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„Kultur, die nicht mehr nationalkulturell gedacht werden muss“
Dienstag, 9. Dezember 2008
„Antirassistische Utopie und Paxis“ stand im Mittelpunkt der abschließenden Veranstaltung einer Diskussionsreihe, die von mehreren Grazer Initiativen organisiert wurde1. Mit einem der Teilnehmer, dem in Berlin lebenden Politologen Kien Nghi Ha, sprach Laila Huber für KORSO über strukturellen Rassismus und Gegenstrategien. In der Podiumsdiskussion haben Sie „Integration“ als die „Utopie des Mainstreams“ definiert. Wie kann diese Mainstream-Utopie mit anderen Bildern durchkreuzt werden? Wie können Gegenbilder für transkulturelles Denken und Handeln von der Peripherie in den Mainstream gerückt werden?
Ich denke, dass man diese Fragestellung von zwei Perspektiven aus betrachten kann. Die eine Perspektive liefe darauf hinaus, die Mehrheitsgesellschaft mit ihrer Dominanzkultur zu hinterfragen. Das heißt, wie wird zum Beispiel in Deutschland oder Österreich nationale Identität, nationale Kultur, nationale Literatur, überhaupt jede Form von nationaler Repräsentation gedacht? Welche Effekte hat das auf Menschen, die einwandern? Werden sie durch diese nationalen Symboliken, durch nationale Diskurse ausgegrenzt? – Das ist ein Teil der Problemstellung. Ein anderer Teil ist natürlich auch die Frage, ob es überhaupt möglich ist, von solchen nationalen Symboliken auszugehen, von nationaler Repräsentation. Ist es überhaupt möglich von nationaler Identität zu reden? Die Bildung des Nationalstaates war eigentlich ein Willensakt, der von einer politischen Bewegung des Bürgertums ausging, ein Projekt der Elite. Auf dies hinzuweisen ist, glaube ich, insoweit wichtig, als dadurch Alternativen jenseits des Nationalstaates denkbar werden.
Die andere Perspektive ist jene auf marginalisierte Gruppen in solchen dominanzgesellschaftlichen Verhältnissen. Man muss auf die gegenseitige Konstituierung aufmerksam machen, das heißt, erst wenn sich eine Mehrheitsgesellschaft konstituiert, schafft sie auch ihre Minderheit. Auf diese Wechselwirkung und auf ihre gegenseitige Abhängigkeit hinzuweisen, deutet dann auch schon dieses transkulturelle Moment an, nämlich, dass zwischen beiden Gruppen Austauschverhältnisse stattfinden müssen, weil sie ja nicht von einander getrennt sind, schon gar nicht wenn sie innerhalb einer Gesellschaft in irgend einer Weise zusammen existieren und zusammen leben und dadurch eine Lebenswelt erschaffen, die eben nicht mehr monokulturell definiert werden kann. Wenn man das durchdenkt und anerkennt, wird eine ganz andere Vorstellung von Kultur denkbar, die nicht mehr nationalkulturell gedacht werden muss, sondern als eine offene Form, als Kultur, die durch soziale Interaktion entsteht, Kultur, die durch Alltag, durch gemeinsame Symbolik, durch gemeinsame soziale Praktiken geschaffen wird. Freundschaften machen ja auch nicht zwangsläufig an der Frage der Nationalität halt, sondern gehen darüber hinweg, und das ist nur ein Beispiel dafür – für transkulturelle Momente im Alltag, die die nationalstaatlichen Grenzen überschreiten und damit auch eine neue Form von Vergesellschaftung und Gemeinschaftsbildung ermöglichen.

Welche Strategien sind neben der Bewusstmachung transkultureller Momente im Alltag notwendig, um vom strukturellen Rassismus zu einem strukturellen Antirassismus zu gelangen? Kann beispielsweise ziviler Ungehorsam als ein Weg verstanden werden, um strukturellen Rassismus nicht zu reproduzieren?
Natürlich würde ich behaupten, dass gesellschaftlicher, ziviler Ungehorsam nicht unbedingt der schlechteste Weg ist, um politischen Dissens mit dominanten, hegemonialen Normen und Zumutungen anzuzeigen. Weil er eine politische Ausdrucksform ist, die kollektiv erfolgen kann, die aber auch individuell erfolgen kann. Und Öffentlichkeit schafft und vor allem auch versucht diese Loyalität, diese Solidarität mit der Mehrheitsgesellschaft, der Dominanzgesellschaft aufzukündigen, indem man sagt: „Ich bin damit nicht einverstanden, ich mache da nicht länger mit.“ Und das finde ich, ist auf jeden Fall ein gangbarer Weg.
Ein anderer Weg sich mit strukturellem Rassismus auseinander zu setzen, was teilweise ja gemacht wird, ist sich mit dem eigenen Rassismus auseinander zu setzen. Zum Beispiel in der Form, dass man sich mit eigenen Privilegien auseinander setzt. Eigene Privilegien bestehen zum Beispiel darin, dass allein über die gesellschaftliche Zuschreibung, dass man weiß ist, damit gleichzeitig eine gesellschaftliche Zugehörigkeit verbunden ist, die nicht immer hinterfragt wird – weil in einer rassistischen Gesellschaft Aussehen, körperliche Merkmale als ein Erkennungsmerkmal von gesellschaftlicher Zugehörigkeit angesehen werden. Es gibt eine Forschungsrichtung, die sich „Critical Whiteness Studies“ nennt, wo es um die Frage geht, inwieweit westliche Gesellschaften durch die Konstruktion von schwarzen Menschen, von außereuropäischen Menschen ihr eigenes Weißsein dadurch sozusagen mitkonstruieren. Und inwieweit dieses Weißsein wiederum gesellschaftliche Privilegien ermöglicht. Darüber hinaus ist es natürlich auch wichtig sich zu überlegen, inwieweit diese Whiteness-Konstruktion in die Kultur einer Gesellschaft eingeschrieben ist. Ich bin jemand, der sich als „People of Color“ definiert, weil ich die Erfahrung gemacht habe, dass es in Deutschland eine nicht anerkannte, nicht wahrgenommene weiße Kultur gibt. Eine weiße, dominante Kultur, die mit einer Kolonialgeschichte und Kolonialkultur verbunden ist, die rassistische Ideologien produziert hat und die auf Grund dieser Kontexte extrem ausgrenzend ist.

Die Selbstbezeichnung „People of Color“ konstruiert eine Kollektivität – wer zählt dazu? In dem 2007 von Ihnen mit herausgegebenen Buch „re/visionen. Postkoloniale Perspektiven von People of Color auf Rassismus, Kulturpolitik und Widerstand in Deutschland“ wird dieser Begriff zentral positioniert – könnten Sie darauf etwas genauer eingehen?
„People of Color“ ist eine kollektive Bezeichnung, die davon ausgeht, dass Menschen, die rassistisch diskriminiert werden, über Gemeinsamkeiten verfügen – zum Beispiel die Gemeinsamkeit, dass sie sich hier mit rassistischen Zuschreibungen auseinander setzen müssen, dass sie in unterschiedlichen Formen Diskriminierung erfahren haben. Das ist die Ausgangsgrundlage, um vor dem Hintergrund der Anerkennung von Gemeinsamkeiten auch gemeinsame Antworten auf gemeinsame Probleme zu finden. Wir haben uns auch dazu entschieden, diesen Begriff nicht ins Deutsche zu übersetzen, weil der dafür in Frage kommende Begriff des „Farbigen“ absolut kolonial besetzt ist, wie das britische „Colored“, das auch eine eindeutige rassistische und koloniale Konnotation hat. Im Gegensatz dazu hat der „People of Color“-Begriff in den 1960er Jahren – das heißt in den Jahren, in denen die politischen Kämpfe um gleiche Rechte, um eine antirassistische Politik, in den USA, aber auch in Großbritannien sehr stark verbreitet waren – eine Umdeutung erfahren. Obwohl er  historisch gesehen im 19. Jahrhundert entstanden ist und auch einen kolonialen Kontext hatte und teilweise mit negativen Zuschreibungen behaftet war, wurde er durch die selbstbestimmte Aneignung und Umdeutung zu einer Kategorie des Widerstands, mit der wir politisch weiterarbeiten können. Aufgrund dieser politischen Geschichte und auf Grund dessen, dass der „People of Color“-Begriff in den USA Allianzen zwischen unterschiedlichen rassistisch diskriminierten Communities ermöglicht, stellt er aus meiner Sicht eine produktive Möglichkeit dar, um in einen Diskurs über gemeinsame Kämpfe zu gelangen und grenzüberschreitende Solidarisierungsprozesse zu initiieren.

1 Die dritte und abschließende Podiumsdiskussion „Antirassistische Utopie und Praxis“ des Diskursprogrammes von „Wie Du Mir. Gegenbilder für transkulturelles Denken und Handeln“ (ein Kooperationsprojekt von < rotor >, Minoriten-Galerien, KHG, Afro-Asiatisches Institut, Chiala Afriqas, ISOP und Megaphon) fand am 3. November 2008 bei ISOP statt und wurde von den in Berlin lebenden Politologen Kien Nghi Ha und Manuela Bojadžijev sowie der Grazer Historikerin und Aktivistin Ines Aftenberger bestritten, es moderierte der Grazer Radioaktivist Leo Kühberger.
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