Massimo di Angelis ist Lecturer an der School of Social Sciences, Media and Cultural Studies der University of East London, Autor zahlreicher Publikationen zu Werttheorie, Globalisierung, sozialen Bewegungen und der politischen Leseart ökonomischer Narrative. Am elevate 2008 leitete er einen Workshop mit dem Titel „The Beginning of History: Value Struggles and Global Capital“ und nahm an mehreren Diskussionen Teil.
Christian Stenner und Gregor I. Stuhlpfarrer sprachen mit Di Angelis über die globale Finanz- und Wirtschaftskrise und ihre Auswirkungen auf die „Commons“.
In einem Ihrer aktuellen Beiträge über die aktuelle Krise äußern Sie die Vermutung, dass diese dazu genützt werden wird, noch mehr Mehrwert aus den Beschäftigten herauszupressen und unsympathische Dinge wie den weltweiten Wiedereinstieg in die Atomkraft durchzusetzen. Verbirgt sich in dieser Krise aber nicht auch eine Chance auf gesellschaftliche Änderungen? Schließlich haben jetzt viele Menschen das Vertrauen in den Kapitalismus verloren … Das ist richtig. Andererseits kann – etwa durch den Sieg Barack Obamas bei den US-Präsidentschaftswahlen – das Kapital vielleicht auch das Vertrauen der Menschen zurückerobern, die Krise so für eine Neustrukturierung des Systems nützen und einen neuen Akkumulationszyklus in Gang bringen.
Glauben Sie nicht, dass die aktuelle Krise das Potenzial des Kapitalismus schwächt? Ja, aber das passiert nicht linear. Die Menschen sind zornig und haben den Glauben an das System verloren, aber wir befinden uns in einer anderen Zeit als während der Weltwirtschaftskrise in den späten 1930er Jahren. Damals gab es die Auffassung, dass eine Alternative zum System nötig sei. Heute gibt es keine echte Alternative, nicht zuletzt deshalb, weil es in den westlichen Ländern keine hegemonialen Kräfte wie damals die kommunistischen Parteien gibt, die über genügend Einfluss verfügen würden. All das haben wir heute nicht mehr, und in gewisser Weise ist das auch gut so. Aber aus diesem Grund definiert auch niemand eine eindeutige Stoßrichtung, die als Alternative verstanden werden könnte.
Sie glauben also auch nicht, dass der Keynesianismus eine späte Renaissance feiern könnte? Keynesianismus war nicht nur staatliche Steigerung der Nachfrage, er beinhaltete auch einen Deal mit der Arbeiterklasse: Zugang zu Wohlfahrtsleistungen, Vollbeschäftigung, steigende Löhne im Austausch gegen steigende Produktivität. Dieser Keynesianismus wurde auf nationaler Ebene organisiert, aufgrund des Systems der festen Wechselkurse konnte man nationale Steuer- und Sozialpolitik betreiben und so auch soziale Konflikte in den Griff bekommen. Diese Bedingungen existieren nicht mehr, daher glaube ich nicht an ein Wiederaufleben des alten Keynesianismus, sondern vielmehr an eine neue Form des New Deal mit der Arbeiterklasse. Barack Obama hätte sicherlich genug Einfluss, um einen solchen neuen New Deal durchzubringen, der sich nicht nur auf die USA beschränken würde. Wir müssen uns aber immer die Frage stellen, wer die Verlierer eines solchen Deals sind? Vor allem der amerikanische Keynesianismus schloss in der Vergangenheit viele Gruppen, wie etwa Schwarze oder Frauen, aus dem Produktionsprozess aus. Wir müssen auch bei einem neuen Deal darauf achten, wer dafür bezahlt und vor allen Dingen, welche Spaltung er in die Arbeiterschaft trägt. Der Neoliberalismus ist jedenfalls in eine Sackgasse geraten und die Kapitaleigner wissen angesichts der kombinierten Krise – Rohstoffkrise, Finanzkrise, Immobilienkrise – nicht mehr, wie sie weitermachen sollen. Das zeigt sich ja auch an den aktuellen Bankenverstaatlichungen. Auch wenn diese jetzt durchgeführt werden, um das System in seiner Gesamtheit zu retten: Könnten sie nicht das Interesse an Commons im Sinne von Gemeineigentum wieder erstarken lassen? Absolut, das spiegelt sich auch im Diskurs von Barack Obama wider, der immer nur die Gemeinsamkeiten betont und dass er Brücken zwischen den unterschiedlichen Interessen der sozialen Gruppen schlagen will; in Wirklichkeit geht es aber eben nur darum das System noch irgendwie über die Runden zu bringen.
Das Problem liegt aber wohl vor allem darin, dass niemand dieses Zurückweichen des Neoliberalismus positiv aufgreift und darüber hinausgehende Forderungen stellt. Die Verstaatlichung von Banken könnte ja z.B. in Richtung einer öffentlichen Kontrolle über das Finanzwesen weiter entwickelt werden. Da müsste man aber genauer definieren, was öffentliche Kontrolle bedeutet. Auch dazu wäre ein negatives Szenario denkbar: Banken im Gemeineigentum legen das Geld der Steuerzahler profitabel an, das würde die BürgerInnen noch stärker ins System einbinden und sie wären daran interessiert, Menschen rund um den Globus auszubeuten, weil die Wohlfahrtsausgaben der öffentlichen Hand davon abhängen. Und man könnte etwa in „Grüne Energie“ wie in Biosprit investieren, die würden dann von billigen Arbeitskräften in der Dritten Welt produziert. Es gibt jedenfalls keinen nationalen Weg aus dieser Krise; sie hat globale Auswirkungen und verlangt daher auch nach einer globalen Antwort. Man muss aber auch die Dritte Welt in der Ersten Welt sehen: Am Beispiel London zeigt sich zum Beispiel, dass die Repräsentanten der Dritten Welt – in diesem Fall sind es zumeist MigrantInnen – teilweise illegal und unter widrigsten Verhältnissen ihre Arbeit verrichten, um das tägliche Funktionieren einer
Finanzmetropole mit neun Millionen Einwohnern zu gewährleisten. Es stellt sich die Frage, wie wir produktive Beziehungen zwischen den Berufspendlern, den überlasteten Büroangestellten, den Putzfrauen, den Kindermädchen, den Bergarbeitern herstellen können, die auf ihren Gemeinsamkeiten, ihren Commons beruhen. Die Antwort auf die Krise muss im Wiederaufbau einer politischen Bewegung bestehen, mit der die bestehenden Spaltungen zwischen diesen Gruppen überwunden werden. Genau darum geht es jetzt.
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