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Die Moderne kritisch betrachten
Dienstag, 9. Dezember 2008
Peter Weibel, gebürtig in Odessa, ehemals Wiener Aktionist, Mathematiker und Logiker, Musiker („Hotel Morphila Orchestra“), international renommierter Medienkünstler und -theoretiker, Vorstand des Instituts für Kunst und Medientechnologie in Karlsruhe und Chefkurator der Grazer Neuen Galerie, fordert eine neue Aufklärung, die sich von der Moderne distanzieren soll. Mit Prof. Weibel sprach Christian Stenner.

Sie haben in Ihrer Einleitung beklagt, dass Intelligenz und Kompetenz immer stärker in den Hintergrund gedrängt werden – stimmt das überhaupt? Ist es nicht eher so, dass sich Mainstream-WissenschafterInnen sehr wohl permanent zu Wort melden und nur die systemkritische Intelligenz ein Schattendasein fristet?
Ja, ich habe ohnehin versucht, das im Untertitel des Symposiums anzudeuten. Ich wollte nur nicht allzu plakativ den Begriff „kritische Intelligenz“ oder „kritische Theorie“ in den Vordergrund stellen, weil damit sofort die Frankfurter Schule assoziiert wird – und die hat ja ein Theoriegebäude vertreten, das sich gesellschaftlich nicht bewährt hat.

Inwiefern hat sich die Frankfurter Schule nicht bewährt? Meinen Sie, dass sie zu wenig ins praktische politische Handeln hineingewirkt hat – mit Ausnahme in jenes der 68er-Bewegung?
Das auch, aber ich mache mein Urteil an zwei zentralen Defiziten fest: Die kritische Theorie war selbst ein Reflex auf den Faschismus und hat in der Faschismusanalyse Fehler gemacht und hat dann in einer Reflexreaktion diese Defizite zur eigenen Theorie gemacht. Sie hat erkannt, dass der Faschismus technologische Aspekte besaß, in einem Fehlschluss war damit für sie jede Technologie faschismusverdächtig. Sie waren im Grunde technikfeindlich. Damit haben sie den demokratischen Aspekt von Technik, wie er etwa in der französischen Aufklärung eine zentrale Rolle gespielt hat, ignoriert. Der zweite Fehler war, das sie sich über die positivistische Philosophie und Soziologie lustig gemacht haben, obwohl deren VertreterInnen genau wie sie zur Emigration gezwungen worden waren – z.B. Wittgenstein und die VertreterInnen der analytischen Schulen der Philosophie …

… die sie als gesellschaftsaffirmierend begriffen.
Genau. Das waren die zwei zentralen Fehler der Frankfurter Schule.

Worauf könnte sich denn heute Ihrer Meinung nach eine neu zu begründende kritische Theorie stützen und berufen?
Sie müsste sich im Grunde extrem kritisch zu dem verhalten, was das Rückgrat der Theorie Adornos war – nämlich die Moderne selbst. Das ist schwierig, weil etwa die moderne Kunst unter einem Schutzschild steht: Weil der Faschismus die moderne Kunst als entartet angegriffen hat, ist sie sakrosankt und man darf nicht analytisch darüber nachdenken. Jeder, der sich nicht zustimmend äußert –und das haben französische Philosophen wie Virilio und Baudrillard getan – sind sofort als Reaktionäre denunziert worden.
In Wirklichkeit sind moderne Kunst und totalitäre Gesellschaften keineswegs getrennte Systeme …

… wie sich etwa am Futurismus zeigt.
Oder auch am Surrealismus; Dalí war ja ein Bewunderer Hitlers und Francos, während die anderen Surrealisten eher kommunistisch eingestellt waren. Aber die faschistische Denkweise lag in der surrealistischen Methode und ihrem Irrationalismus selbst begründet.

Man muss jedenfalls die Moderne selbst kritisch betrachten, das wird ein schmerzlicher Prozess sein. Es gibt da so auffallende Widersprüche: Wenn jemand sagt, Kunst ist Scheiße, und das wird zum Maßstab für gute Kunst, dann muss man sagen: Der antikünstlerische Impuls kann nicht selbst zum Maßstab für gute Kunst werden. Solche Fehlentwicklungen muss man sich vornehmen.


Jetzt wird der Vorwurf laut werden, Sie wollen hinter die Aufklärung zurück.
Nein, nein, ganz im Gegenteil. Die Instrumente der Aufklärung, die Karikatur, die Ironie, der Spott fehlen uns bitter, Werke, die dem Candide oder den satirischen Büchern von Diderot entsprechen. Das ist jetzt verboten: Wenn jemand einen spöttischen oder lustigen Roman schreibt, gilt er als veraltet. Man muss die Instrumente der Aufklärung verwenden und sie anwenden – auch gegen die Moderne, auch gegen uns selbst.

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