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Klimawandel: „Wir müssen das Hier und Jetzt in der Demokratie überwinden“
Dienstag, 9. Dezember 2008
Bei der Annäherung an das Thema „Commons“ beim diesjährigen elevate-Festival durfte der problematische Umgang der Industriegesellschaft mit der für unser Überleben essenziellen Atmosphäre des Planeten Erde nicht fehlen.

Über den menschengemachten Klimawandel und dessen Auswirkungen auf unsere Lebensbedingungen referierte Prof. Dr. Hans-Jochen Luhmann, der seit 1993 am renommierten Wuppertal-Institut für Klima, Umwelt, Energie forscht und dort seit kurzem als Projektleiter für „Grundsatzfragen“ zuständig ist. Daneben ist er als Herausgeber der Zeitschrift „Gaia – Ökologische Perspektiven für Wissenschaft und Gesellschaft“ sowie in zahlreichen wissenschaftlichen und politischen Beiräten aktiv.
Josef Schiffer sprach für KORSO mit Hans-Jochen Luhmann über seine Ansichten zu den Schwachstellen der Demokratie und dem aufgeschobenen Strukturwandel bei den Energiesystemen.

Sie haben mit Ihrer Kritik an der mangelnden Dynamik demokratischer Systeme zu entscheidenden Veränderungen sicher einen wunden Punkt getroffen?
Das ist richtig, aber die Analyse wurde vom Auditorium im Großen und Ganzen akzeptiert, dass in den letzten Jahrzehnten der zeitliche Bezug der Demokratie bzw. ihrer politischen Kräfte auf die Gegenwart massiv zugenommen hat. Das hängt wiederum mit einem seit geraumer Zeit zu konstatierenden Versagen der Medien zusammen. Anstatt für Diskussion und den qualitätvollen Austausch von Meinungen als objektives Forum zur Verfügung zu stehen, beschränkt man sich immer mehr darauf, fast ausschließlich PR-Botschaften zu transportieren.


Aber eine gewisse Kurzsichtigkeit in der Verfolgung ihrer Ziele kann man doch auch den wirtschaftlichen Akteuren zusprechen?
Das trifft insbesondere auf die großen Industriekonzerne zu, hier ist der zeitliche Planungshorizont vielfach auf wenige Quartale geschrumpft, innerhalb derer bestimmte Zielvorgaben erreicht werden müssen – die Folgen aus diesem Denken zeigt auch die gegenwärtige Krise auf. Auf der anderen Seite sind die eigentlichen „Investoren“, die ihr Geld für bestimmte langfristige Vorhaben, z.B. in der Energieerzeugung, zur Verfügung stellen, am ehesten geneigt, weiter als einige Jahre in die Zukunft zu blicken, weil sie ja an einer nachhaltigen Rentabilität ihrer Investitionen interessiert sind. Aus dieser kapitaltheoretischen Sicht ist der notwendige Paradigmenwechsel im Umgang mit unseren Ressourcen viel problemloser als in der Politik antizipierbar.


Sie haben auch kritisiert, dass die Schätzungen der Wissenschaftler bezüglich der Temperaturanstiege in den meisten Fällen zu optimistisch ausfallen. Woran liegt das?

Die Klimawissenschaften verstehen sich in erster Linie als Naturwissenschaften, und sie wollen daher nur zu denjenigen Fakten endgültige Aussagen treffen, die sie sicher wissen. Allerdings erreichen die naturwissenschaftlichen Methoden schnell ihre Grenzen. Bei einem so komplexen System wie dem der Erdatmosphäre ist das „Nachstellen“ von Klimaphänomenen mittels Experiment schlicht und einfach nicht möglich. Auch die Beobachtung von vergleichbaren Systemen scheidet aus, denn wir haben schließlich nur diesen einen Planeten.
Die möglichen Szenarien sind in den Modellen der Klimaforschung noch viel zu wenig berücksichtigt. Die meisten Schätzungen von Forschern sind aus diesem Grund zu konservativ, weil sie sich nicht dem Vorwurf der unseriösen Spekulation aussetzen wollen. Das Klimasystem wurde lange Zeit hindurch einseitig als rein physikalisches Ozean-Atmosphären-Modell betrachtet, während die Biosphäre nur am Rande in die Betrachtung einbezogen wurde. Die Klimasensitivität wird an langfristigen empirischen Erfahrungen gemessen, die von der enormen Zunahme der vom Menschen verursachten Emissionen von Treibhausgasen in den letzten Jahrzehnten ad absurdum geführt werden. Für dieses in der Erdgeschichte einmalige Phänomen gibt es keine Präzedenzfälle.

Welche Folgen sind bisher noch zu wenig bedacht worden?
Diese beziehen sich auf die „Kipppunkte“ innerhalb des Klimasystems, wenn z.B. ab einer bestimmten Temperaturerhöhung die Permafrostböden verstärkt Methan entlassen oder wenn ganze Ökosysteme, wie z.B. Regenwälder, kollabieren. Eine mögliche, noch wenig beachtete Rückkoppelung betrifft die in den Böden lebenden Mikroorganismen, die rund zwei Drittel der Biomasse des Planeten ausmachen und die bei steigenden Temperaturen ihre Energieumsätze und damit CO2-Emissionen massiv erhöhen würden.
Ab einem gewissen Punkt würde daher auch bei einer sofortigen Reduktion aller vom Menschen verursachten Emissionen eine unheilvolle Entwicklung ihren Verlauf nehmen. Aus diesem Grund ist es notwendig, an dem Ziel von einer maximalen Erhöhung der Durchschnittstemperatur um zwei Grad Celsius festzuhalten; das entspricht einem CO2-Äquivalent von 450 ppmv (Teile per Million) in der Atmosphäre – heute liegen wir bei rund 385 ppmv, das gibt uns noch ein, zwei Jahrzehnte Handlungsspielraum.

Wie muss die Politik insbesondere der Industrieländer auf diese Erkenntnisse reagieren?
Man hat sehr wohl schon in den Achtzigerjahren eingesehen, dass Maßnahmen ergriffen werden müssen, sonst wäre es wohl nicht zum Beschluss der Kyoto-Ziele gekommen, auch wenn sich nicht alle Staaten der Ratifizierung angeschlossen haben. Unter dem Präsidenten George Bush jr. haben sich die USA verstärkt den notwendigen Konsequenzen aus den damals wissenschaftlich eindeutig belegten Erkenntnissen verschlossen. Auch in den Medien hat zu dieser Zeit ein massiver Klimawandelskeptizismus um sich gegriffen, der sich auf die Aufgeschlossenheit der Bevölkerung gegenüber dem Wandel unseres Lebensstils abträglich ausgewirkt hat. Erst die jüngsten IPCC-Berichte scheinen die breite Öffentlichkeit doch etwas aufgerüttelt zu haben. Jetzt ist es allerhöchste Zeit zu handeln: Notwendig wäre eine Reduktion der CO2-Emissionen um mindestens minus 60 Prozent bis 2050 relativ zu 1990 bzw. minus 70 relativ zu 2010 – die jüngsten Bali-Beschlüsse haben sich nur auf etwa die Hälfte dieser Werte festgelegt, während Obama für die USA minus 80 Prozent bis 2050 erreichen will.

Was bedeutet das für den technologischen Wandel bei der Energieversorgung?
Die fossilen Treibstoffe führen nicht nur wegen der CO2-Emissionen in eine Sackgasse, sondern weil sie die Abhängigkeit Europas gegenüber politisch unsicheren Regionen erhöhen. Als Übergang werden verschiedene Lösungen parallel zum Einsatz kommen müssen, etwa Carbon Storage bei Kohlekraftwerken, mehr Wind- und Wasserkraft usw.
Ich schöpfe meine Hoffnung daraus, dass die Lernkurve auf technischem Gebiet erstaunlich hoch ist. Vor allem auf dem Gebiet der Photovoltaik sind exorbitante Fortschritte zu erwarten. Die große Chance für Europa liegt darin, auf diesem Gebiet die Technologieführerschaft zu behalten und so auch wirtschaftlich und arbeitsplatztechnisch von der Energiewende zu profitieren. Es ist eine durchaus realistische Perspektive, dass in wenigen Jahrzehnten ein Teil des europäischen Strombedarfes in den Mittelmeerstaaten bzw. in Nordafrika erzeugt wird.

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