
Im frischen Wind
Dienstag, 9. September 2008
Kreative, Stadt, Entwicklung (4)

Ende August am Strand Korsikas: Eine starke Brise peitscht die Wellen, beult Sonnenschirme und bringt Sand zum Tanzen. Die Luft klar, der Himmel blau, die Sonne gelb, ein paar weiße Wolken ziehen dahin – herrlich ist es im frischen Wind.

Wie neulich eines Sommerabends im HDA. Der Neustart der Stadtplanung war ausgerufen. Trotzdem trafen die neue Stadträtin und der Baudirektor am Podium auf ein schütteres Auditorium. Kaum ein Architekt, Investor, Bauträger oder Vertreter städtischer Ämter und Gremien war da. Kein Einzelfall: Ein leer geräumtes Kunsthauscafé, weil der x-te Pächter es mit Tanzabend versucht. In der Ecke dürfen noch Gäste einsam sitzen bleiben, die weltberühmten Stadtsoziologen Richard Sennet und Saskia Sassen, die soeben vor vollem Saal brillant vorgetragen haben. Allein: Kaum ein Architekt, Investor, Bauträger oder Vertreter städtischer Ämter und Gremien hatte Zeit gefunden. Also konnte man auch mit niemandem darüber diskutieren (und getrost das Kunsthauscafé leer räumen). Nicht anders beim unabhängig organisierten und allseits gelobten Symposion www.LokalHeroes.cc. Ebenso, wenn Asset One eine Schar illustrer Stadtexperten einfliegt und deren Statements samt noblem Buffet der Öffentlichkeit präsentiert. An Berührungsängsten kann’s also nicht liegen – und dass in dieser Stadt nur Banausen und Ignoranten leben? Mitnichten. Diese Leere und Absenz sind Symptome einer tief greifenden Erscheinung: Des Fehlens eines öffentlichen Diskurses, der Voraussetzung für politische Entscheidungen im öffentlichen Interesse und deren Umsetzung wäre. Wer will sich ernsthaft einbringen, wenn die Politik jeden Tag einen neuen Wolkenturm an Versprechungen über die Stadt bläst?  Baukulturmodelle, Expertenrunden aller Art zu Bauverfahren, Bürgerbeteiligung, Pilotprojekten, Masterpläne für Altstadtzonen, Radwege, Grünzüge, Verkehrslösungen und ganze Straßen und Quadranten, die endlich neu, besser, zeitgemäß und überhaupt entwickelt, geplant, gebaut werden sollen. Immer wieder soll der Plabutsch wach geküsst werden, dem schon die grazseitige Wange wehtun muss. Alles wichtig, zweifellos – aber es passiert dann nix oder fast nix und wenn, dann das unvermeidbare Mindestmaß oder ein Zugeständnis an die geschickteste Lobby. Kurz: Jeder vorangegangene Diskurs verpufft ungehört, und weil das bereits allen Beteiligten klar ist, findet er gar nicht mehr statt. So bewegt sich Demokratie, wie schon Saint-Exupéry konstatierte, in Richtung Aufsplitterung der Autorität bis zum Äußersten und Vergeudung von Energien. Wo es um die Befreiung des Menschen geht, handelt es sich stattdessen nur um die Befreiung des Individuums. Aber das macht alles nix, Hauptsache es bläst ein frischer Wind! Der kommt aus den Politbüros, über die Winderzeuger der (Gratis)Zeitungen böig verstärkt, oder als kleines Lüfterl bei den unzähligen Veranstaltungen, Aussendungen, Danksagungen der Stadtvorderen. Dieser Wind hat den Beigeschmack seiner maschinellen Erzeugung, noch dazu auf Steuerkosten. Und schlimmer, er schadet einem Diskurs und einer darauf gestützten Macht selbst. Entwicklung und Funktionieren der Stadt treten hinter individuelle und parteipolitische Selbstdarstellung. In der selbst gemachten Brise segeln Politik und Verwaltung schneidig dahin. Bei Gegenwind oder Flaute kommen flugs ein neuer Kapitän oder neue Kadetten und verkünden lächelnd einen neuen Kurs. Manchmal gehen Matrosen freiwillig von Bord, die von diesen Binnengewässern die Nase voll haben. Der Erfolgswind bläst trotzdem, denn seit Erfindung der Medienpartnerschaft und Eigen-PR ist alles ein Erfolg. Generiert wird eine Öffentlichkeit, die mit Habermas’ Worten scheinprivat und pseudoöffentlich ist. Die Präsentation von täglich neuen Einzelereignissen suggeriert eine Nähe, die zwar illusionär ist, aber dennoch die für die Debatte nötige Distanz zur Thematik kostet. Ein reger, kritischer öffentlicher Diskurs wäre mehr als wünschenswert, auch für die Stadt und deren kreative Entwicklung. Warum so viel Angst davor? Ein echter Diskurs – wieder Habermas – ersetzt ohnehin nicht die politische Macht, kann sie nur beeinflussen, unterstützen, absichern. Aber ein Diskurs, der diesen Namen verdient, ist mehr als frischer Wind aus Windmaschinen.

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