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Mit virtuellen Netzen auf der Jagd nach Wahrheit |
Dienstag, 9. Dezember 2008 | |
Als kollaboratives Unternehmen von gleichberechtigten Usern begreift sich die Webseite von „History Commons“ zugleich als ein Experiment des engagierten BürgerInnenjournalismus. Mit seiner Hilfe soll die Öffentlichkeit so ein nützliches und vielseitig einsetzbares Werkzeug zur Kontrolle von politischen Vorgängen und den Machenschaften privater Konzerne in die Hände bekommen.
Michael Tuck, Geschichtelehrer in North Carolina und daneben Projektmanager (unter dem Pseudonym blackmax) bei den History Commons, stellte dieses Projekt bei elevate erstmals in Europa vor und sprach anschließend mit Josef Schiffer für KORSO über die Motivation und die weiteren Absichten des noch kleinen Teams von regelmäßigen Beiträgern. Inwiefern unterscheidet sich Ihr Projekt von den zahlreichen anderen Web-Communities wie truthdig.com oder des im Vorjahr bei elevate anwesenden Danny Schechter? Wir fühlen uns zuallererst den Prinzipien der Objektivität verpflichtet: Daher finden sich bei uns keine Interpretationen der wiedergegebenen Texte, und außerdem stammen diese aus einer Vielzahl verschiedenster Quellen. Dadurch werden einseitige Darstellungen vermieden, wie sie auf anderen Sites durch eine oft unentwirrbare Mischung von Informationen und persönlichen Meinungen erzeugt werden. Seit der Gründung der History Commons im Jahr 2002 sind wir nicht hierarchisch organisiert und vertrauen auf eine offene Struktur, sodass jeder Member neue Themen anlegen bzw. bestehende Artikel editieren kann. Als Kontrolle dient das Prinzip der peer-review, d.h. falsche und einseitige Informationen können dadurch relativ schnell wieder ausgemerzt werden. Die dafür notwendige Kommunikation zwischen unseren Mitgliedern, die in den unterschiedlichsten Regionen der USA bzw. in Europa, Asien etc. leben, verläuft zum überwiegenden Teil per E-Mail. Fühlen Sie dabei sich den Prinzipien strikter Wissenschaftlichkeit verpflichtet? Wir versuchen diesen Prinzipien treu zu sein, aber andererseits sind wir auch keine akademischen Forscher, sondern eine Gruppe von Amateuren, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, zuverlässige und brauchbare Quellentexte übersichtlich zu präsentieren. Die Vorgehensweise ist dabei folgende: Jede Nachforschung in einem historischen Sachgebiet wird als ein Projekt organisiert, das durch mindestens eine Zeitachse dargestellt wird. Durch die zahlreichen Verknüpfungen ist es dann leichter, sich weiter in einem bestimmten Thema voranzutasten, indem man die Namen von Personen und Medien oder Buchtitel anklickt. So kann man ein aus verschiedensten Mosaiksteinchen zusammengesetztes Bild erhalten, das neue und mitunter überraschende Einblicke gewährt. Besteht nicht die Tendenz, dass „sensationelle“ Themen wie z.B. 9/11 oder andere Terroranschläge den Blick auf größere Entwicklungen verstellen? Darüber mache ich mir eigentlich keine großen Sorgen. Wir konzentrieren uns auf die Aufarbeitung von Einzelereignissen, denn die größeren Zusammenhänge können in übergreifenden Darstellungen oder der Wikipedia gefunden werden. Unsere Stärke liegt darin, die interessantesten Dokumente zu bestimmten abgegrenzten Themen zusammenzutragen und ständig um neue Aspekte zu erweitern. Zum Beispiel könnte man so von einem Artikel in der New York Times zu einer ähnlichen Meldung im Guardian, Le Monde oder in anderen Zeitungen oder Büchern gelangen, und damit Verbindungen herstellen, die vorher nicht oder nur mit großem Aufwand zu rekonstruieren gewesen wären. Außerdem lassen sich so die Unterschiede in der Berichterstattung sehr einfach analysieren. Wie gehen Sie mit den manipulativen Tendenzen in Medienberichten und Verschwörungstheorien um? Die Medienkultur in den USA hat sich seit 2001 drastisch verschlechtert. Dafür kann ich gerne ein Beispiel geben: Vor Ausbruch des Irakkrieges hat sich die New York Times trotz ihres ehrwürdigen Rufes in extremem Ausmaß für Regierungspropaganda hergegeben. Damit hat diese angesehene Zeitung wesentlich zu einer Akzeptanz des Krieges in gemäßigten, liberalen Kreisen beigetragen. Diese Berichte können auf unserer Site mit den Aussagen anderer Quellen kontrastiert werden, was die Bewertung von manipulierenden Medien einfacher macht. Natürlich versuchen immer wieder Personen, die History Commons für ihre Verschwörungstheorien als Plattform zu missbrauchen, aber dem schieben wir schnell und entschlossen einen Riegel vor, indem wir derartige Inhalte verbannen. Wo sehen Sie die Mängel bzw. Ausbaupotenziale in Ihrem Projekt? Wir sind bis jetzt nur eine sehr kleine Gruppe: Aus diesem Grund sind die politischen Ereignisse vor 1990 nur punktuell in unseren Inhalten vertreten, andererseits besteht eine gewisse USA-Lastigkeit bei den Themen, aber auch bei der Auswahl der zitierten Quellen- und Medientexten, die fast ausschließlich englischsprachig sind. Wir versuchen laufend, neue Mitglieder in anderen Ländern zu gewinnen, um diese Schieflage auszugleichen. Ein weiteres Anliegen ist es natürlich, die Inhalte in mehr Sprachen anzubieten, derzeit arbeiten gerade zwei in den USA lebende pakistanische Studenten daran, einen Teil der Texte ins Arabische zu übertragen. Angesichts der ungeheuren Mengen von Quellen eine fast unlösbare Aufgabe, nachdem wir nicht überreichlich mit Ressourcen gesegnet sind. Daher versuchen wir derzeit mit Mini-Grants, also kleinen Geldbeträgen, Interessierte zum Mitmachen zu bewegen. Ich hoffe auch, dass mein Auftritt hier bei elevate in Graz dazu beigetragen hat, potenzielle Mitglieder zu gewinnen. Weitere Infos: www.historycommons.com
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