Das nachhaltige Magazin für Graz und die Steiermark
Jahrgangsprobleme am Sonntag, den 18.11.2008
Dienstag, 9. Dezember 2008
Der Anlass waren die „Achterjahre“, also 1848, 1918, 1938, 1968, das Ergebnis ein Symposium zu drei komplexen Themen nebst dazugehörigen Fragen: Eins – Verabschieden und Erinnern (Was müssen wir verabschieden?). Zwei – Zorn, Begehren und Mitleid („Wem sollen wir zürnen?“) Drei – Wie Widerstehen? – Widerstandsformen in der Gegenwart („Wie sollen wir widerstehen?“).  Got it? Der üppigen Fragestellung entspricht das konzeptuell-organisatorische Großaufgebot; Heimo Steps als Ideengeber, das Land Steiermark, die Akademie Graz und die Minoriten als Organisatoren. Entsprechend hochkarätig und kompetent war die Gästeliste. Mit Terry Eagleton kam ein Weltstar der marxistischen Literatur- oder Ideologietheorie, mit Urs Jaeggi ein sehr lebendiges Monument der 68er, der marxistische Philosoph Karl Reitter ist origineller Herausgeber der „grundrisse. Zeitschrift für linke theoprie und debatte“ und Isolde Charim eine der profilierteren Erscheinungen im deutschsprachigen Feuilleton (taz, Standard). Auffallend dabei, dass die eingeladenen Gäste und Diskussionsleiter eine lückenlos-linke Phalanx im jedenfalls architektonisch konservativen, großen Saal der Minoriten bildeten. Der Salonmarxist Eagleton fühlte sich auch gleich als Entertainer und fragte, ob er mit seinem Mikro von Tisch zu Tisch gehen sollte.

Gnadenlos zu viel … und zu wenig. Nachdem Landtagsabgeordnete Dr.in Ilse Reinprecht in Vertretung von LHStv. Dr. Kurt Flecker die großen, Identität stiftenden  Menschheitserzählungen beschworen hatte, hinterfragte Albert Müller in seinem Einleitungsreferat die Veranstaltung, als deren Diskussionsleiter er fungierte. In seinem auf den 1933 ermordeten Theodor Lessing rekurrierenden Einleitungsreferat stellte er eine Ideologiekritik historischer Erzählformeln wie die historische Zyklen oder die besondere Deutung bestimmter Jahre (8er, 5er oder Milleniumsjahre) zur Disposition. Isolde Charim bot, durchaus im Gegensatz zu Reinprecht,  Geschichtskonstruktionen unter dem Zeichen Jupiters bzw. Anti-Jupiters an:  erstere konstruieren nationale Mythen auf Basis der Einheitlichkeit. Letztere gehen von verschiedenen Identiäten aus, die zu einem Mythos der Uneinheitlichkeit, womöglich zur Zersplitterung führen, mit dem man sich in Zukunft verstärkt auseinander zu setzen habe.
Der Beitrag von Urs Jaeggi bestand aus tagebuchartigen Notizen zu laufenden Ereignissen.
Enttäuscht zeigte er sich vor allem wegen der Abschaffung der paritätischen Mitbestimmung, an den Universitäten, vorsichtig befriedigt über den dem Erfolg der Frauenbewegung.

Obama zu wenig radikal? Terry Eagleton schließlich referierte über Wesen und Herkunft der ihm zugeordneten Begriffe „Zorn, Begehren, Mitleid“ auf brilliante, ironische und paradoxe Weise. Originell auch seine Einschätzung, dass Barak Obama zu wenig radikal sei.
Etwas weniger unterhaltend gab sich Karl Reitter, der den Begriff des Mitleids bei Spinoza in Analogie (oder gar Homologie) zu Marx herauspräparierte. Zu diesen teils auf Englisch gehaltenen Vorträgen gab es zur Entspannung „Literarische Interventionen“: Also noch mehr einschlägiges, allerdings eher lebensweltlich geprägtes Wortmaterial bzw. rhythmisch getönte Gebrauchslyrik. Die zum Teil hoch dekorierten Slampoeten Markus Köhle, Nora Gomringer und Mieze Medusa verlängerten den Nachmittag mit ihrer jugendlichen Performance entscheidend, konnten die Krise der Sozialdemokratie aber auch nicht lösen. Eine theoretisch interessante Veranstaltung, aber gnadenlos zu viel und gleichzeitig zu wenig … worum ist es gleich gegangen?

Willi Hengstler
» Keine Kommentare
Es gibt bisher noch keine Kommentare.
» Kommentar schreiben
Nur registrierte Benutzer können Kommentare schreiben.
Bitte melden Sie sich an oder registrieren Sie sich.
 
< zurück   weiter >