Karl Wimmler: Meine heimatliche Fremde Wer in den letzten eineinhalb Jahrzehnten in Österreich von Bosnien sprach, redete in neun von zehn Fällen über Sarajevo. Bei Sarajevo kennen sich alle aus, da haben schließlich in den 90-er Jahren Legionen von Journalisten fast täglich die Schrecken des Krieges aus dem Holiday-Inn-Hotel Sarajevos in die hiesigen Wohnzimmer gebracht. Dabei machte schon 1993 der Koordinator des UN-Flüchtlingshilfswerks, Jerry Hulme, darauf aufmerksam; „Mostar ist schlimmer als Sarajevo!“ Dort schossen damals gerade die bosnischen Kroaten den muslimischen Ostteil der Stadt in Grund und Boden.
Schul-Apartheid. Mostar ist aber bis heute viel weniger interessant für hiesige Balkan-Polittouristen. Der Grund liegt auf der Hand: In Sarajevo waren/sind die orthodoxen Serben „die Bösen“, da funktioniert der hiesige antiserbische Reflex. Demgegenüber besteht in Mostar erheblicher Erklärungsbedarf. Und heute vielleicht noch mehr als noch während der kriegerischen Auseinandersetzungen. Nähert man sich zum Beispiel von der kroatischen Adria aus Südwesten kommend der Stadt, durchfährt man auch im kleinsten bosnischen Dorf riesige quer über die Straße gespannte kroatische Fahnen. Blickt man wie ich von Sarajevo kommend erstmals von Nordosten auf die Stadt, sticht einem schon von weitem ein riesiges Kreuz auf dem der Stadt gegenüberliegenden Berg ins Auge. Genau von jenem hügeligen Gebirgszug aus war von den Kroaten der muslimische Stadtteil im Bürgerkrieg beschossen worden. Ljubica, eine junge, aufgeschlossene kroatisch-katholische Lehrerin, erklärt in einem Ton des Bedauerns: „Das Kreuz wurde im Jahr 2000 errichtet, im ‚Heiligen Jahr’. Warum es 33 Meter hoch ist? – Weil Jesus 33 Jahre alt wurde.“ Und es wurde just so errichtet, dass es in der Stadt selbst nur vom muslimischen Ostteil der Stadt sichtbar ist, als Kreuz des Triumphes über die Moslems. Ljubica ist zwar Kroatin, aber voller Sarkasmus gegenüber den kriegerischen Kreuzzüglern ihrer Volksgruppe. Allerdings ein seltenes Exemplar ihrer Art. Eine andere katholische Lehrerin der Stadt war problemlos in der Lage, ausländischen Fernsehteams gegenüber „schlüssig“ zu begründen, warum muslimische und katholische Schüler unterschiedliche Ein- und Ausgänge derselben Schule verwenden müssen. Wenn es denn unbedingt eine (einzige) gemeinsame Schule geben müsse. (Die zweite nicht konfessionelle Schule ist eine internationale, alle anderen gehorchen strikt dem religiös-nationalistischen Apartheidprinzip.) So ist es dann auch nicht verwunderlich, wenn man hört, dass der Kirchturm der Franziskanerkirche nach dem Krieg aufgestockt wurde. Damit er höher ist als das Minarett der Moschee.
Machos auf allen Seiten. Es stimmt: Mostar war schlimmer als Sarajevo. Aber nicht nur die Zerstörungen waren gründlicher. Auch die Feindseligkeiten heute scheinen unversöhnlicher und tiefer. Eines allerdings blieb: „Ist das Geschlechterverhältnis im katholischen Teil der Stadt anders als im moslemischen?“, wird Ljubica gefragt. - „Nein, es ist überall dasselbe. Machos halt. – Und übrigens“, fügt sie hinzu, „Sie werden vergeblich Kellnerinnen in irgendeinem Lokal suchen. Es gibt keine. Die verfügbaren Arbeitsplätze werden mit Männern besetzt.“ Sie sagt nicht dazu: vergeben nicht selten durch Beziehungen unter Kriegern. (Darin unterscheiden sich übrigens vergleichbare serbische Städte von Mostar kaum.) Auf der kleinen „Krummen Brücke“ Mostars (nicht der berühmten großen, von den Kroaten im Krieg zerstörten und mit viel EU-Tamtam vor einigen Jahren wieder errichteten) erzählt sie: „Hier hat man sich früher verlobt oder am Hochzeitstag fotografiert“ – „Heute nicht mehr?“, frage ich. – „Nein, heute verliebt und verlobt man sich nicht mehr. Heute….fast hätte ich was Böses gesagt….. heute gibt’s nur noch: schwanger werden.“ Und die Wahlen seien eine Farce. Bei jeder Wahl bisher habe es Manipulationen gegeben. Die letzte sei die erste gewesen, wo nicht Tote als Wähler entdeckt wurden. Und Nichtwähler würden fast prinzipiell als Wähler den jeweiligen Volksgruppen zugeordnet.
Eine Landschaft der Ruinen. Die bekannteste Fußballmannschaft der Stadt heißt Vele˛ Mostar, seit 1953 ununterbrochen in der ersten Liga Jugoslawiens, ein gemischt muslimisch-kroatischer Klub. Nach dem Krieg musste Vele˛ zunächst in unteren Ligen spielen. Wikipedia: „Das schlimmste für die Fans, Spieler und Funktionäre war aber, dass sie nicht mehr auf ihrem Stadion „Bijeli Brijeg“ auf der Westseite der Stadt (katholisch/kroatisch laut Kriegsergebnis, K.W.) spielen durften, weil der Kroatische Sportklub Zrinjski das Stadion seit dem Krieg für sich beansprucht.“ (Zuvor war dieser entweder wegen Nationalismus verboten oder spielte in unteren Ligen.) Trotz Aufstiegs 2006 in die erste Liga musste Vele˛ bis dato ein kleines Vorortstadion bespielen. – Soweit zur angeblichen Nachkriegsidylle. In dem Ende August dieses Jahres im Rahmen der Reihe „Balkanexpress“ im ORF ausgestrahlten Bosnienfilm kam, wie zu befürchten war, Mostar nicht vor. Nicht nur das. Es wurde darin über Bosnien-Herzegowina glauben gemacht: „Flüchtlinge, die gewaltsam vertrieben wurden, konnten zurückkehren. Während des Krieges weggenommene Besitzungen wurden zu fast 100 Prozent zurückgegeben.“. – Ein Hohn! Ich empfehle eine Fahrt beispielsweise von Tuzla nach Bijeljina im Nordosten des Landes. Eine Landschaft der Ruinen. Einfamilienhausreste in grüner Hügellandschaft, hin und wieder intakte oder reparierte Häuser. Grauenhaft! Von wegen „zurückgegeben“! Die Ruinen von wem an wen?
Nation und Religion statt Befreiung. Ljubica zeigt der Ausländergruppe ein Juwel – das zur Müllhalde verkommen ist. Teilweise von Pflanzen umwuchert wie eine aufgegebene Urwaldsiedlung. Das große Denkmal aus den 60-er Jahren des heute in Wien gestrandeten Bogdan Bogdanovic im heute kroatischen Westteil der Stadt. Titel: „Das Leben ist stärker als der Tod“. Ein zentrales Befreiungsdenkmal Jugoslawiens. Begehbare 300 Meter lang, Höhenunterschied 30 Meter. Seinerzeit von Wasser umspült. Für Polemiker sei gesagt: Ohne einen einzigen Roten Stern. Ohne Hammer und Sichel. Ohne jedes kriegerische Symbol. – Wurscht. Es lebe die Nation! Und die Religion! Dafür wird 200 Meter weiter ein „Erholungspark“ eingeweiht, mit einem Schild, das die Mitnahme von Schusswaffen verbietet.
Hetzblätter in österreichischem Besitz. In meinem Oktoberbeitrag habe ich auf die Annexion Bosnien-Herzegowinas durch Österreich-Ungarn vor hundert Jahren aufmerksam gemacht. Darauf möchte ich hier nochmals zurückkommen (und untenstehend auch die vor einem Monat versehentlich fehlenden Buchempfehlungen nachliefern): „Meine Völker sind eines dem anderen fremd – um so besser. Ich schicke Ungarn nach Italien und Italiener nach Ungarn. Aus ihrer Antipathie ersteht die Ordnung und aus ihrem wechselseitigen Hass der Friede.“ So lautete ein einschlägiger Satz von Franz I., Kaiser von Österreich – Soweit ich weiß, steht dieses Zitat in keinem österreichischen Geschichte-Schulbuch. Dieser Kaiser war, so kann man bei dem noch immer unterschätzten Schriftsteller und Politiker Ernst Fischer schon seit mehr als 60 Jahren nachlesen, „gemeinsam mit seinem Minister Metternich der Verderber Österreichs.(…) Er fand ein neues Mittel gegen die Völker – die elende Kunst, sie gegeneinander auszuspielen.(…) Die Habsburger haben niemals auf den Grundsatz verzichtet, der Kampf der Nationen sei die beste Stütze der Dynastie, die nationale Verständigung ihre schlimmste Bedrohung. Auch Franz Josef hat unbelehrbar an diesem Grundsatz festgehalten. Sein Lieblingsminister Taaffe pflegte zu sagen: ‚Man muss alle Nationalitäten in gleichmäßiger, wohltemperierter Unzufriedenheit erhalten.’“ – Sicherlich können nicht alle Ursachen für Gegenwärtiges in der Vergangenheit gefunden werden. Aber in ihrem Licht fällt die Frivolität besonders ins Gewicht, mit der hierzulande das Unglück der jugoslawischen Völker weithin kommentiert wurde. Mit manchen Kommandierungsversuchen „kriegsgeiler Kiebitze“. Und die Hetze geht weiter. „Im sogenannten freien Markt, der komplett in der Hand der Europapress Holding und der Styria Medien AG ist“, schrieb die in Wien lebende kroatische Schriftstellerin Slavenka Drakulic kürzlich über die Medienlandschaft in ihrer Heimat, „sind Zeitungen zur Verpackung für Werbung geworden“. Und wie wird Werbung verkauft? – Mit Hetze, bestätigte im Mai dieses Jahres der ehemalige „Hohe Repräsentant“ Bosniens Wolfgang Petritsch: „In Kroatien befinden sich nationalistische … Hetzblätter in österreichischem Besitz, was ein unglaublicher Skandal ist, bei uns aber kaum jemanden interessiert.“ Im August dieses Jahres konnte ich an einem Informationsabend im Zentrum für kulturelle Dekontamination in Belgrad teilnehmen. Dabei erklärte der serbische Vreme-Journalist Milos Vasic auf die Frage nach der Rolle ausländischer Mächte beim Zerfall Jugoslawiens: „Das ist jetzt nicht unser Problem. Wir haben genug mit uns selbst zu tun.“ In diesem Sinne halte auch ich es gerne mit Brecht: „Mögen andere von ihrer Schande sprechen, ich spreche von der meinen.“ Zerstört Das Dreiköpfige Monster!
Aus dem Song der bosnisch-herzegowinischen Rockband Dubioza Kolektiv (...)Destroy the triple head monster Save ourselves from disaster Now we need revolution We’ll take no fake solution
Rise Bosnians, rise
Politically right Socially down Stand up fight Coz’ everything’s down They still bite You make no sound Don’t be quiet Just get loud When the force comes (...) Each one of us must fight for our right Must fight the dark so you can see the light Now we even can’t see it at the end of a tunnel One foot in a grave and the other to follow Is this land of the freedom Or the land of the terror Can’t trick your people forever
(...) You have no no place for fear Your chance is your future Your friends and your culture Your life is like the air And the air is all arand ya’
Destroy the triple head monster Save ourselves from disaster Now we need revolution We’ll take no fake solution
(“Dreiköpfiges Monster”- gemeint sind die auf allen Verwaltungsebenen gemäß Dayton-Vertrag vorgeschriebenen Proporzbesetzungen der „drei Entitäten“)
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