Am 5. November 1978 wurden die ÖsterreicherInnen in der ersten Volksabstimmung der Zweiten Republik gefragt, ob „der Gesetzesbeschluss des Nationalrats vom 7. Juli 1978 über die friedliche Nutzung der Kernenergie in Österreich (Inbetriebnahme des Kernkraftwerkes Zwentendorf) Gesetzeskraft erlangen“ sollte.
Als um 17.00 Uhr die erste Hochrechnung eintraf, war die Überraschung perfekt. Die Gegner der Atomenergie hatten einen knappen Vorsprung, der letztlich nach dem Vorliegen des amtlichen Endergebnisses 29.469 Stimmen betragen sollte und dazu führte, dass das Kernkraftwerk im niederösterreichischen Zwentendorf nicht in Betrieb genommen wurde.
Rückblick. Nachdem die österreichische Bundesregierung Ende der 1960er Jahre ein Bekenntnis zur Atomenergie abgelegt hatte und Zwentendorf als Standort des ersten AKW auserkoren worden war, begann sich zaghaft erster Widerstand zu regen. Einige Wissenschaftler brachten ihre Argumente gegen das Kraftwerk beim Bundeskanzler und beim niederösterreichischen Landeshauptmann vor, die niederösterreichische Ärztekammer beschloss ein Memorandum gegen Atomkraftwerke in Österreich und Vertreter des Naturschutzbundes wiesen auf die Gefahren hin. Diesen vielfach als „Spinner“ bezeichneten Gegnern entgegnete beispielsweise die damalige Gesundheitsministerin Dr. Ingrid Leodolter, die auch für die Genehmigung von Zwentendorf zuständig war: „Bei Radioaktivität ist es wie bei den meisten Genussmitteln – dosiert eingenommen ist sie völlig unschädlich.“ Dass dies keine einmalige Aussage einer Regierungsvertreterin in Sachen AKW war, zeigen auch die Äußerungen des burgenländischen Landeshauptmanns Theodor Kery, der seinen Hausgarten als Atommülllager anbot, und des Bundeskanzlers Bruno Kreisky, der den besorgten „Müttern gegen Atomkraftwerke“ entgegnete: „Redens nicht so dumm daher. Das Leben ist gefährlich.“
Als die schweizerische Regierung direkt an der österreichischen Grenze in Rüthi, rund fünf Kilometer von Feldkirch entfernt, ein Kernkraftwerk bauen wollte und die österreichische Regierung im oberösterreichischen St. Pantaleon ein zweites österreichischen Kernkraftwerk plante, formierten sich an mehreren Orten die Anti-AKW-Gegner, die sich im Mai 1976 zu einer gesamtösterreichischen Bewegung – der Initiative Österreichischer Atomkraftwerksgegner (IÖAG) zusammenschloss. In ihr waren Mitglieder der Naturschutzbewegung ebenso vertreten wie Mitglieder des Kommunistischen Bundes (Maoisten), Gewerkschafter ebenso wie Katholiken. Gemeinsam mit Wissenschaftlern gelang es ihnen in der Folge, die von der Regierung initiierte Informationskampagne zum Thema Kernenergie „umzudrehen“ und neue Gegner der Kernenergie zu gewinnen. Steirische AKW-GegnerInnen. Nachdem auch in Graz eine Informationsveranstaltung der Regierung stattgefunden hatte, die wie in allen anderen Städten mit einem „Sieg“ der Gegner geendet hatte, wurde die „Bürgerinitiative gegen Atomkraftwerke“ gegründet, der Techniker und Wissenschaftler wie Elmar Heinzle, Manfred Heindler, Walter Papousek, Katholiken wie Peter Pritz, der Naturschutzbeauftragte des Landes Steiermark Jörg Steinbach, Erich Kitzmüller, Vertreter der Maoisten und Trotzkisten ebenso angehörten wie Studenten und Studentinnen. Gemeinsam organisierte man Infostände und agitierte gegen das AKW, die „Grazer-Agit-Prop-Gruppe“ sang: „Der Atomstrom is büllig, an Atomstrom muass gebn, / wann ma nocha vielleicht aa nur holb so lang lebn. /Holladaridio holada kein Atom- / holadari – Kein Atomkraftwerk in Zwentendorf! / Mir wissen zwar net, wohin mitn Atomabfall / oba d’ Werkln werdn baut, auf jeden Fall. Nächtens wurde die Stadt zuplakatiert und zur nächsten Demo oder Sternfahrt eingeladen – am 12. Juni nach Zwentendorf und am 26. Oktober 1977 nach Wien, wo Bundeskanzler Kreisky die Demonstranten als „Lausbuben“ und Terroristen beschimpfen sollte, die keineswegs das österreichische Volk repräsentieren.
Volksabstimmung. Anfang des Jahres 1978 sollten die Brennstäbe heimlich nach Zwentendorf geliefert werden, was die Gegner erfuhren und die Zufahrt blockierten, sodass sie mit dem Hubschrauber eingeflogen werden mussten. Da die Regierung mit dem Probebetrieb in Zwentendorf vollendete Tatsachen schaffen wollte, wurde von den Gegner vehement eine Volksabstimmung über die Inbetriebnahme gefordert, die schließlich von der Regierung am 28. Juni beschlossen und für den 5. November 1978 festgelegt wurde. Dies hatte zur Folge, dass die Elektrizitätswirtschaft Millionen in die Kampagne steckte und die Gegner die von ihnen produzierten Broschüren, Zeitungen, Aufkleber, Schallplatten usw. verkauften und so ihre Informationstätigkeit finanzierten.
Als dann am 5. November 1978 das Endergebnis über die Volksabstimmung vorlag, war das ein Sieg einer nichtinstitutionellen Bewegung gegen etablierte politische Institutionen, ein Sieg Davids gegen Goliath.
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Die Vorgeschichte und Geschichte dieser ersten Volksabstimmung ist in der vom Büro der Erinnerungen, CLIO und Sigrid Schönfelder organisierten Ausstellung „Kein Kernkraftwerk in Zwentendorf! 30 Jahre danach“ im Büro der Erinnerungen, Neutorgasse 45, 8010 Graz, bis 30. Jänner 2009, Di-Fr, 10.00-18-00 Uhr, zu sehen und im Buch „Kein Kernkraftwerk in Zwentendorf“ – 30 Jahre danach. Hg. v. Heimo Halbrainer, Elke Murlasits, Sigrid Schönfelder, Weitra: Verlag publication PN1 Bibliothek der Provinz 2008 nachzulesen. Mit Beträgen u.a. von Paul Blau, Josef Cap, Manfred Heindler, Johann Hirsch, Robert Jungk, Erich Kitzmüller, Sam Kreditsch, Peter Kreisky, Walter Lauber, Peter Ulrich Lehner, Wilfried Leisch, Bernd Lötsch, Carl Manzano, Schani Margulies, Freda Meissner-Blau, Christoph Mittler, Beatrix Neundlinger, Walter Papousek, Günther Pfaffenwimmer, Doris Pollet-Kammerlander, Rainer Possert, Franz Sölkner, Heinz Stockinger, Heinz R. Unger, Peter Weish, Kurt Winterstein, Friedrich Witzany.
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