Die uns alltäglich vertrauten Straßennamen dienen nicht nur der simplen Orientierung, sondern spiegeln als Indikatoren auch den Einfluss von Ideologie und Politik im öffentlichen Raum wider.
Diese Erkenntnis gilt insbesondere für eine Stadt wie Graz, die sich selbst über viele Jahrzehnte hinweg – bis weit in die Nachkriegszeit hinein – als Bollwerk der deutschen Kultur an der Grenze zum „Slawentum“ definiert hat. Ein FH-Projekt untersuchte in den vergangenen Monaten in Kooperation mit dem Landesmuseum Joanneum die Herkunft von Grazer Straßennamen und deren bewegte Geschichte. Keine Suche nach braunen Flecken. Das Forschungsvorhaben verstehe sich „jedoch keinesfalls als die Aufwärmung der Suche nach braunen Flecken im Grazer Straßenverzeichnis, sondern als Gesamtschau über vergangene und gegenwärtige öffentliche Zeichensetzungen“, betont der wissenschaftliche Leiter des Projekts, Dr. Heinz P. Wassermann. Im Projekt „Why the streets have their names – Grazer Straßennamen im ‚kurzen’ 20. Jahrhundert“ haben studierende der FH Joanneum zwei markante Grazer Bezirke auf diese Aspekte hin analysiert: die Innere Stadt und Eggenberg. Die Innere Stadt ist in ihrer Funktion als „Herrschaftszentrale“ mit ihren bis in das Spätmittelalter zurückreichenden Traditionen von besonderer Bedeutung, der Bezirk Eggenberg hingegen wurde erst 1938 ein verwaltungstechnischer Teil der Landeshauptstadt („Groß-Graz“).
Spiegel einer wechselhaften Geschichte. Die Eingebung zu dem Projekt hatte Wassermann bereits 1995 anlässlich einer heftigen Diskussion in Berlin zur Umbenennung von marxistisch konnotierten Plätzen und Straßen erhalten. In Graz lassen sich die Brüche in der Abfolge der politischen Systeme am Beispiel des Freiheitsplatzes im Stadtzentrum verfolgen. Bis 1918 trug er den Namen Franzensplatz (benannt nach Kaiser Franz I. von Österreich). Nach der Gründung der 1. Republik wurde er in Freiheitsplatz umgetauft. 1934 änderte sich der Name unter dem Ständestaat wieder zu Franzensplatz. Unter der NS-Herrschaft wurde der Platz abermals in Freiheitsplatz umbenannt. Ausschlaggebend war oft nicht methodisches Vorgehen, sondern schlichte Improvisation: „Die Nazis hatten andere Prioritäten, als Straßennamen systematisch umzubenennen“, begründete Wassermann die mitunter unkoordiniert anmutenden Änderungen bei der Namensgebung. Online-Plattform zum Mitmachen. Als wissenschaftliche Basis diente dabei das Werk „Grazer Straßennamen. Herkunft und Bedeutung“ von Karl A. Kubinzky und Astrid M. Wentner. „Das konkrete Ergebnis des Forschungsprojekts ist eine Onlineplattform, in der über 300 Einträge zu Straßennamen im Wandel der Zeit gelistet sind“, erläutert Wassermann. Die Website bietet darüber hinaus 22 ausführliche Darstellungen, etwa über den Vinzimarkt in Eggenberg, eine „Lange Nacht“ im Priesterseminar, das Ambiente von Schloss Eggenberg oder den Karmeliterplatz, dazu Videoreportagen, wie ein Interview mit Stadträtin Eva Maria Fluch, über Kunst (-Skandale) im öffentlichen Raum, Straßentheater, das britische, deutsche oder das jüdische Graz. Die Datenbank wird im Lauf der kommenden Monate dem „Büro der Erinnerungen“ des Landesmuseums Joanneum zur weiteren Betreuung übergeben. Dort sollen das Projekt im Internet weitergeführt und die Öffentlichkeit zur Mitarbeit angeregt werden. Bilder aus dem Archiv des Landesmuseums Joanneum seien bereits auf die Onlineplattform übernommen worden, erklärte Dr.in Elke Murlasits, die Leiterin des Bild- und Tonarchivs. Josef Schiffer Infos: www.streetsofgraz.at
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