Neuere skulpturale Arbeiten der 1964 geborenen und in Gent lebenden Berlinde de Bruykere bestehen vielfach aus einer Konstellation von Metall und Glas – mehr an die Idee einer Vitrine erinnernd, als Vitrine – und darin weniger geborgene denn zur Schau gestellte hyperrealistisch geformte menschliche Körperfragmente aus Kunstharz. In Doubt, so der Titel einer derzeit im Kunsthaus Graz gezeigten Arbeit, bezeichnet schon die Zweifel gegenüber Organischem und Anorganischem, zwischen lebender und toter Materie.
An ausgewählten Objekten von 19 zeitgenössischen KünstlerInnen haben die Kuratoren Katrin Bucher Trantow und Peter Pakesch zwar keine durchgängige Theorie des Biomorphen in der bildenden Kunst zu Diskussion und Schau gestellt, allerdings erinnern die Ausstellungsgestalter an ein Verhältnis zwischen Kunst und Naturwissenschaft, wie es etwa in der Person von Ernst Heinrich Haeckel im 19. Jahrhundert kulminierte. Der wahrscheinlich bedeutendste Verfechter von Darwins Evolutionstheorie beschrieb die Ontogenese (die Entwicklung des Einzelwesens) als „kurze Wiederholung der Phylogenese“, der Stammesgeschichte. Zwar gelten Haeckels phylogenetische Hypothesen heute als unzutreffend; Zeichnungen Haeckels aber, mit denen er seine biogenetischen Überlegungen dokumentierte, sind aus heutiger Sicht in einem Übergangsbereich zwischen Kunst und naturwissenschaftlicher Forschung angesiedelt. Diesem Ansatz versucht man mit der Schau Leben? Biomorphe Formen (sic) in der Skulptur gerecht zu werden, der im Ausstellungskatalog mit einem Essay von Gloria Meynen auch in Disposition von Wissenschaftsgeschichte und Evolutionstheorie gegenüber darauf basierenden Fiktionen wie H. G. Wells Insel des Dr. Moreau gestellt wird. In der Erstausgabe dieser frühen Science-Fiction aus dem Jahr 1896 wird jene Insel im Untertitel noch als Eine Möglichkeit ausgewiesen (die, nebenbei, Michel Houellebecq in ihren Folgen 2005 als Die Möglichkeit einer Insel weiterdenkt), in der ein durchgeknallter Forscher auf einer abgeschotteten Insel Experimente mit tierischen und menschlichen Mischwesen veranstaltet und damit eine Katastrophe auslöst. „Die Möglichkeit einer Insel“, schreibt Meynen, „ist eine synthetische Insel, die die Grenzen der künstlichen Evolution mit den Techniken der Vivisektion vermisst. Oder vielmehr – mit den Worten Moreaus – ‚die äußere Grenze einer Gestaltmöglichkeit in einer lebenden Form finden’ will.“ Dem Wollen im Rahmen einer der Naturwissenschaft angenäherten Fiktion wollen sich die Ausstellungsmacher annehmen, beispielsweise mit den im Cyborgkontext angesiedelten Körpervisionen der Koreanerin Lee Bul oder den einem Objekt ohne Titel von Julie Hayward, das im Katalog als „unter einer ihrer Zeichnungen für das Thema entdeckt“ beschrieben wird und als Plastik für die Ausstellung realisiert wurde. Bucher Trantow hält dazu fest: „Verschiedene Ringe mit Speichen wie Samenkapseln oder Wirbel einer unbekannten Art beginnen zusammen eine Säule zu bilden, richten sich auf und scheinen nun in der Künstlichkeit der Prothese lebensbereit.“
Kunst als Reflexion des Lebens. In einer Stellungnahme zur Arbeit des Chinesen Xiao Yu, erstmals auf der Biennale in Venedig 2001 gezeigt, erklären die Kuratoren ihre Intention, die umstrittenen Objekte in der Ausstellung zu zeigen: „Auch die Kunst hat – wie die Wissenschaft – das Ziel, über das Leben und seine Bedingungen zu reflektieren und aus Bestehendem Neues zu entwickeln bzw. neue Errungenschaften zu spiegeln. In diesem Sinne sehen wir Ruan als wesentlichen ethischen Beitrag zu zeitgenössischen Diskursen zwischen Genforschung, Biotechnologie bis hin zu den sozialen Auswirkungen von Designerbabys und Antiaging.“ Xiao Yu erklärt zu seiner Arbeit: „Ich wünsche mir, meine grotesk hergestellten Wesen spornen einen an zu bedenken, ob die Fortschritte der Technologie wirklich das Wohl der Menschen mehren.“ Ruan sind sechs Glasbehälter mit Formaldehyd, darin eingelegt die verschiedenen Entwicklungsstadien eines undefinierbaren Wesens. Wirklich sind es tote Tiere, die Xiao Yu gefunden hat, und ein menschlicher Embryo ist ein vormals wissenschaftliches Präparat aus den 1960er Jahren. Deutlich allerdings zeichnet sich in dieser Ausstellung ein Problem in der Annäherung zwischen Naturwissenschaft und künstlerischer Paraphrase ab, das die Kuratoren offenbar zu überbrücken bemüht sind. Wenn diese Intention etwa durch die Essays von Gloria Meynen und Thomas Macho im Katalog vermittelt werden soll, die Darwin, H. G. Wells und Pygmalion ins Treffen bringen, so bleibt, um es mit Machos Worten (zugegeben aus anderem Zusammenhang entnommen) zu beschreiben, eine „Differenz … im Widerstreit zwischen Bild und Text“. Ungeachtet des Themas erschließt sich dagegen die Qualität der ausgestellten Objekte in ihren spezifischen Kontexten und künstlerischen Intentionen ohnehin.
Leben? Biomorphe Formen in der Skulptur ist bis zum 11. Jänner im Kunsthaus Graz, Space01, zu sehen. Informationen unter www.kunsthausgraz.at Wenzel Mraček
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