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Zeichner, Aktionist, Bild-Dichter und Schriftsteller – Günter Brus zum 70. Geburtstag
Montag, 10. November 2008
Um das Jahr 1825 datiert sind William Blakes 21 Bebilderungen des Buches Hiob. Günter Brus lag die Publikation Pencil Drawings by William Blake, herausgegeben und kommentiert von Geoffrey Keynes mit Abbildungen der Bleistiftzeichnungen zu Hiob (engl. Job), vor. In einem Projekt, akkordiert mit dem Klagenfurter Verleger und Galeristen Helmut Ritter, überarbeitete Brus Reproduktionen dieser Zeichnungen. Aus Anlass seines 70. Geburtstages, den Günter Brus am 27. September feierte, zeigt die Neue Galerie die 162 Blätter dieser Bild-Dichtung unter dem Titel BRUS’s + BLAKE’s JOBs, die gleichnamige Publikation ist im Ritter Verlag erschienen.

Im KORSO-Gespräch erzählen Anna und Günter Brus von der Genese dieses jüngsten Brus-Jobs, von Interpretation und Missverständnissen gegenüber dem Gesamtwerk, vor allem den Aktionismus betreffend. Vorangestellt muss hier werden, dass Anna Brus das Werk ihres Mannes seit Anfang der 1960er Jahre nicht nur organisatorisch begleitet, sondern auch maßgeblich an Konzeption der Aktionen – in frühen auch an deren Ausführung – beteiligt war. Ein Umstand, der in der kunsthistorischen Aufarbeitung bisher marginalisiert erscheint. Ebenfalls vorausgeschickt muss hier werden, dass unser Gespräch zu dritt gute zwei Stunden dauerte und hier nur in gekürzter Form, angelehnt an biografische und werk-relevante Aspekte, wiedergegeben werden kann.

Kampf mit den Engeln. Es war nicht die erste Auseinandersetzung Günter Brus’ mit Person und Werk von William Blake. Schon 1977 erarbeitete Brus die Bild-Dichtung William Blake: Poetische Skizzen vornehmlich in einem formalen Vergleich zu Blakes frühem Werk. Wie auch an der Gegenüberstellung beider Kurzbiografien im Ritter-Bild-Dichtungsband zu sehen, sind Vergleiche nicht nur im Duktus der beiden Zeichner auszumachen, es bestehen auch Ähnlichkeiten biografischer Natur: Hatte Blake sich mit seinem auf Klassizismus beharrenden Rektor Joshua Reynold überworfen und daraufhin die Royal Academy verlassen, so brach Günter Brus sein 1957 aufgenommenes Studium an der Akademie für angewandte Kunst im Jahr 1959 ab, nachdem er mit seinen Lehrern in der Formfrage um eine seiner Studienarbeiten in Konflikt geraten war. Erwies Blake sich in seinen Bildfindungen als fortschrittlich in Antizipation von Symbolismus, gar Surrealismus, und in Tendenzen zur Abstraktion seiner Zeit als klar voraus, so war er doch in seiner Geisteshaltung, als Gegner der Aufklärung mit zunehmend verstiegener Privatmythologie, ein Reaktionär. Brus dagegen bezeichnet sich im Nachwort zu BRUS’s + BLAKE’s JOBs als „ ein Vertreter der permanenten Aufklärung“, der mit dieser Arbeit „Einspruch“ erheben „musste“ „gegen Blakes romantizistische, ja förmlich katechismusgläubige Wissenschaftsfeindlichkeit“. Seine Texte, hält Brus fest, sind „häufig in Blakes Idiom verfasst, bewusst angelehnt an sein Pathos“. Allerdings äußert er sich darin „kritisch bis zur Beleidigung“ über Blakes Engelskult und über den langmähnigen und -bärtigen Greis, der als „Weltenschöpfer“ auftritt und schließlich über die „anatomisch verqueren Muskelpakete“ der Figuren – Anlass, Blake einen „Bonsai-Michelangelo“ zu nennen. 162 Blätter umfasst dieses im Vorjahr begonnene und gut ein Jahr dauernde Handgemenge – Brus’ Hand über Blakes – in Handschrift und Bild, ausgetragen in der Distanz von nahezu zweihundert Jahren. Wie Anna Brus im Gespräch erzählt, dürfte es sich phasenweise um einen Kampf des Atheisten mit Blakes Engeln gehandelt haben:
Die Blake-Bild-Dichtung ist in einer sehr expressiven Phase entstanden, man sieht’s ja auch. Das ist wirklich wie in einer Aktion passiert. Ich habe fast keinen Unterschied gesehen zwischen den späten Aktionen und dieser Arbeit. Bis diese Bild-Dichtung zu Ende gebracht war, war es auch für mich eine harte Geschichte. Oft, wenn er die Blätter aus dem Atelier gebracht hat, war er von oben bis unten mit Uhu verklebt und voller Farbe. Manchmal sind die Blätter an ihm geklebt. Es ist doch in einer Art Wut entstanden.
Mit teils stark gestischen Tusche-Zeichnungen, Aquarell und erstmals collagierten Passagen machte sich Günter Brus daran, über das feine Bleistift-Lineament der Reproduktionen ein „Gegenstück zu dem Gigantismus der so genannten Malerfürsten“ zu setzen und damit Blake und seinen als solche behandelten Nachfolgern eins auszuwischen. Im Irrwisch (1971), führte auch die Kunsthistorikerin Karin von Maur während des Brus-Symposions in der Neuen Galerie aus, hatte Brus zu einer neuen Form des Ausdrucks gefunden. Nach seiner letzten Aktion Zerreißprobe, im Münchener Aktionsraum 1 1970, sollte eigentlich eine Dokumentation der Brus’schen Aktionen entstehen, die aber zu deren Fortführung als Zeichnungen und Text führte. „Es war“, sagt Brus, „eine noch viel radikalere Fortführung des Aktionismus mit anderen Mitteln.“ Mit dem letzten Teil des Irrwisch aber, Die Pfaueninsel. Ein musikalisches Entzücken (für Anni), war wieder eine Grenze überschritten. Die Form der Bild-Dichtungen war gefunden: Handschrift ist Bildteil und Bild ist gleichsam Textform. Keineswegs ist das eine Illustration des anderen, die untrennbare Verquickung muss vielmehr im Vergleich zur Geschichte der Emblematik gelesen werden.
Dass für die B+B Jobs aber hochaktuelle Relevanz besteht erklärt Brus im Gespräch:
Es geht um den Gott als Vorstellung von etwas Unbekanntem oder dem Gott, der uns dauernd eingebläut wurde, um die Frage eines in die Welt eingreifenden Gottes. Da bekomme ich schon ein biss’l a Wut und mache mich auch lustig. Ich bin für permanente Aufklärung, das heißt, alles was bisher nicht bekannt war, wird durch den Menschen als Forscher immer um ein Stück weiter bekannt. Ich erwarte keine endgültigen Erklärungen, aber endgültig besteht das Bestreben nach Annäherung an uns Unbekanntes. Gott sage ich hier nicht, denn wer nicht eingreifen kann, ist nicht personifizierbar. Wir haben noch ein katechistisches Bild, das von Michelangelos Darstellung abgleitet ist, der alte Mann mit den langen Haaren, und bei Blake auch noch, der Schöpfergott, der dahinkriecht, weißhaarig mit dem langen Bart. Angesichts von Papsthysterie und Kreationisten in den USA wird Vernunft ad acta gelegt.

Ausbrechen aus den Bildern. Geboren wurde Günter Brus 1938 in Ardning, seine Kindheit verbrachte er in Mureck. Schon in der Grazer Kunstgewerbeschule fiel er bald als hervorragender Zeichner auf und für ein Studium an der Akademie für angewandte Kunst in Wien musste er 1957 keine Aufnahmeprüfung ablegen, man (an)erkannte den Zeichner aufgrund der im Sommer eingereichten Arbeitsmappe. Nachdem er sich vor allem mit dem Abstrakten Expressionismus auseinander setzte, mit der gestischen Malerei eines Franz Kline oder Emilio Vedovas, später mit dem Nouveau Réalisme, kam er auch in Folge eigenen gestischen Zeichnens zur Ansicht, dass der Abstrakte Expressionismus an ein Ende gekommen war. Zunächst ging es ihm darum, aus bislang gekannten Formen der Kunst auszubrechen, bestärkt unter anderem durch die Rezeption der Theaterarbeiten Antonin Artauds, Tadeusz Kantors und Jerzy Grotowskys. Mit der Zeit und infolge der Weiterführung seiner Aktionen seit der ersten ANA (1964), entwickelte sich eine zunehmende Tendenz politischer Widerständigkeit?
GB: Na ja, notgedrungen. Politisch ist ein weiter Begriff. Die ersten Aktionen waren aber durchaus noch auf der malerischen Ästhetik fußend. Da ging es noch um Gestaltungsfragen, wie liegt man etwa im Raum. Dann kam die Radikalisierung …
Das war zunächst noch vergleichbar mit Bildkomposition?
Ja, ja. Das war angestrebt sogar. Dabei hat aber die Frage schön / hässlich für uns nicht mehr existiert. Hässlich war es für die Umgebung, die Gesellschaft. Aber die stilistische Radikalisierung ging Hand in Hand mit der politischen Entwicklung. Ein gutes Beispiel ist, dass ich mich weiß bemalt und eine schwarze Linie über meinen Körper gezogen hatte. Mit der Zeit verschwanden die Malmittel, die Farbe, immer mehr. Zugleich wurde ich immer nackter bis zur letzten Konsequenz, dem Schnitt ins eigene Fleisch. Da musste ich stoppen, da ging’s nicht mehr weiter.
Beinahe nicht mehr weiter gegangen war es aber schon vor der angesprochenen Zerreißprobe. Am 7. Juni 1968 beraumte der Sozialistische Österreichische Studentenbund SÖS ein Teach-In im Hörsaal 1 der Uni Wien unter dem Titel Kunst und Revolution an. Vortragende und Akteure waren Otto Mühl, Oswald Wiener, Peter Weibel, Franz Kaltenbäck und Brus:
Wir waren keine Marxisten, wir waren Anarchisten. Ich habe die Aktion tatsächlich so angelegt, um absolut zu schockieren; ich wollte eigentlich keine Kunst mehr, sondern nur mehr den Schock. Am Skandal in der Universität wurde aber auch noch nie beachtet, dass bei mir noch etwas anderes dahinter stand, nämlich Kulturkritik im weitesten Sinn. Mich mit Kot zu beschmieren war ein letzter Schritt, um das klar zu machen. Nach Sigmund Freud besteht nicht nur der Anfang der Malerei, sondern der Anfang aller Kultur darin, dass sich der Säugling mit eigenem Kot beschmiert. Weil er noch nicht sozialisiert wurde und nicht weiß, was Gestank oder Wohlgeruch ist. Da ist noch alles gleichwertig. Das ist aber ein Umstand, den man auch heute noch nicht öffentlich diskutieren kann, sondern nur in Fachkreisen.
Nach der Verurteilung wegen „Herabwürdigung österreichischer Symbole“ und „Verletzung der Sittlichkeit und Schamhaftigkeit“ zu sechs Monaten Haft – revidiert auf fünf Monate, verschärft durch „zwei harte Lager und zwei Fasttage monatlich“ – entzieht sich Brus vor Haftantritt durch Flucht mit Frau und zweijähriger Tochter nach Berlin. Mit Wiener und Gerhard Rühm gründet man die Österreichische Exilregierung (publizistisches Organ Die Schastrommel). Erst 1976 erwirkt Anna Brus bei Bundespräsident Kirchschläger die Umwandlung der Haft- in eine Geldstrafe. 1979 kehrt die Familie nach Österreich zurück. Für sein Werk wurde Günter Brus 1996 mit dem Großen Österreichischen Staatspreis ausgezeichnet.

Weder Märtyrertum noch Katharsis. Eine eben erschienene Publikation behandelt in Vergleichen einen Aspekt in Brus’ Aktionen, der in eine Richtung stellvertretenden Handelns führt. Haben Sie eine Art von Substitution gegenüber der eigenen Psyche oder dem Staatssystem betrieben?
Ich fürchte, das führt in eine Richtung des Märtyrertums. Nein! Diesen Gedanken habe ich schon während meiner Aktionen abgelehnt. Ich wollte niemanden heilen. Das trifft auf Nitsch zu. Ich kann niemanden heilen und hab’s auch nicht vor. Nitsch hat zumindest lange Zeit behauptet, dass seine Aktionen kathartische Wirkung haben. Das habe ich nie bezweckt.
Mir wurde während einer Prüfung im Lauf meines Kunstgeschichtestudiums einmal die suggestive Frage gestellt, ob Sie sich umbringen wollten.
Nein! Das entspricht einem Wunschbild in der Gesellschaft, des an sich selbst zerbrechenden Künstlers. Diesen Wunsch wollte ich jedenfalls nicht erfüllen.
Und Anna Brus ergänzt:
Das Bild geistert aber auch in den Köpfen vieler Künstler herum. Ich habe während der Zeit des Aktionismus bemerkt, dass immer mit dem tragischen Tod kokettiert wurde. Schwarzkogler hat das dann auch vollzogen. Allerdings ist nicht klar, ob sein Fenstersturz nach langer Askese und Dauer-Euphorie ein Unfall oder Selbstmord war.
GB: Die Mythologisierung Schwarzkoglers und dieses Gerücht, er hätte sich in einer Aktion umgebracht, ging von Amerika aus. Eine Journalistin des Time Magazine schrieb, er hätte sich kastriert und als lebendes Kunstwerk exponiert.
AB: Die haben geschrieben, Schwarzkogler sei noch konsequenter als Brus.
Es grassierten lange Zeit merkwürdige Gerüchte und vor allem in den USA entstand ein konstruiertes Bild des Aktionismus, aus dem wahrscheinlich die obskure Erfindung des John Fare hervorging, der Ähnlichkeiten mit den Personen Brus und Schwarzkogler aufweist. Daran war vielleicht ein weiterer Vorfall schuld. Auf der documenta V (1972) schlugen Nitsch und Brus dem documenta-Leiter Harald Szeemann auch die Arbeiten des 1969 verstorbenen Schwarzkogler vor, die Szeemann noch nicht kannte. Eine Koje neben der von Brus wurde eingerichtet und bald darauf hatte ein Besucher die Namensschilder vertauscht. In New York hielt man daraufhin Brus für tot und Künstler, unter ihnen Nam Jun Paik, richteten eine Gedenkveranstaltung aus.
Kann man Ihre Aktionen, vor allem die letzte 1970, Zerreißprobe, vielleicht als Demonstration betrachten, in der Sie selbst, innerhalb eines repressiven Systems, über Ihren Körper verfügen?
Das kann man auch sagen. Es gab eine Aktion mit Staatswappen, 1968 noch vor der Uniaktion, „Günter Brus betrachtet seinen Körper“. Es geht und ging mir um das Prinzip von Privatheit. Ich bestehe auf diese Privatheit. Allerdings auch auf die Freigabe der Privatheit nach eigenem Ermessen, Privatheit im Körperlichen – auch der Ausdruck „Körperanalyse“ stammt ja von mir, nach einer einfachen Gegenüberstellung mit dem Ausdruck „Psychoanalyse“.
Sie haben einmal gesagt, durch Kunst und Revolution hätte es die Junge Linke in Österreich „zerbröselt und man müsste darüber nachdenken, ob aus diesem Grund der Terrorismus wie in Deutschland in Österreich nicht zustande kam“.
Davon bin ich überzeugt, allerdings ist das eine Was-wäre-wenn-Frage und beweisen kann man das wahrscheinlich nicht. Aber das müssten Politologen reflektieren. Man müsste jetzt einen Einblick in die Szene bekommen und nachsehen, wie das Zerbröseln vor sich gegangen ist. Wir wissen nur, dass Etliche nach Deutschland förmlich geflüchtet sind und dass sich der SÖS infolge der Uniaktion aufgelöst hat.
Wird es einen dritten Teil Ihrer autobiografischen Erzählungen geben?
Ich habe schon vor Monaten angefangen, bin auch schon relativ weit vorangekommen. Inhaltlich beträfe das Berlin, La Gomera und Graz. Ich habe aber derzeit unterbrochen, weil mir in Berlin keine einzige Person einfällt, die mich gestört hätte. Das ist mir zunächst zu stark in Memoiren abgeglitten. Mir fehlt da gerade die Spannung, denn es ist immer noch Dichtung und Wahrheit. Aber beim ersten Band Die gute alte Zeit ist mir das auch schon passiert und es wird weitergehen, der Verlag drängt auch. Ich muss mich aber nach der fast einjährigen Arbeit an Blake noch erholen. Arnulf Rainer hat der Galeristin Heike Curtze gesagt, er wünscht sich eine Zusammenarbeit. Mir hat er das noch nicht gesagt, aber wir werden wieder zusammen arbeiten, weil mich das reizt.
Wenzel Mraček


BRUS’s + BLAKE’s JOBs ist/sind bis zum 25. Jänner in der Neuen Galerie Graz zu sehen. Informationen unter www.neuegalerie.at

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